Durch den Pensionsdschungel: Dieser Artikel steht am Beginn einer Serie über Pensionen in Österreich. Mit der genaueren Beleuchtung eines doch sehr komplexen Themas soll ein wenig Klarheit und Struktur in die Debatte gebracht und grundlegende Begriffe der Pensionsthematik greifbarer gemacht werden.
Illustration: DER STANDARD

"Die Ausgaben für die Pensionen explodieren": Schlagzeilen wie diese machten vor rund zehn Jahren die Runde. Damals hatte der Bankencrash die Welt in eine tiefe Wirtschaftskrise gestoßen. Auch in Österreich stieg die Arbeitslosigkeit massiv – mit teuren Folgen für das Sozialsystem. Weil Versicherungsbeiträge vormals Beschäftigter wegbrachen, musste der Staat mehr Geld zur Aufrechterhaltung der Altersversorgung zuschießen.

Heute gleichen sich zwar nicht die Ursachen der Krise, aber sehr wohl die Folgen: Wieder wird die Jobmisere das soziale Netz schwächen – und eine Frage anheizen, um die sich Politiker und Experten über Generationen hinweg streiten: Seit Jahrzehnten steht das Pensionssystem im Verdacht, auf bröckelndem Fundament gebaut zu sein. Die eine Seite spricht von einem "schrottreifen" Modell (die Neos) und mahnt radikale Reformen ein. Die andere hält die Warnungen für Alarmismus im Dienste einer neoliberalen Agenda, die den Sozialstaat zu demontieren versucht.

Frühpension ärger als Krise

Was sagen die Fakten? Die Folgen des heurigen Konjunktureinbruchs will die Pensionskommission, die über die Stabilität des Systems wacht, erst Ende November in einer handfesten Prognose abbilden. Leiter Walter Pöltner rechnet aber damit, dass die Krise, sofern die Wirtschaft wieder anspringt, nur mittelfristig die Kosten treibt. Auf lange Sicht wiege ein – wie er meint – "unverantwortlicher" Beschluss aus dem Vorjahr schwerer: Damals beschloss der Nationalrat eine Neuauflage der berüchtigten "Hacklerregelung", die nach 45 Arbeitsjahren eine Frühpension mit 62 Jahren ohne Abschläge erlaubt – und den Profiteuren somit eine saftige Erhöhung bis zum Lebensende beschert.

Dabei wirken die Prognosen auch ohne dieses Zuckerl dramatisch genug – zumindest auf den ersten Blick. Zwei demografische Effekte lassen die Zahl der alten Menschen, die auf Pensionsleistungen angewiesen sind, massiv ansteigen: Erstens steigt die Lebenserwartung rapide, zweitens kommen besonders geburtenstarke Jahrgänge – die so genannte Babyboomer-Generation – allmählich ins Pensionsalter. Laut Statistik Austria wird die Bevölkerung über 65 Jahren bis 2060 um mehr als eine Million auf 2,76 Millionen anwachsen.

Immer weniger Junge für immer mehr Ältere

Für diese Masse aufkommen sollen all jene, die arbeiten: Im heimischen Umlagesystem bezahlen die Erwerbstätigen mit ihren Versicherungsbeiträgen die laufenden Pensionen und erwerben dabei selbst Ansprüche für die Zukunft. Doch laut Prognose wird die Gruppe der 20- bis 65-Jährigen bis 2060 sinken. Immer weniger Bürger im Erwerbsalter müssen also die Leistungen der immer zahlreicheren älteren Menschen berappen.

Derzeit decken die Versicherungsbeiträge der Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Beamte etwa zwei Drittel der öffentlichen Pensionsausgaben ab, den Rest bezahlt der Staat aus Steuergeld. Wächst die Zahl der Senioren nun an, droht dieser Zuschuss ins Unermessliche zu steigen, könnte man meinen – doch so einfach ist es nicht, denn es gibt Möglichkeiten zum Ausgleich. Steigt gleichzeitig die Erwerbsquote, indem etwa mehr Frauen als bisher arbeiten, gibt es auch mehr Einzahler(innen) ins System. Ebenso helfen würde, wenn die Menschen später in den Ruhestand treten, ergo bis in ein höheres Alter einzahlen und kürzere Zeit von der Pension leben. Laut Prognose des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) sind beim Antrittsalter allerdings keine allzu großen Sprünge zu erwarten.

Aus für Privilegien der Beamten

Enorme Einsparungen verspricht aber ein Einschnitt aus dem Jahr 2004. Damals läutete die schwarz-blaue Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel das Ende eines großen Privilegs ein: In Österreich hatten und haben Beamte Anspruch auf eine weitaus üppigere Pension als die im allgemeinen (gesetzlichen) Pensionssystem versicherten Normalsterblichen. Dank der damals beschlossenen Reform laufen die Sonderrechte langsam, aber doch aus. Für neu eingestellte Staatsdiener gelten ohnehin dieselben Konditionen wie für gewöhnliche Werktätige.

Der Effekt macht Milliarden aus: Laut Prognose des Ageing Report der EU-Kommission von 2018, die auf den Daten von Finanz- und Sozialministerium in Österreich beruhen, werden die Einsparungen durch das Auslaufen der Beamtenpensionen den durch die Alterung verursachten Anstieg zu einem Gutteil aufwiegen. Unterm Strich sollen die staatlichen Zahlungen, die zusätzlich zu den Beiträgen ins Pensionssystem fließen, gemessen an der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) von 4,4 Prozent im Jahr 2016 auf 5,2 Prozent anno 2040 steigen.

Ob das verkraftbar ist? Das hänge von den Prioritäten ab, urteilte Wifo-Chef Christoph Badelt einmal. Die Regierung verspreche ja auch mehr Geld für Pflege und Umweltschutz bei gleichzeitiger Senkung der Steuer- und Abgabenquote: Alles zusammen werde sich nicht ausgehen.

Wie stark die Pensionen sinken

Doch selbst wenn das System weiterhin finanzierbar ist: Bedeutet dies auch, dass es Leistungen auf dem bisherigen Niveau ausspuckt? Immerhin brachten die schwarz-blauen Reformen auch für normale Pensionisten eine gravierende Änderung. Zur Berechnung der Pensionshöhe werden nicht mehr nur die besten 15 Verdienstjahre herangezogen, sondern alle.

Ob das Geld für ein würdiges Leben im Alter reicht? Für Frauen drohen die Einbußen durch die schwarz-blaue Pensionsreform heftig auszufallen – wenn sie nicht länger im Job bleiben.
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Das industrienahe Institut Eco Austria hat vor ein paar Jahren mögliche Auswirkungen berechnet: Ein mittlerer Angestellter mit durchschnittlicher Karriere des Jahrgangs 1950 könne noch mit einer Pension von 1.796 Euro im Monat rechnen. Wer erst 1989 zur Welt kam, dürfe nur 1.300 Euro erwarten. Für Frauen drohen die Einbußen noch heftiger auszufallen. Allerdings ging die Studie von der Annahme aus, dass sich das Verhalten der Betroffenen überhaupt nicht ändert, das Antrittsalter also auf dem gleichen Niveau wie bisher bleibt.

Wifo-Forscher Stefan Schiman bestätigt, dass die Pensionen durch die Reformen geschrumpft sind. Laut seiner Rechnung wird die Höhe der Durchschnittspension gemessen an der Wirtschaftsleistung noch um weitere 20 Prozent sinken, doch dieser Effekt gehe fast zur Gänze auf die sinkenden Beamtenpensionen zurück: Während der Ruhegenuss der pragmatisierten Staatsdiener derzeit noch das 2,3-fache der gewöhnlichen Durchschnittspension ausmache, werde das Niveau 2060 nur mehr das 1,2-fache betragen.

Die Leistungen der gesetzlichen Pensionsversicherung hingegen würden für die künftigen Pensionisten kaum noch sinken, sondern mit dem BIP-Wachstum durchaus mithalten, analysiert Schiman: Der Großteil der Verluste aus der steigenden Durchrechnung sei bereits angefallen, künftige Einbußen würden durch den etwas späteren Pensionsantritt kompensiert. (Gerald John, 5.8.2020)