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Mit großem Hype, zahlreichen Bugs und massiven Serverproblemen ist vor wenigen Wochen der Launch des Actionrollenspiels Wolcen: Lords of Mayhem (Windows via Steam oder Humble Bundle) über die Bühne gegangen. Abseits technischer Schwierigkeiten wurde das Game von einigen Kritikern als das bessere Diablo 3 gefeiert – oder zumindest eine würdigere Alternative in den Fußstapfen der legendären ersten beiden Teile.

Die ersten Begegnungen mit dem Höllenfürsten haben vielerlei Dinge ausgezeichnet. Da wären etwa die zufallsgenerierten Levels, die – vor allem im zweiten Teil – weitgehend offene Welt. Oder der unvergessliche Soundtrack. Die atmosphärische Sprachausgabe, die die düstere Stimmung gemeinsam mit den aufwendigen Cutscenes grandios untermalt hat. Und natürlich der Suchtfaktor der Jagd nach immer besserer Ausrüstung. Elemente, die vor allem die Einzelspielererfahrung ausgezeichnet haben.

Und auf diese bezieht sich auch dieser Test, für den Wolcen rund sieben Stunden lang in einem Solospiel (privates Onlinegame) absolviert wurde – bis zum Ende des ersten von drei Kapiteln, in dem der erste große Bosskampf stattfindet.

Wolcen Studio

Ein Held im Exil

Wenngleich die Handlung in Wolcen nicht mit einer finsteren Bedrohung aus dem Untergrund beginnt, sondern mit einem Feldzug der "Republic of Mankind" und ihrer "Purifier" gegen die verfeindete "Brotherhood of Dawn". Er endet in einem Gemetzel an einem Ort namens Castagath, während dem sich eine dämonische Bedrohung und die übernatürliche Begabung des eigenen Helden offenbaren.

Weil Magie von den Purifiern aber nicht gerne gesehen wird, soll der Spieler das Exil aufsuchen. Das tut er freilich nicht, sondern beginnt stattdessen, sich in der Stadt Stormfall als Abenteurer zu verdingen und mehr über die verfeindeten Fraktionen und die finsteren Gefahren, die die Welt bedrohen, herauszufinden.

Uninspirierte Erzählung

Was Diablo und Wolcen eint, ist der Kampf gegen das große, korrumpierende Böse. Wolcen bringt allerdings mit Edric und Valerie zwei Charaktere mit direktem Bezug zum Spieler in die Handlung ein. Das könnte das Geschehen komplexer und interessanter machen, tut es aber in den ersten Spielstunden kaum. Denn erzählerisch ist das Game leider schwach.

Die Dialoge sind meist extrem uninspiriert, die Charaktere enorm klischeehaft gehalten. Während Diablo 1 und 2 wichtige Handlungsereignisse in computergerenderten Zwischensequenzen gezeigt haben, nutzt Wolcen ausschließlich die Mittel des Spieles selbst. Aus der Nähe betrachtet verliert die eigentlich gelungene Grafik allerdings viel von ihrem Reiz. Unstimmigkeiten wie fehlende Mundbewegungen beim Sprechen tun ihr Übriges dazu, dass das Interesse an der Hintergrundgeschichte sich in Grenzen hält.

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Schöne Welt, befriedigende Kämpfe

Auf technischer und spielerischer Ebene sieht es zum Glück besser aus. Die fixen Umgebungen, etwa Stormfall, wurden mit viel Liebe zum Detail entworfen. Ein wahres Prunkstück ist etwa der Palast des Handelsprinzen Damaskus, in dessen Dienste man sich im ersten Kapitel stellt. Die musikalische Untermalung passt gut ins Geschehen. Das Benutzen der Waffen und Wirken von Zaubern hätte man in Stormfall aber ruhig unterbinden können. Denn es wirkt etwas seltsam, dass niemand darauf reagiert, wenn man munter Feuerbälle, Blitze und sonstige Verwüstungszauber durch die Gegend schießt.

Beim Abenteuern orientiert sich Wolcen klar an Diablo 2. Man streift meist durch Außengebiete auf der Suche des Questziels und kann optional kleinere Dungeons erforschen, wo man in der Regel Mini-Bossgegner erledigt, die gerne bessere Gegenstände fallen lassen. In Sachen Fortbewegung und Kampf steuert sich Wolcen genretypisch mit der Maus und Hotkeys auf der Tastatur. Sich mit einem auf Schaden spezialisierten Magier durch Gegnerhorden zu kämpfen fühlt sich sehr befriedigend an. Und das darf man der ästhetischen und soundtechnischen Umsetzung der Gegner und Effekte zuschreiben, bei der die Entwickler gute Arbeit geleistet haben.

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Verpasste Gelegenheiten

Gepaart mit den abwechslungsreichen Umgebungen, die mitunter auch das Kathedralen- und Unterweltflair von Diablo 1 wiederaufleben lassen, fühlt man sich schnell wie zu Hause. Dazu kommen weniger klassische Settings mit lebendigen Maschinen und Kristallpalästen, die auch ihren Reiz haben. Und natürlich auch mit dabei: zerstörbare Fässer, Truhen und andere Objekte, in denen sich Gold und andere Dinge finden lassen. Hier traut man sich aber zu wenig.

Gab es schon in Diablo 1 Truhen mit Fallen, Sarkophage, aus denen statt Gold ein Skelett stieg, oder Schreine, deren Benutzung eine Horde von Monstern auf den Spieler losließ, ist bei Wolcen stets im Vorhinein klar, was zu erwarten ist. So gibt es etwa Truhen, die schon laut Beschreibung am Bildschirm erst geöffnet werden können, wenn man dafür eine kleine Armada an Finsterlingen (zurück) ins Jenseits schickt.

Gelungenes Skillsystem

Während die Möglichkeiten, den eigenen Helden äußerlich anzupassen, mittelmäßig groß sind, bietet das Skillsystem viel Freiheit. Bei jedem Level-up lassen sich zehn Punkte in vier Basiswerte (Ferocity, Toughness, Agility und Wisdom) stecken, die je nach Heldenklasse und bevorzugter Spielart unterschiedliche Vorteile bringen.

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Hinzu kommt ein Punkt, den man in einen passiven Skill stecken kann. Präsentiert wird dabei ein verästeltes Rad, in dem man sich in unterschiedlichen Richtungen vorarbeiten und dabei auch immer wieder größere Boni freischalten kann. Inspiriert ist das System ganz klar von Path of Exile. Die möglichen Pfade sollte man sich stets genau ansehen, bevor man seine Verbesserungen wählt. Es gibt aber keinen Grund zur Panik, sollte man im Verlauf des Spiels feststellen, sich "verskillt" zu haben. Denn gegen Ingame-Gold lassen sich alle Punkte neu verteilen.

Aufleveln – entweder durch Benutzung oder bei der Spezialhändlerin Demetra in Stormfall mittels "Primordial Essence" – lassen sich auch die eigenen Sonderfähigkeiten. Diese gewinnen dabei nicht nur an Schlagkraft, sondern man erhält bei bestimmten Stufen auch Punkte, die sich in Modifikatoren stecken lassen. So kann man etwa bestimmen, dass der Wirkradius der eigenen Feuerbälle wächst und ihre Verwendung weniger Willenskraft verbraucht.

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Sechs Stunden "Easy Going" mit hartem Endkampf

Ein echtes Problem hat Wolcen – jedenfalls im ersten Kapitel – aber mit dem Schwierigkeitsgrad, obwohl mit "normal" die höchste verfügbare Stufe gewählt war. Als Schadensmagier boten eigentlich normale Gegner und selbst Minibosse keine ernsthafte Herausforderung. Bis zum Finalkampf des Abschnitts war genau ein Tod zu verzeichnen, geschuldet extrem unvorsichtigem Vorgehen mangels Herausforderung. So befriedigend die magische Vernichtung der komplett berechenbaren Gegner ist, so langweilig kann es zwischendurch sein, sobald man heraußen hat, wie man Wut und Willenskraft – je nachdem, welche Klasse man spielt, ist eine dieser beiden die relevante Ressource für Fähigkeiten – balanciert.

Das änderte sich beim Endkampf allerdings dramatisch. Während die ersten beiden "Stufen" des Fights noch relativ einfach zu meistern sind, ist die Kombination aus Flächenschaden, zusätzlichen kleinen Gegnern und der schier unendlichen Gesundheit des Widersachers enorm überfordernd. Nicht unlösbar, freilich, aber alles andere als eine sinnvolle Progression des Schwierigkeitsgrads. Diese Erfahrung mag auch von der Klasse abhängig sein, die man spielt, dennoch hat Wolcen hier ein deutliches Balancingproblem, das sich besonders an der fehlenden Challenge im Vorlauf zu diesem Kampf manifestiert.

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Fazit

Wolcen: Lords of Mayhem hätte die Anlagen, Blizzard zu zeigen, wie ein modernes Diablo aussehen sollte, und vielleicht tut es das auch in Kapitel 2 und 3. Es ist jedoch mehr als schade, dass man das Potenzial in den sieben Stunden bis dahin nicht so entfaltet, wie es möglich gewesen wäre. Dafür verschenkt man einerseits zu viel beim scheinbaren Versuch, beim Spieler ja keinen Frust aufkommen zu lassen.

Und andererseits scheitert man daran, die Handlung atmosphärisch zu transportieren und so Solospielern das Gänsehautfeeling zu bescheren, das Diablo einst ausgezeichnet hat. (gpi, 28.3.2020)