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Das entschlossene Handeln Sebastian Kurz’ und seines Beraterstabs einerseits sowie das geschlossene Mitziehen aller Parlamentsparteien andererseits beweist, wie gefestigt es um die Macht des hiesigen Souveräns bestellt ist.

Reuters

Österreich erlebe "die größte Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs". Die Worte, mit denen Bundeskanzler Sebastian Kurz und andere Regierungsmitglieder zuletzt ihre Corona-Schutzmaßnahmen rechtfertigten, waren hochgegriffen. Und doch zutreffend. Denn die völlige Lahmlegung des gewohnten gesellschaftlichen Zusammenlebens, die dieses "Team Österreich", wie Kurz die Bevölkerung ab sofort anzusprechen gedenkt, überstehen müssen wird, gab es in dieser Form noch nie: Es herrscht, man muss es so sagen, der "Ausnahmezustand".

Abseits seiner alltäglichen Verwendung hat dieser Begriff in der politischen Theorie und Rechtsphilosophie eine zweifelhafte Karriere hingelegt. Er ist allen voran mit dem deutschen Staats- und Verfassungsrechtler Carl Schmitt (1888–1985) verbunden. Als scharfer Analytiker von Machtverhältnissen wird dieser bis heute breit rezipiert, als politischer Mensch aber muss ihm ob seiner zwischen Opportunismus und Elfenbeinturmfantasien schwankenden Parteinahme für den NS-Staat Ablehnung zuteilwerden.

Schmitts Denken kreist in der Tradition Niccolò Machiavellis und Thomas Hobbes’ – beide aus der Zeit mächtiger Gewaltherrscher im 16. und 17. Jhdt. stammend – um die Frage, ob die moderne liberale Demokratie, wie wir sie erst seit 100 Jahren kennen, einem den Staat in seinen Grundfesten bedrohenden Krisenfall gewachsen sein kann. Schmitt, die Wirren der Weimarer Republik vor Augen, verneinte das: Der demokratische Staat, mit seinen langen Debatten, Abstimmungen und Gerichtsentscheiden, sei im Ausnahmefall schlicht zu langsam.

Das Recht, Recht außer Kraft zu setzen

Zudem sei die hehre liberale Annahme, die Welt ließe sich in einem permanenten Friedens- und Wohlstandsverhältnis einrichten, naiv und realitätsfremd. In der Krise, so Schmitt, komme dem Souverän das Recht zu, Recht auch außer Kraft zu setzen, und sei es nur, um ebendieses zu wahren.

Wann dieser Fall eintritt, würden jene entscheiden, die die Macht tatsächlich innehaben: Schmitts Formel, "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet", wurde berühmt, und sie erfährt im Fall der Corona-Krise ungeahnte Bestätigung.

Das entschlossene Handeln Sebastian Kurz’ und seines Beraterstabs einerseits sowie das geschlossene Mitziehen aller Parlamentsparteien andererseits beweist, wie gefestigt es um die Macht des hiesigen Souveräns bestellt ist. Man möchte Schmitt also analytisch zustimmen, wenn er schreibt: "Die Ausnahme ist interessanter als der Normalfall. Das Normale beweist nichts, die Ausnahme beweist alles."

Doch es gibt ein Problem: Der Souverän entscheidet auch, wann Schluss ist mit der Ausnahme. Dann – und das hielt der Philosoph Giorgio Agamben für gefährlich – lege er auch fest, nach welchen Regeln weitergespielt wird. In den USA etwa wurde aus dem nach 9/11 erklärten Ausnahme- ein Dauerzustand. Guantánamo und Massenüberwachung folgten.

Der aktuellen österreichischen Regierung hingegen ist vernunftgeleitetes Handeln zuzutrauen. Die Machtfülle, die ihr ein Epidemiegesetz verleiht, wird sie auch wieder abgeben. Doch zwei Sätze von kürzlich aus dem Amt geschiedenen FPÖ-Politikern hallen schaurig nach: Das Recht müsse der Politik folgen, nicht umgekehrt. Und: "Sie werden sich noch wundern, was alles gehen wird." (Stefan Weiss, 17.3.2020)