Intensive Opernproben zu Ludwig van Beethovens abgesagtem "Fidelio" im Theater an der Wien – trotz besonderer Zeiten.

Foto: Monika Rittershaus

Dirigiert den "Fidelio": Manfred Honeck.

Foto: Felix Broede

Es wird mir wohl bis in alle Ewigkeit so gehen, dass ich um jede Note kämpfe", sagt Dirigent Manfred Honeck. Und auch wenn er damit prinzipiell den Versuch meint, im Bekannten unentwegt das Neues, das Unbekannte hervorzudirigieren, erlangt sein Satz gegenwärtig eine neue Qualität im Sinne des Aufbegehrens von Kunst gegen ihr Verschwinden. Die montägige Premiere von Beethovens Fidelio in der Regie von Christoph Waltz fällt ja nicht ganz aus. Sie wird am 20. März als Aufzeichnung im ORF und auf diversen Streamingportalen zu sehen sein. Am Samstagabend sind die letzten Szenen und Töne aufgenommen worden.

"Wir – das Ensemble, Orchester, Chor und alle Beteiligten dieser Produktion – sind natürlich sehr traurig, dass wir diesen besonderen Fidelio nicht vor Publikum aufführen können", sagt der Dirigent. "Die Proben wurden in den letzten Tagen konzentriert weitergeführt, und wir arbeiteten sehr gut an einer Aufzeichnung", so Honeck, dem sehr wichtig ist, "jenen Menschen, die am Coronavirus erkrankt sind, baldige Genesung" zu wünschen.

Wie im Filmstudio

Diese ungewöhnliche Produktionssituation wäre für ihn "und alle Mitwirkenden eine spannende Herausforderung" gewesen. Das Theater an der Wien "wurde kurzfristig zu einem Filmstudio umfunktioniert, mit vielen Kameras, einem großen Kamerakran und technischem Equipment". Das eine sei, dass diese TV -Produktion "unter Zeitdruck entstand. Das andere aber ist, dass ich mit den Sängern, dem Chor und dem Orchester wie bei einer Premiere in jedem Augenblick etwas Einzigartiges durch die Musik entstehen lassen möchte!"

Eine besondere Umstellung sei die Aufnahmesituation für ihn und die Beteiligten nicht gewesen. Man habe "mit demselben Bewusstsein und vollem Einsatz diese wunderbare Musik auf die Bühne" gebracht. "Ich bin sehr dankbar, dass wir mit dieser Aufzeichnung die außergewöhnliche Inszenierung von Christoph Waltz einem breiteren Publikum via TV und auf Streamingplattformen zugänglich machen können. Und so, wie alle Mit wirkenden auf höchstem künstlerischem Niveau agieren, ist das eine namenlose Freude!"

Eine, die sich in der Umsetzung der zweiten Fidelio-Fassung von 1806 ausdrücken wird: "Es ist an ihr etwas Besonderes. Beethoven hat hier seine erste Oper geschrieben, er denkt sich vieles an herrlichen Melodien und Vorspielen aus. Dann kommt er zur ersten Probe und merkt, dass gewisse Dinge nicht funktionieren. Er bemerkt nach der Aufführung, dass es auch dramaturgische Probleme gibt."

Überraschendes Diminuendo

Diese Version sei das Ergebnis selbiger Erkenntnisse: "Er hat ein langes Nachspiel und ein langes Vorspiel einfach gekürzt, ging von drei auf zwei Akte. Ich nenne das die gereinigte Fassung." Trotzdem gebe es immer wieder Fragen, die man sich selbst in Sorgezeiten wie den jetzigen stellt – wenn man eine Interpretation auf den Punkt bringen will. "Das grandiose Duett O namenlose Freude etwa: Beethoven lässt es in der Fassung 1805 triumphal und explosiv enden. In der 1806-Fassung hat er überraschenderweise ein Diminuendo eingebaut, ein Nachspiel also, das ins Leise übergeht."

Honeck meinte eigentlich, das sei nicht Beethoven, "wenn man an die 3., 5. oder 7. Symphonie denkt. Er war doch der König der Schlusswirkungen! Und jetzt geht er bei dem wichtigsten Duett ins Leise? Warum macht er das? Eine eindeutige Antwort können wir nicht geben. Ich habe den Eindruck, dass er bei der ersten Fassung gespürt haben muss, dass die Leute glauben, das Stück sei damit schon zu Ende. Wegen der Finalwirkung hat er das vielleicht auch gespürt und wollte das vermeiden, mit der Zurücknahme der Dynamik signalisieren: Moment mal, es gibt noch was!"

Damit würde Honeck Beethoven als Pragmatiker deuten, wobei er meint, es gebe "hunderte Stellen", bei denen über die wahre Absicht des Komponisten zu grübeln wäre – womöglich auch zusammen mit Regisseur Christoph Waltz: "Ein hochkultivierter Mensch, ein angenehmer Partner, er war bei allen musikalischen Proben dabei. Mich fasziniert, dass er das Stück aus der Partitur heraus verstehen will. Und: Man merkt bei der Personenführung, dass er vom Film kommt. Er hat klare Vorstellungen, wie man sich bewegen soll, um eine Emotion noch deutlicher herauszuzeichnen. Da ist Waltz sehr klar."

Wie es einst klang

Klar und deutlich will auch Honeck, der Chef des Pittsburgh Symphony Orchestra ist, die Kanten und Schärfen, also auch die Dissonanzen der Musik, hervorheben. Auch der gegenwärtigen Dramatik der Weltlage würde damit wohl Rechnung getragen, doch Honeck meint etwas anderes: "Wir müssen immer bedenken, dass wir für heutige Ohren spielen. Zu Beethovens Zeit war ein Septakkord ein Erlebnis, man hat diesen Schmerz empfunden, diese Verzweiflung, das wollte der Komponist. Aber heute? Heute hört man solches Material quasi auch am Naschmarkt, wir sind Dissonanzen gewohnt."

Das heißt für Honeck, Dissonanzen so zu schärfen, "damit sie irgendwie so klingen, wie sie damals geklungen haben und empfunden wurden". Man wird es hören können – trotz der gegenwärtigen Ausnahmesituation. (Ljubiša Tošić, 16.3.2020)