Geschäft gesperrt, Job weg, Fortzahlung weg: Das könnte manchem Arbeitnehmer blühen.

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Die Regierung hat mit dem Covid-19-Maßnahmengesetz, das im Eilverfahren am Sonntag von National- und Bundesrat beschlossen wurde, viele Fragen aufgeworfen. Das gilt vor allem für die im Verordnungswege erlassenen Schließungen ganzer Sektoren. Ausgenommen sind Lebensmittelhandel, Apotheken, Drogerien, Banken, Tankstellen, Post- und Telekomleistungen und ein paar weitere Bereiche. Die vom Betretungsverbot erfassten Branchen – von Textilketten bis hin zu Friseuren – haben derzeit faktisch kein Geschäft.

Kein Ersatz durch Bund

Neben der Freisetzung von Mitarbeitern oder der Inanspruchnahme von Kurzarbeit könnten die mit Umsatzeinbußen konfrontierten Unternehmen die Löhne und Gehälter nicht mehr bezahlen. Dazu hätten sie auch das Recht, bestätigen mehrere Arbeitsrechtsexperten. Denn die Regierung hat dazu die Tür geöffnet. Warum das so ist? Unter dem Epidemiegesetz haben Mitarbeiter einen Anspruch auf Fortzahlung, wenn der Betrieb dichtgemacht wurde, der Arbeitgeber kann sich die Ausgaben vom Bund zurückholen.

Mit dem neuen Gesetz wurde diese Regelung ausgehebelt. Paragraf 4 besagt, dass die Bestimmungen des Epidemiegesetzes betreffend die Schließung von Betriebsstätten mit Inkrafttreten der genannten Verordnung nicht zur Anwendung gelangen. Das wirft nun die Frage der Lohnfortzahlung auf. Laut den Experten der Rechtsanwaltskanzlei CMS besteht im Falle einer Pandemie "keine Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers". Der Grund: Corona sei als höhere Gewalt einzustufen, bei der laut Risikoregelung des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) der Arbeitnehmer den Schaden zu tragen habe.

Höhere Gewalt

Das sieht auch die Arbeitsrechtsexpertin Barbara Klinger von der Kanzlei Schindler so: Die herrschende Meinung vertrete die Ansicht, dass die Arbeitnehmer den Entgeltfortzahlungsanspruch dann verlieren, wenn die Arbeitsleistung aufgrund von höherer Gewalt unterbleibt, die nicht nur den konkreten Arbeitgeber, sondern die Allgemeinheit trifft. Klinger jedenfalls wertet die Pandemie als höhere Gewalt. Sei die Betriebsschließung aufgrund der Covid-19-Maßnahmen notwendig, sei von einem Entfall der Ansprüche der Beschäftigten auszugehen.

Dass höhere Gewalt gegeben ist, darauf hat Rechtsanwalt Ralf Peschek von der Kanzlei Wolf Theiss schon zu Wochenbeginn im STANDARD verwiesen. Er argumentierte unter anderem mit einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. Demnach entfällt bei Elementarereignissen, die auch die Allgemeinheit betreffen, die Entgeltpflicht des Arbeitgebers.

Durch Hintertür entsorgt

Von der Lehre wird diese Ansicht untermauert. Andreas Vonkilch, Zivilrechtsprofessor in Innsbruck, sieht daher massive sozialpolitische Probleme auf Österreich zukommen. Denn manche Unternehmen könnten – "wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen" – gezwungen sein, die Fortzahlung einzustellen.

Warum der Gesetzgeber diese Lücke aufgerissen hat, ist zwar nicht klar, Vonkilch hat aber eine Vermutung: "Der Gedanke war wohl, dass der Staat das nicht stemmen kann." Dabei geht es nicht nur um die Übernahme der Lohnkosten bei verordneten Schließungen, sondern auch um den Ersatz des Verdienstentgangs durch die öffentliche Hand. Der Staat habe diese Verpflichtung "über die Hintertür entsorgt", so Vonkilch.

Klarstellung erhofft

Die Anwältin Klinger hofft freilich noch auf eine klarstellende Regelung, beispielsweise indem der Gesetzgeber die durch Schließungen betroffenen Gehälter noch übernimmt. Denn von einem kann ausgegangen werden: Der Arbeitgeber könnte mit der Aussetzung der Lohnzahlungen ein Rechtsrisiko eingehen, womit langwierige Gerichtsverfahren drohen könnten. Professor Vonkilch wiederum kann sich einen anderen Eingriff vorstellen: Die Fortzahlung könnte den Arbeitgebern durch einen entsprechenden Zusatz im ABGB auferlegt werden.

Gar nicht angetan von der jetzigen Verunsicherung ist der Arbeitsrechtsexperte Martin Risak. Er will die Frage der Entgeltpflicht bei verordneten Schließungen nicht so einfach beantworten. Er argumentiert, dass die öffentliche Hand mit der neuen Kurzarbeitsregelung und dem Krisenfonds mittelbar in der Krise einspringe, wie sie es laut Epidemiegesetz unmittelbar getan hätte. Es sei daher nicht so eindeutig, ob sich der Arbeitgeber auf höhere Gewalt berufen könne.

Regierung zurückhaltend

Die Regierung hält sich schon seit Sonntag mit öffentlichen Aussagen zu den Problemen Verdienstentgang und Entgeltfortzahlung bei Betriebsschließung zurück. Das Wirtschaftsministerium beantwortete die Frage, ob das Aussetzen der Löhne und Gehälter in Kauf genommen werde, nur allgemein. "Das Epidemiegesetz wurde in den Fünfzigerjahren geschaffen und ist dafür da, einzelne Betriebe zu schließen, von denen unmittelbar eine Gefahr ausgeht. Derzeit befinden wir uns in einer Pandemie, die in dieser Form seit dem Zweiten Weltkrieg nicht vorlag, und deshalb war eine neue Regelung notwendig." (Andreas Schnauder, 18.3.2020)