Derzeit stellen sowohl das Virus Covid-19 als auch die von der Regierung gesetzten Maßnahmen das soziale Leben der Österreicherinnen und Österreicher auf den Kopf. Während keinerlei Zweifel daran bestehen, dass der Ausbreitung des Virus unverzüglich Einhalt geboten werden muss, so stellen uns die damit verbundenen Einschränkungen im täglichen Leben nicht nur vor wirtschaftliche Probleme - auf privater und auf Firmenebene - sondern sie bringen bisher ungeahnte sozialdynamische Prozesse ans Licht. Da verwandeln sich Menschen, mit denen man beim Treffen im Supermarkt üblicherweise lockeren Smalltalk geführt hat und die laut eigenen Angaben keiner Fliege etwas zu Leide tun könnten, in skrupellose Kampfmaschinen, wenn es ums Ergattern der letzten Klopapierpackung geht. Solches Verhalten wirft doch Fragen über unsere Gesellschaft und letztlich über uns selbst auf.

Widerstand des Unbewussten

Zugegeben, es wäre durchaus interessant der Frage des Supermarktverhaltens an dieser Stelle weiter nachzugehen, jedoch ist es nicht unerheblich danach zu fragen, inwiefern sich diese Persönlichkeitszüge derzeit in den privaten vier Wänden Ausdruck verschaffen. Während man sich in seinen Tagträumen, die einem stressigen und lauten Alltag entspringen, üblicherweise wünscht, man könnte einfach so für zwei Wochen zu Hause bleiben, das schöne Wetter genießen, müsste noch nicht mal einen Einkauf tätigen und keine Menschenseele treffen, so überraschend trüb und grau sieht die Realität aus, wenn ein solcher wodurch auch immer ausgelöster Zustand tatsächlich eintritt.

Die Rechnung mit der Vorstellung zusammen mit der Familie auf einer einsamen Insel zu stranden und das Leben zu genießen hat man wahrscheinlich ohne alle anderen Beteiligten gemacht und derart romantisch wie im Wunschtraum ist es dann doch nicht. Während die einen es tatsächlich schaffen, sich zu entspannen und wie in Jugendtagen Serie um Serie im TV zu konsumieren, kommen bei anderen sämtliche übers Jahr vernachlässigten Beziehungsfragen ans Licht, ähnlich wie in der vielen gut bekannten Urlaubssituation, in welcher es oft mehr explosiv kracht als erotisch knistert. Dazu gesellen sich gelegentlich unaufgearbeitete persönliche Konflikte und möglicherweise Zukunftsängste, die einem die Umsetzung der Traumvorstellung erschweren oder diese gar unmöglich machen.

Witzeling

Psychologie der Extremsituation

Kommen ein entsprechendes Home-Office Arbeitspensum und die gleichzeitige Kinderbetreuung hinzu wird bereits der Ansatz der Vorstellung im Keim erstickt. Stellt sich die Frage, ob man der Situation nicht doch etwas Positives abgewinnen kann? Mit einem einfachen "ja, wenn man positiv denkt" zu antworten scheint zwar furchtbar banal und abgedroschen, ist aber schwieriger umzusetzen als man denkt. Die Umsetzung kann nur dann gelingen, wenn man in seine Vorstellungen als erstes nur sich selbst integriert und versucht, diese mit ein wenig ertragbarer Realität zu würzen. Das bedeutet, man sollte sich zu allererst bewusst werden, was man sich überhaupt vorstellt.

Verabschieden Sie sich von Klischeevorstellungen, wie sie einem in der Werbung präsentiert werden. Besinnen Sie sich auf das, was für Sie entspannend ist, hüten Sie sich davor, diese Vorstellung anderen aufzuzwingen und geben Sie sich Zeit für Konflikte - ob mit sich selbst oder anderen.

Der österreichische Psychoanalytiker Ernst Federn erkannte die elementare Bedeutung der psychischen Instanz des "Über-Ich", jener psychischen Struktur in der nach Sigmund Freud soziale Normen, Werte, Gehorsam und Moral angesiedelt sind, als wichtigen Faktor in Extremsituationen. Diese Instanz fungiert für unsere Seele als eine Art Rückgrat und verhindert somit, dass wir uns in Krisensituationen an die sprichwörtliche Gurgel gehen, was wiederum zur Folge hat, dass unser soziales Leben nicht vollkommen aus dem Ruder läuft. Ein Mensch verfügt weiters - frei nach dem Psychoanalytiker Bruno Bettelheim - im Normalfall über Schutz- und Abwehrmechanismen um starke Belastungen, die durch ungünstige Lagen verursacht sind, zu bewältigen. In diesem Sinne hören Sie ein wenig auf Ihr Über-Ich. (Daniel Witzeling, 19.3.2020)

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