Eine Pandemie ist der klassische Fall einer globalen Bedrohung, die nur über enge internationale Konsultation und Kooperation bekämpft werden kann. Doch die Realität der Corona-Krise ist eine andere: Jeder Staat setzt seine eigenen Maßnahmen mit mehr oder weniger Härte; dazu gehören auch Grenzschließungen und Einreiseverbote gegenüber anderen Staaten, in denen die Infektionszahlen auch nicht höher sind als im eigenen Land.

Ein gewisses Verständnis für diese Vorgangsweise ist angebracht. Die Gesundheit der Bevölkerung zu gewährleisten gehört zu den Kernaufgaben jeder Regierung, und ihre Politik muss nationale Gegebenheiten berücksichtigen. Die EU hat hier kaum Kompetenzen. Die Zwangsmaßnahmen, die überall verhängt werden, müssen demokratisch legitimiert sein. Man stelle sich den Aufschrei vor, wären die Ausgangssperren in Österreich nicht durch die türkis-grüne Regierung, sondern von der EU verhängt worden.

Der Stephansplatz in der Wiener Innenstadt nach der von der Bundesregierung ausgesprochenen "Ausgangsbeschränkung".
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Die zahlreichen Grenzschließungen haben auch eine positive Wirkung: Sie bremsen den Reiseverkehr, der entscheidend zur Ausbreitung des Virus beiträgt. Aber hier zeigt sich schon der große Schwachpunkt nationaler Maßnahmen gegenüber einer transnationalen Bedrohung: Die Virus-Hotspots halten sich ja nicht an politische Grenzen. Nicht ganz Italien ist die Problemzone, sondern der Norden und vor allem die Lombardei. In Österreich ist es Tirol, und hier wiederum nicht das ganze Bundesland, sondern der äußerste Westen und Innsbruck. Das deutsche Einreiseverbot für Bewohner von Kufstein ist daher sinnlos. Viel wichtiger wäre es, innerhalb eines Staatsgebietes die Krisenregionen unter Quarantäne zu stellen. Doch dies ist politisch heikel; viel einfacher ist es, die Außengrenzen zu schließen.

Reines Placebo

Vor allem in großen Staaten sind solche Grenzschließungen ein reines Placebo, wenn das Virus bereits grassiert. Den USA bringt das Einreiseverbot für die meisten Europäer gar nichts, solange sich die Amerikaner gegenseitig anstecken können.

Die unterschiedlichen Vorgangsweisen aber könnten mittelfristig Abschottungen rechtfertigen. Wenn Österreich oder Spanien mit ihren strikten Regeln mehr Erfolg bei der Eindämmung haben als laxere Staaten, dann sind Grenzschließungen eine logische Folge. Auch die Teilschließung der EU-Außengrenze ist womöglich nur ein erster Schritt. Es kann sein, dass im Sommer überhaupt keine US-Bürger mehr einreisen dürfen, weil das Virus dann dort am stärksten grassiert.

Wirklich gefährlich werden die nationalen Alleingänge, wenn sie die medizinische Versorgung gefährden. Der deutsche Exportstopp für Masken und Schutzkleidung ist ein Skandal, der gescheiterte Versuch der Trump-Regierung, sich mit viel Geld von einer deutschen Pharmafirma die Exklusivrechte für eine Impfung zu erkaufen, eine Groteske. Die einzige Chance, das Virus zu besiegen, bietet die intensive Zusammenarbeit bei Forschung, Entwicklung, Zulassung und Produktion all jener Mittel, die dank der Wissenschaft zur Verfügung stehen.

Spätestens seit der vergangenen Woche ist klar: Das Virus bedroht die ganze Welt, kein Land ist ausgenommen. Die Corona-Krise ist eine Chance zu zeigen, dass Nationalstaaten zusammenfinden können, wenn es ernst wird. Das könnte auch zum Vorbild für den Kampf gegen den Klimawandel werden. Scheitert das, ist es um die Zukunft der Menschheit schlecht bestellt. (Eric Frey, 16.3.2020)