Ein Hebel wäre eine Verordnung aus dem Jahr 1989, so Europarechtsexperte Stefan Brocza im Gastkommentar.

Mitgliedsstaaten wie Deutschland haben Exportbeschränkungen für Schutzausrüstung verhängt, die in besonders stark betroffenen Ländern fehlt.
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Am 4. März hat das deutsche Wirtschaftsministerium eine Anordnung erlassen, womit der Export von medizinischer Schutzausrüstung wie OP-Masken und Schutzkleidung verboten ist. Massiv davon betroffen sind nicht nur Drittstaaten, sondern auch alle EU-Mitgliedsländer. Faktisch beschlagnahmt wurde etwa ein zentrales Maskenlager in Jüchen in Nordrhein-Westfalen. Die unmittelbare Konsequenz daraus war die Ankündigung der heimischen AUVA-Spitäler, den normalen Operationsbetrieb zurückzufahren. Während die Schweiz umgehend reagierte, den deutschen Botschafter einbestellte und protestierte, bleibt das offizielle Österreich überraschend ruhig. Auf Nachfrage zeigt man sich wortkarg, eine klare rechtliche Einschätzung und Bewertung der Angelegenheit getraut man sich schon gar nicht.

Beim Stab von Gesundheitsminister Rudolf Anschober ist "das Thema noch nicht angekommen", das Kanzleramt verweist an das zuständige Ressort von Margarete Schramböck. Dieses ist sich der Problematik zwar bewusst, hat aber keinerlei rechtlichen Schritte gegen die deutsche Anordnung unternommen. Stattdessen setzt man alle Hoffnungen auf Gespräche mit den deutschen Kollegen. Darauf angesprochen, ob man sich zumindest an der laufenden Prüfung der Angelegenheit durch die EU-Kommission beteilige, zeigt man sich im Wirtschaftsministerium überrascht, dass so etwas überhaupt stattfinde.

EU-Verordnung

Offensichtlich weiß man nicht mehr, dass die Grundlage für die Prüfung des deutschen Exportverbots unter der ersten EU-Ratspräsidentschaft Österreichs 1998 entstanden ist: die EU-Verordnung über "das Funktionieren des Binnenmarkts im Zusammenhang mit dem freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten", damals unterfertigt von Wirtschaftsminister Johann Farnleitner.

Diese Verordnung sieht vor, dass sobald eine Behinderung des freien Warenverkehrs vorliegt oder auch nur droht, jeder EU-Mitgliedsstaat – egal ob betroffen oder nicht – Informationen an die EU-Kommission übermitteln kann. Warum Österreich dies nun nicht getan hat, kann beim besten Willen nicht nachvollzogen werden.

Auch wenn das ursprüngliche Exportverbot am 12. März aufgehoben und durch eine neue Anordnung zu "Beschränkungen im Außenwirtschaftsverkehr mit bestimmten Gütern" ersetzt wurde, bleibt das Verbot faktisch aufrecht. Ausnahmen dürfen nämlich nur dann erlaubt werden, wenn "die Deckung des lebenswichtigen Bedarfs" in Deutschland gewährleistet ist. Die Beeinträchtigung des Warenverkehrs besteht also fort.

Starke Argumente

Die Prüfung in Brüssel erfolgt derzeit allein auf Basis von Informationen, die Deutschland an die EU-Kommission übermittelt hat. Man kann wohl davon ausgehen, dass Deutschland genügend Argumente vorbringt, warum es "zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen" – so lautet nämlich die Formulierung in Artikel 36 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der eine Einschränkung des freien Warenverkehrs erlauben würde – ein Exportverbot verhängen musste. Die stärksten Argumente Österreichs bleiben dabei unbeachtet: Erstens ist die deutsche Maßnahme überschießend, und zweitens handelt es sich bei der faktisch beschlagnahmten Schutzausrüstung eigentlich um österreichisches Material, das eben auf dem Seeweg angeliefert und jetzt am Weitertransport gehindert wird.

Türkis-Grün scheut sich offensichtlich, rechtlich gegen Deutschland vorzugehen. Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker hat das deutsche Verhalten treffend als "modernes Raubrittertum" bezeichnet. Es ist höchste Zeit, dass die Regierung ihre noble Zurückhaltung aufgibt, in die Gänge kommt und klar reagiert. Immerhin geht es um die Aufrechterhaltung des Spitalbetriebs in Österreich. (Stefan Brocza, 16.3.2020)