Joe Biden ist kein Traumkandidat. Er ist alt, weiß, männlich und seit 1973 fixes Personal im Washingtoner Polit-Ensemble: Mehr Establishment geht nicht. In Debatten wirkt der 77-Jährige wie ein Schlafmittel, auf der Wahlkampfbühne oszilliert er zwischen hölzern und peinlich: Charisma sieht anders aus. Sein Programm ist so linksliberal wie konventionell: von Aufbruch keine Spur.

Und doch ist Joseph Robinette Biden Junior spätestens nach dem Mini-Super-Tuesday am Dienstag und seinen vier Siegen in sechs Vorwahlen so gut wie sicher Kandidat der US-Demokraten bei der Präsidentschaftswahl im November. Dass es so weit kommen konnte, liegt vielleicht sogar daran, dass genau die genannten Schwächen eben auch seine Stärken sind.

Der ehemalige Vizepräsident Joe Biden ist so gut wie sicher Kandidat der US-Demokraten bei der Präsidentschaftswahl im November.
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Establishment hin oder her, anders als Bernie Sanders weiß Biden aus acht Jahren Erfahrung, wie Regieren geht. Und anders als der verdiente Linke, dessen Pläne für US-Verhältnisse nachgerade revolutionär sind, vermag Biden die für effektives Regieren notwendigen Koalitionen zu schmieden. Sein Programm, etwa in Sachen Klimaschutz, mag im Vergleich zur – zweifelsohne unterstützenswerten – Radikalkur Marke "Bernie" zu vorsichtig sein. Doch in Zeiten unsicherer Mehrheiten im Kongress dürften viele Liberale lieber auf Nummer sicher gehen und denjenigen Kandidaten vorziehen, der sein Programm dann auch in konkrete Politik zu gießen vermag.

Nach der schrillen Aggressivität eines Donald Trump sehnt sich die demokratische Hälfte der USA offenbar nach ein wenig mehr Berechenbarkeit – gerade in Zeiten der Krise. Das Coronavirus, von dem Irrlicht im Weißen Haus so verantwortungslos ("starke Grippeimpfung reicht") wie zynisch ("die Demokraten befeuern die Situation") kleingeredet, könnte die Stimmung nun endgültig kippen lassen. Während der Präsident seine Bürger lieber krank werden lässt, als Probleme im System einzugestehen, hat Biden während seiner Zeit als Barack Obamas Vize bewiesen, dass er Krisen managen kann, auch und gerade im US-Gesundheitssystem. Wächst sich Corona auch in den USA zu einer nationalen Katastrophe aus, könnte ihm das im Herbst gegen Trump den entscheidenden Schwung verleihen, den er für einen Sieg benötigt.

Ein Traumkandidat wird aus Joe Biden freilich trotzdem nicht mehr – aber womöglich einer, der die USA im Herbst aus dem Albtraum Trump erwachen lässt. (Florian Niederndorfer, 11.3.2020)