Ein Camp intern Vertriebener nahe der syrischen Stadt Sarmada in der Provinz Idlib.

Foto: APA / AFP / Omar Haj Kadour

Der Krieg in Syrien geht ins zehnte Jahr, Mitte März 2011 hatten die ersten Demonstrationen gegen das Regime von Bashar al-Assad begonnen. Zwar hat Assad, der 2015 nur durch eine russische Intervention und iranische Unterstützung gerettet wurde, inzwischen wieder 70 Prozent des Landes unter seiner Kontrolle. Aber im Rest haben sich auch ausländische Truppen festgesetzt, die Assad, anders als die Russen und Iraner, nicht hergebeten hat – ein US-Kontingent bei Deir ez-Zor, aber vor allem die türkische Armee, im Norden und im Westen. Unruhe gibt es jedoch auch in von Assad zurückeroberten Gebieten, im Süden in der Provinz Daraa, aber auch vermehrt im Drusengebiet um Suwaida. Und nun kommt die Herausforderung von Covid-19 auf das in Trümmern liegende Land zu.

Syrien hat, Stand Dienstag, offiziell noch keinen Coronavirus-Fall, aber niemand glaubt dem Gesundheitsminister, der dies behauptet. In ausnahmslos allen Nachbarländern – Israel, Türkei, Libanon, Jordanien, Irak – ist das neue Virus aufgetreten. Es ist bezeichnend, dass auch die beiden anderen arabischen Kriegsländer Jemen und Libyen keine Corona-Fälle melden: Ein am Boden liegender Gesundheitssektor kann die Gefahr nicht einmal identifizieren.

Wahlen verschoben

Dennoch hat Syrien Maßnahmen ergriffen, Schulen und Moscheen geschlossen und das öffentliche Leben eingeschränkt sowie anstehende Parlamentswahlen – die ohnehin kaum jemand ernst nimmt – von 13. April auf den 20. Mai verschoben. Die Passagiere einer aus dem Irak gekommenen Linienmaschine wurden in Quarantäne gesteckt. Die täglichen Landungen von Flugzeugen aus dem Iran, der unter dem stärksten Covid-19-Ausbruch in der ganzen Region leidet, scheinen niemanden zu stören.

Große Sorge besteht angesichts der Situation der in den vergangenen Wochen aus der Provinz Idlib Geflüchteten, hunderttausender Menschen, die unter fürchterlichen hygienischen Zuständen in behelfsmäßigen Unterkünften leben müssen. Da der am 5. März in Moskau zwischen den Präsidenten Wladimir Putin und Tayyip Erdoğan beschlossene Waffenstillstand die Gebietsgewinne bestätigt, die Assad in der letzten Zeit erzielen konnte, werden die meisten Flüchtlinge nicht in ihre ursprünglichen Wohngebiete zurückkehren. Sie haben Angst vor der Rache des Regimes an einer rebellischen Bevölkerung. Diesem mag es durchaus recht sein, diese Menschen loszuwerden.

Die Umsetzung des Moskauer Abkommens für Idlib hat inzwischen begonnen, die Details über die türkisch-russische Zusammenarbeit wurden vor wenigen Tagen finalisiert. Bereits am Sonntag fand die erste gemeinsame Patrouille an der M4, der Autobahn Latakia–Aleppo, statt, die durch das Rebellengebiet führt. Ankara und Moskau haben sich auf eine gemeinsame Kontrolle der Verkehrsroute verständigt, an deren Seiten im Norden und Süden eine Sicherheitszone von jeweils sechs Kilometern eingerichtet werden soll. Die M5 weiter östlich, die Autobahn Damaskus–Aleppo, befindet sich wieder völlig unter der Kontrolle des Regimes.

Patrouille frühzeitig beendet

Dementsprechend groß ist die Unzufriedenheit mancher Rebellengruppen in Idlib darüber, dass Erdoğan, wie sie es sehen, den Russen gegenüber eingeknickt ist. Immerhin gestattet die Abmachung russischer Militärpolizei den Zutritt zu Rebellengebieten. Der Widerstand dagegen formiert sich, auch die erste Patrouille am Sonntag wurde gestört und deshalb vorzeitig beendet. "Terroristen", so die türkische Begründung laut "Al-Monitor", hätten Zivilisten als Schutzschilde genommen: Demnach wären die Proteste – unter anderem Sit-ins auf der Autobahn – gegen die türkisch-russischen Patrouillen von radikalen Rebellengruppen organisiert worden und nicht von Aktivisten und Zivilisten ausgegangen.

Die Türkei unterstützt zwar Rebellengruppen, hat aber auf die stärkste Organisation, die auch von der Uno als Terrororganisation eingestufte HTS (Hay'at Tahrir al-Sham), wenig Einfluss. Die HTS, die Al-Kaida zugerechnet wird, ist mit Abstand die mächtigste Gruppe in Idlib. Dass die Türkei sie nicht, wie im Herbst 2018 im Sotschi-Abkommen vereinbart wurde, zurückdrängen konnte, war auch die offizielle russische Begründung für die Offensive gegen Idlib. Die HTS hatte regelmäßig aus der Provinz Idlib heraus den russischen Militärstützpunkt Khmeimim bei Latakia angegriffen.

Erdoğan schielt nach dem Öl

Erdoğan will die wieder reparierte Beziehung zu Putin auch noch für andere Zwecke nützen: Vor türkischen Journalisten berichtete er, er habe dem russischen Präsidenten vorgeschlagen, die Ölfelder bei Qamishli und Deir ez-Zor gemeinsam zu managen und die Einkünfte zur Finanzierung des Wiederaufbaus in den türkisch kontrollierten Gebieten in Nordsyrien zu nützen.

Die Ölvorkommen werden – mit US-Militärhilfe – momentan von den SDF (Syrian Democratic Forces) bewacht, das heißt von den syrischen Kurden der YPG, die auch von den Einnahmen profitieren. Anstatt "Terroristen" zu finanzieren – für die Türkei ist die YPG identisch mit der PKK –, könnte man etwas für den Wiederaufbau tun, so Erdoğan. Was Erdoğan will, ist klar: die YPG, die von der türkisch-syrischen Grenze vertrieben wurde, weiter schwächen. Putin wiederum hat Interesse daran, die syrischen Kurden zu einem Kompromiss mit Assad zu zwingen. Wem das alles nicht gefallen dürfte, ist US-Präsident Donald Trump, der ja, wenn er von der US-Präsenz in Syrien spricht, immer gerne sagt: "Wir haben das Öl." Aber laut Erdoğan will Trump ohnehin bald abziehen, wieder einmal. (Gudrun Harrer, 18.3.2020)