"Fünfzig bis hundert Proben von Corona-Verdachtsfällen testen wir täglich im Zentrum für Virologie an der Med-Uni. Wir sind eines von fünf Labors, die in Wien damit beschäftigt sind. Ein Team von Ärztinnen, Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern und technischen Assistentinnen ist hier im Einsatz. Derzeit sind wir sehr viel länger und intensiver da, auch am Wochenende.

Judith Aberle ist Fachärztin und Professorin für Virologie an der Medizinischen Universität Wien, wo sie das HIV-Labor leitet. Seit 25 Jahren beschäftigt sie sich mit Viren.
Andy Urban

Virologinnen und Virologen arbeiten einerseits in der reinen Grundlagenforschung, wo sie etwa untersuchen, wie sich ein Virus vermehrt oder wie die Atomstruktur eines Viruspartikels aussieht. Andererseits arbeiten wir klinisch-angewandt, das heißt, wir forschen zu Fragen, die direkt relevant sind für die Patienten und deren Behandlung, wie jetzt beim neuartigen Coronavirus. Am Zentrum für Virologie testen wir parallel auch andere Virusinfektionen wie Influenza, HIV, Masern, Mumps und Röteln sowie Zika- oder Dengue-Viren, die über Reiserückkehrer nach Österreich kommen.

In die Corona-Aufarbeitungslabors darf man nur mit Schutzkleidung, durch eine Sicherheitsschleuse muss man aber nicht. In einem ersten Schritt werden die Proben inaktiviert, sodass sie nicht mehr infektiös sind. Dann werden sie so vorbereitet, dass die Nukleinsäure in der Probe extrahiert werden kann. Und wenn der Patient eine Infektion hat, vervielfältigen wir spezifische Fragmente des Virus und weisen sie mit einem fluoreszierenden Farbstoff nach. Die Ärzte in unserem Team interpretieren dann die Patientenbefunde, die für die Behandlung wichtig sind. Wir sprechen auch mit den behandelnden Ärzten.

Entwicklung von neuen Tests

Wir machen aber nicht nur das: Wir untersuchen, wann welche Tests sinnvoll sind, und entwickeln neue für Sars-CoV-2. Man kann zum Beispiel eine überstandene Infektion durch eine Untersuchung der Antikörper im Blut nachweisen. Da stehen wir aber noch am Anfang.

Zusätzlich sehen wir uns andere Marker der Immunabwehr der Patienten an. Das ist wichtig für die zu entwickelnden Impfstoffe. Bislang wissen wir etwa noch nicht, wie lange die Immunität nach einer Erkrankung mit Sars-CoV-2 anhält. Mit den bekannten Coronaviren, die schon lange in Menschen zirkulieren, kann man sich mehrmals anstecken, die Verläufe sind aber milder.

Außerdem überwachen wir die Viruszirkulation in der Bevölkerung. Die Gesundheitsbehörden suchen ja nach dem sogenannten Patienten null, um die Infektionsketten nachzuzeichnen. So können wir nicht alle, aber die meisten Infektionen, die bei uns auftreten, zurückverfolgen. Die meisten kommen aus Italien, manche aus Deutschland und dem Iran. Wir testen dann alle Kontaktpersonen eines Infizierten. Ist eine Person erkrankt, melden wir das der Behörde, damit diese weitere Kontaktpersonen sucht. Im Überwachungssystem können wir bei milden Erkrankungen untersuchen, ob Infektionen vorkommen, damit man Infizierte möglichst früh isolieren kann, um die Ausbreitung so lange wie möglich zu verlangsamen. Eben weil die Erkrankung mild ist, die Leute sich nicht krank fühlen, nicht zu Hause bleiben, kann sie sich leichter ausbreiten.

Wasche mir mir die Hände

Die aktuellen Maßnahmen sind sicher hilfreich, um das einzudämmen. Laut Berechnungen kann man die Ausbreitung um 46 Prozent verringern, wenn man soziale Kontakte um ein Viertel reduziert. Die Verunsicherung in der Bevölkerung ist zu verstehen. Ich gehe mit dem Coronavirus wie mit allen Viren in der Grippesaison um: Ich wasche mir die Hände. Denn das Virus ist nicht hochpathogen. Das heißt, es hat in 80 Prozent der Fälle einen milden Verlauf, allerdings ist jede fünfte Erkrankung schwer und wird stationär behandelt. Die verwandten Coronaviren wie Sars oder Mers hingegen waren hochpathogen, das heißt, es gab wesentlich mehr schwere Erkrankungen und Todesfälle.

An der aktuellen Situation sieht man, dass immer wieder neue Viren auftauchen, die eine große Auswirkung auf unsere Gesellschaft und das Gesundheitssystem haben." (Protokoll: Selina Thaler, 16.3.2020)