Im Grunde ist die Sache ganz einfach:

Entweder ist jeder von uns Teil des Problems – oder wir sind gemeinsam die Lösung.

Seien Sie mir also nicht böse, wenn mein Verständnis für das immer noch zu hörende Wehklagen, dass just der subjektiv wichtigste Laufbewerb der Saison abgesagt wurde, gleich null ist: Ja, ich verstehe es, wenn man sich ärgert. Das ist legitim. Aber nach so in etwa zehn Minuten sollte ein halbwegs intelligenter Mensch sich dann wieder einkriegen: Es gibt Wichtigeres als die "Big Six" (also die großen sechs Marathons) heuer zu finishen. Oder beim Dorflauf von Gigritspatschen neue persönliche Bestzeit zu laufen. Oder beim Gruppentraining 15 Freunden die Innenstadt zu zeigen: Das geht jetzt eben nicht. Punkt. Leben Sie damit – aber leben Sie. Und damit nicht nur Sie.

Foto: Tom Rottenberg

Ich sage und schreibe das am Montagabend. Nicht ohne Grund. Aber immer noch sprachlos: Als das Fitnesscenter meiner Wahl Ende letzter Woche seine Sperre für Montag ankündigte, gab es neben Verständnis auch umgehend "Frechheit, ich bezahle dafür, dass ihr offen habt"-Reaktionen. Obwohl da ohnehin schon angemerkt worden war, dass man sich Gedanken machen werde, wie man die Kunden trösten könne. Später. Wenn die Welt wieder halbwegs im Lot ist.

Das gleiche Gegreine kam dann auch als Sperr-Reaktion meines Yogastudios. "Ich bin monatlich zahlende Kundin!" Da war es – bei einigen, wenigen – ganz rasch vorbei mit dem "Mögen alle Wesen glücklich sein"-Yoga-Spirit.

Umso mehr verstand ich die Reaktion von Barbara Tesar. Die steirische Triathletin (unter anderem Siegerin des Austria-Extreme-Bewerbs 2019) und Betreiberin des Rennrad-Trainingscamp-Labels "Istria Bike", hat, in meinen Augen, genau die richtigen Worte gefunden.

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Manches – genauer: sehr vieles – geht derzeit eben schlicht und einfach nicht. Mit Gründen. Und ich habe, ich gebe es zu, ja auch selbst versucht zu tricksen. Es zu meinen Gunsten auszulegen: Als ich am Sonntagmorgen "eh ganz allein und eh ganz zeitig in der Früh" eine Runde durch die Stadt lief und "eh zu den eh nur ganz wenigen anderen Läufern supergroße Abstände einhielt", bekam ich zu Hause mehr als soliden Beton aus medizinisch-fachlich berufener Quelle: Welchen Teil von "Social Distancing" ich nicht verstanden hätte – erst recht im dichtverbauten städtischen Gebiet: Natürlich hatte ich Bekannte getroffen. Natürlich waren wir – wenn auch über die ganze PHA-Breite gestreckt – ein Stück miteinander gerannt. "Die Notwendigkeit, da zu rennen, besteht nicht. Du weißt ganz genau, dass das ein Dorfplatz ist. Es steht nicht dafür. Und aus. Außerdem gibt es Alternativen."

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Ja, eh. Aber: Ja natürlich nerven die. Und sind nicht das Gleiche, wie draußen mit Freunden zu spielen. Aber, siehe oben: Entweder ist man Teil des Problems, oder man versucht zumindest ein Teil der Lösung zu sein.

Etwa indem man dann auf den Smart-Rollentrainer ausweicht. Da kann man sich nämlich auch die Kante geben. Und das nicht nur beim Zwiften oder beim Serien-Bingewatching, sondern zum Beispiel diesen Freitag auch bei der ersten nur virtuell ausgetragenen Critical Mass – obwohl es bei der ja eher kaum um Tempo oder Leistung geht. Egal: "Wattopia", die virtuelle Bike-Welt auf Zwift, werden wir in den nächsten Wochen wohl noch intensiv befahren.

Foto: Tom Rottenberg

Ganz abgesehen davon und obwohl kaum wer bisher je so dachte, schützt der Draußen-Radfahr-Verzicht (ich rede vom Rennradeln – als Verkehrsmittel ist das Rad in der Stadt gerade ziemlich ideal) auch ein Stück gelebter Infrastrukturschutz: Wenn es mich, erst recht im Pulk, bei 40 km/h aufhaut, ist in der Folge relativ leicht ein Spitalsbett belegt. Oder medizinisches Personal beschäftigt. Nicht, dass ich davon ausgehe – aber was beim Skifahr-Saisonschluss als Argument richtig war, gilt hier genauso: Es muss schlicht und einfach nicht sein.

Foto: Tom Rottenberg

Schon gar nicht in der Gruppe – ja, auch wenn man da rein rechnerisch die Köpfe weit genug auseinander hat: Als mir am Samstag auf der Donauinsel (ich war mutterseelenallein unterwegs – laut Ministerium noch erlaubt, trotzdem hatte ich ein schlechtes Gewissen) ein rund 15 Nasen großer Pulk in dichter Windschattenformation entgegenflog, verstand ich endlich: Wer jetzt noch so blöd ist, reagiert vermutlich wirklich nur auf Ausgangssperren und harte Strafen (das Gleiche gilt für die zahlreichen Grillpartys, an denen ich auf der Insel vorbeikam).

Foto: Tom Rottenberg

Am gleichen Tag, am Samstag nämlich, war auch ein Freund von mir auf der fast gleichen Runde unterwegs. Der Gastro-Kritiker und begeisterte Vintage-Rennradsammler (und -fahrer) Florian Holzer führte ein neues altes Baby das erste Mal aus und jubelte danach virtuell: Sooooo fein – und das trotz Gegenwinds. Eh. Aber trotzdem spannte er am Montag trotz Sonnenschein dann zum allerersten Mal eines seiner Räder auf die Walze: Lerneffekt. Solidarität. #flattenthecurve eben: Sei Teil der Lösung.

Abgesehen davon war das Rollenfahren auch für ihn sporthorizonterweiternd. Zuvor hatte Holzer 1.000 Rollentrainer-Bedenken geäußert: zu wackelig. Zu uncool. Zu kompliziert. Und so weiter.

Dennoch holte Florian das ihm von einem Bekannten letzten Sommer anlässlich dessen Übersiedlung überlassene No-Name-Gerät hinter einem Stapel weit coolerer Radersatzteile hervor, schraubte weit kürzer und unkomplizierter als befürchtet – und fuhr. Siehe da: Es geht. Und ist zumutbar.

Foto: Tom Rottenberg

Aber Zimmerradfahren ist natürlich nicht alles. Schon alleine deshalb, weil nicht jeder einen Rollentrainer daheim stehen hat oder jetzt rasch (online) kaufen will: Dass man auf den einfach-günstigen genauso schwitzt wie auf teuren Hightech-Spielzeugen, stimmt zwar – aber sich fit halten kann man auch anders. Und einfacher.

Und so verwandelten sich beispielsweise in den letzten Tagen die Trainingsselfies meines Vereins- und Trainingskumpels Markus Steinacher mehr und mehr von Lauf- und Agility- in Trimm- und Coretrainings-Dokumentationen: Weil es eben immer einen Plan B gibt – und es nichts bringt, sich in Grant und Selbstmitleid zu verlieren.

Foto: Markus Stainacher

Obwohl Markus allen Grund dazu hätte: Er hat mittlerweile ein halbes Jahr mehr als hart dafür trainiert, beim VCM eine neue persönliche Bestzeit zu laufen (sub 3 nämlich). Und im Training war er super unterwegs gewesen. Dass man da zuerst mega "pissed" ist und es durchaus auch persönlich nimmt, wenn das "Aus" für das, worauf man so lange hingearbeitet hat, kommt, ist klar. Menschlich. Und nachvollziehbar.

Aber dass man sich dann – so wie Markus – rasch wieder einkriegt und das Beste aus der Situation macht, auch: Wir werden wieder laufen. Irgendwann. Aber halt nicht jetzt.

Foto: Markus Stainacher

Ich wurde am Montag von einem anderen Medium gebeten, die Liste "meiner" abgesagten oder ziemlich sicher noch ausfallenden Läufe anzuführen. Und zu erklären, wie es mir damit geht. Ich verstehe die Frage – antworte aber nicht drauf.

Denn: wozu? Was bringt Jammern? Wem?

Denn bei aller Liebe: Es ist nur Laufen. Unendlich schön – aber auch unendlich nebensächlich. Gerade jetzt.

Denn wir können jeder für sich Teil des Problems sein – oder alle gemeinsam vielleicht doch die Lösung. (Tom Rottenberg, 18.3.2020)

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