Fünf Betroffene erzählen über ihre Situation, ihre Ängste, aber auch neue Strategien im prekären Kulturbetrieb.

Foto: Dietlinger, APA, Corn, Sandner, Hauk

Wo im Kulturbetrieb selbstständig gearbeitet wird, lag immer das Territorium der Überlebenskünstler. Ob der nächste Auftrag, das nächste Engagement, die nächste Förderung kommt und wann, sind Fragen, die sich Schauspieler, Fotografinnen, Autoren und viele andere, regelmäßig stellen – auch ohne Corona-Krise. Dass aber nun bei den meisten, auch wenn sie über die Jahre ein gutes Netzwerk und mehrere Standbeine aufgebaut haben, so gut wie alle Einnahmequellen ausfallen, ist ein Novum für die heimische Szene. Keine Lesungen für Schriftstellerinnen, keine Auftritte für Musiker, keine Theateraufführungen und Filmdrehs.

Wie viel kann der Staat abfedern?

Die Situation ist angespannt, auch weil Unklarheit darüber herrscht, wie viel der Staat abfedern kann und wird. Wie viel Geld des mit vier Milliarden dotierten Covid-19-Krisenbewältigungsfonds zum Beispiel an Kunst und Kultur gehen wird, wird gerade erst erarbeitet. Beim Künstler-Sozialversicherungsfonds (KSVF) kann im Falle einer Notsituation zwar um Unterstützung angesucht werden, im Moment stehen dafür aber nur 500.000 Euro pro Jahr zur Verfügung; der maximale Auszahlungsbetrag beträgt 5000 Euro. Würde an jeden dieser Maximalbetrag ausgezahlt werden, könnten 100 Künstler in Österreich versorgt werden – die Zahl der Menschen, die im Kulturprekariat arbeiten geht aber in die Tausenden.

Trotzdem versuchen viele, das Beste aus der Situation zu machen. Die Privilegierteren spielen mit Möglichkeiten, ihr Werk in den digitalen Raum zu holen. Lesungen, Vernissagen oder Konzerte werden teilweise online veranstaltet.

Es ist möglich, dass diese Entwicklungen die Kulturszene auch nachhaltig verändern, vor allem wenn damit auch neue Einkommensmodelle, zum Beispiel über Online-Aboservices und dergleichen, einhergehen.

Michaela Bilgeri, Schauspielerin

"Ich erhoffe mir eine Art Schutzschirm der Regierung für all jene in unsicheren Arbeitsverhältnissen."
Foto: Felix Dietlinger

"Der Ausfall aller Vorstellungen würde für mich einen enormen Dienstentgang bedeuten. In meinem Fall ist es momentan noch glimpflich, weil sich das Aktionstheater Ensemble und das Leitungsteam des Werk X in Wien, wo ich derzeit auftreten würde, dazu bereiterklärt haben, uns die Abendgagen vorläufig dennoch zu zahlen. Und weil ich momentan auch noch Probengeld für die Arbeit an einer neuen Produktion des Aktionstheaters bekomme. Das ist meine Rettung. Wann wir die Proben wieder aufnehmen können, ist aber noch unsicher, und wir überlegen nun Formen, wie Kunst gerade in so einer Ausnahmesituation trotzdem funktionieren kann.

Als freischaffende Künstlerin bin ich ein Einpersonenunternehmen und somit nicht abgesichert. Wenn es keinen Job gibt, gibt es auch kein Einkommen. Die IG Theater hat uns dazu aufgerufen, Dienstausfälle zu dokumentieren. Ich erhoffe mir eine Art Schutzschirm der Regierung für all jene in unsicheren Arbeitsverhältnissen, die es jetzt am härtesten trifft. Bis Juni würde ich in fünf verschiedenen Stücken mitspielen, wenn die alle ausfallen, wäre das katastrophal. Regelrecht existenzgefährdend ist es für alleinerziehende Künstlerinnen. Es wäre undenkbar, wenn deren Einnahmequellen mehrere Monate wegfallen."

Joerg Burger, Filmemacher

"Ich muss meine Fixkosten total reduzieren."
Foto: Corn

"Bei mir ist alles zum Stillstand gekommen. Der Kinostart von Elfie Semotan wurde extrem verkürzt, niemand weiß, wie lange das dauert und ob sie den Film nochmals herausbringen. Ich hatte aber noch Glück, denn zumindest die Premieren sind sich ausgegangen. Jetzt gibt es gar keine Jobs mehr. Ich habe zwei Filmprojekte am Laufen und kann gerade überhaupt nichts tun. Was das finanziell bedeutet, lässt sich noch gar nicht richtig sagen. Ich habe nur ein, höchstens zwei Projekte im Jahr, jede Zeitverzögerung kann schnell dramatisch werden. Ich muss meine Fixkosten total reduzieren.

Wir sind jetzt zu zweit auf dem Land, da geht es immerhin ein bisschen leichter. Es gibt allerdings Leute, die auf Tagesjobs angewiesen sind: Die sind noch härter getroffen. Der Klassiker: alleinerziehende Mütter in der Kunstbranche, eine Katastrophe! Für eines meiner Projekte, eine Fortsetzung von Focus on Infinity, einen Film über die Zeit, müsste ich reisen, was nun gar nicht geht. Das andere Projekt ist über das Naturhistorische Museum und das Artensterben, da hätte ich demnächst drehen sollen. Zu tun habe ich aber trotzdem genug. Gerade ist ein neues Buch zum Thema herausgekommen, Das Ende der Evolution von Matthias Glaubrecht – es hat über tausend Seiten."

Hannes Tschürtz, Gründer Ink Music

"Was nun passiert, ist aber für uns alle massiv existenzbedrohend."
Foto: Markus Sandner

"Seit 2001 kümmert sich Ink Music um Aufbau und Begleitung von Karrieren von Musikern. Damit trifft es uns in allen Bereichen in voller Härte. Aktuell beschäftigen wir neun Personen, dazu kommt unser Tochterunternehmen NTRY Ticketing, wo die Umsätze von heute auf morgen auf praktisch null gesunken sind. Ad Veranstaltungen: Wir glauben, dass wir sehr lange keine Events durchführen werden.

Der Initialschaden ist bei uns besonders hoch, da alle Planungen und die hohen Investitionen des letzten Jahres auf drei Veröffentlichungen im März und April (Lou Asril, My Ugly Clementine, Oehl) ausgelegt waren. Wir stehen nun jeweils mit vollen Regalen und leeren Händen da. Uns wird voraussichtlich mehr als die Hälfte des Jahresvolumens und damit eine sechsstellige Summe abgehen. Mehr als 20 Künstler und an die 100 Konzerte sind betroffen, dazu sind alle strategischen Planungen für viele Projekte obsolet – von Folge- und Langzeitschäden ganz abgesehen. Der Kulturbereich ist schon im Normalzustand chronisch unterfinanziert. Eine Firma wie diese aufzubauen ist nur unter großem, persönlichem Aufwand aller zu stemmen. Ich darf da auf ein leidenschaftlich kämpfendes Team stolz sein. Was nun passiert, ist aber für uns alle massiv existenzbedrohend."

Karin Peschka, Autorin

"Vom Verkauf allein können jedenfalls die wenigsten leben, jede abgesagte Lesung bedeutet also einen Einkommensverlust."
Foto: APA

"Mein neuer Roman Putzt euch, tanzt, lacht ist kurz vor den Corona-Maßnahmen herausgekommen. Ich hatte also Glück und bereits Lesungen. Viele Schreibende trifft es insofern härter. Generell ist es nicht einfach, für ein Buch Aufmerksamkeit zu bekommen und sich am Markt zu etablieren. Einige meiner Lesungen wurden verschoben, ich finde, ein Buch wird nicht zu alt für eine Lesereise. Vom Verkauf allein können jedenfalls die wenigsten leben, jede abgesagte Lesung bedeutet also einen Einkommensverlust. Für eine Einzellesung empfiehlt die IG Autorinnen ein Honorar von mindestens 400 Euro. Angst hab ich derzeit aber keine. Ich lebe günstig, meine Chancen auf eine Anstellung sind als diplomierte Sozialarbeiterin trotz eines Alters von 50 plus nicht aussichtslos.

Nach der Absage der Leipziger Buchmesse habe ich auf Youtube eine kurze Lesung hochgeladen (Fünfzehn Minuten für Leipzig). Es entstehen spannende Initiativen, vielleicht auch Videolesungen mit Verdienstmöglichkeit? Aber es ist ja nicht nur die Existenz von Kulturschaffenden bedroht, das macht mir Sorgen. Für Kolleginnen und Kollegen mit Neuerscheinungen wünsche ich mir einen Schwerpunkt in den Medien: Büchervorstellung im großen Stil. Die österreichische Literatur hat viel zu bieten und der lokale Buchhandel braucht Hilfe."

Lorenz Seidler, Kunstkommunikator

"Durch mehrere Standbeine bin ich breiter aufgestellt als viele meiner Freunde."
Foto: Brigitta Hauk

"Ich biete mit www.esel.at einen Kalenderdienst für Kunstveranstaltungen in Wien an. Ich habe eine Firma, bin als Fotograf und Künstler tätig – eine klassische Mischform. Durch mehrere Standbeine bin ich breiter aufgestellt als viele meiner Freunde. Wenn jemand von ihnen drei Absagen hat, kann er seine Miete nicht mehr zahlen. Ich kann ein bis zwei Monate länger überleben.

Der Kalender ist finanziell durch Partnerinstitutionen gestützt. Das trägt meine Mitarbeiter und die Miete. Ich recherchiere gerade, wie ich Kurzarbeit beantragen kann, falls das jetzt monatelang so weitergeht. Es steht zwar überall, dass nicht auf die KMU und Vereine vergessen wird, aber es ist nicht leicht durchschaubar, wo man den Antrag stellt oder den Notfonds anzapfen kann, und eigentlich gibt es mehr als genug anderes zu tun – ich kann plötzlich sehr viel mehr Zeit mit den Kindern verbringen.

Auch darüber hinaus hat der Ausnahmezustand schöne Seiten: Zum Beispiel entdecke ich das Kulturfeld neu. Wir erweitern den Kalender um Onlineaktivitäten, die sich gerade massiv entfalten. Ich werde als neues Einkommensmodell Foto-Editionen und ein Förderabo starten, wo User mich um wenige Euro im Monat unterstützen können. Das wollte ich schon immer machen, jetzt muss ich es machen." (afze, abs, kam, flu, wurm, 17.3.20)