24-Stunden-Betreuung in Österreich: Es sind in erster Linie Rumäninnen, die 33.000 Betroffene rund um die Uhr pflegen. Dies rächt sich nun in der Corona-Krise.

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Wien – Markus Golla trommelt quer durch Österreich Personal zusammen. Mehr als 800 Leute hat er bisher ins Boot geholt, die bereit sind, in Pflegeheimen, Krankenhäusern und Familien auszuhelfen. Mehrere tausend werden es in den kommenden Tagen sein, ist sich der Leiter des Studiengangs Pflege an der Fachhochschule IMC Krems sicher. Es sind Pflegekräfte, die sich über ihre Arbeit hinaus engagieren oder ihre Pension unterbrechen wollen, es sind Menschen aus Gesundheitsberufen und junge Studierende, die ein Wechsel in die Praxis reizt. Noch sei ein rechtlicher Rahmen für den Nachwuchs nötig, um sich bei der Betreuung älterer und kranker Menschen zu engagieren, sagt Golla: "Aber wir werden das Potenzial an tausenden Schülern und Studenten auf jeden Fall brauchen."

Anlass für das Notprogramm sind die wegen des Coronavirus verhängten Reisebeschränkungen. Im gesamten Pflegesystem sei die Lage "angespannt", heißt es aus dem Sozialministerium, zuallererst aber in der 24-Stunden-Betreuung. Die Hälfte der rund 66.000 Kräfte in diesem Bereich sind Rumäninnen, doch die können wegen der geschlossenen ungarischen Grenze nicht nach Österreich; die Ungarn haben die Schranken lediglich vorübergehend bis Donnerstagfrüh für Heimfahrer geöffnet. Slowakinnen, die zweitgrößte Betreuerinnengruppe, hingegen dürfen einpendeln, sofern ihr Arbeitsplatz nicht weiter als 30 Kilometer im Land liegt.

Österreich verhandelt mit den Nachbarländern – wie es heißt – "auf allen Ebenen", um Ausnahmen für die Pflegekräfte zu erreichen, doch ein Ergebnis sei nicht absehbar. Was, wenn die Bemühungen scheitern?

Die Zeit drängt

Mit viel Improvisation ließe sich die 24-Stunden-Betreuung trotz geschlossener Grenze noch bis Ostern durchhalten, heißt es vonseiten der Caritas, die rund 800 Betreuerinnen vermittelt: Dankenswerterweise würden aktuell im Land befindliche Frauen ihren üblicherweise zweiwöchigen Turnus verlängern. Aber um Lücken zu schließen, müssten zusätzlich Kräfte von den mobilen Pflegediensten abgezogen werden, sagt Generalsekretär Bernd Wachter, was den nächsten Engpass provoziere: Schon vor Corona musste die Organisation Anfragen ablehnen, weil es an Personal mangelte.

Bibiána Kudziová, selbst Personenbetreuerin und Sprecherin der Branche in der Wiener Wirtschaftskammer, setzt die Frist noch kürzer an. In zwei bis drei Wochen sei die Kraft jener Pflegerinnen, die in Österreich blieben, erschöpft: "Wer nicht mehr kann, fährt heim und kommt nicht wieder." Abgesehen von Ausnahmeregelungen an den Grenzen hofft Kudziová auf den Einsatz von Zivildienern, die Pflegenden zumindest zeitweise Luft verschaffen.

Begrenzter Pool an Zivildienern

Genau daran arbeitet die Regierung. Die türkis-grüne Koalition will Ex-Zivildiener rekrutieren, die in den letzten fünf Jahren Dienst geleistet haben, in Betracht kommen in Summe 45.000 Männer. "Doch dieser Pool ist nicht unerschöpflich", warnt Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger. Zivildiener würden auch stark in anderen Bereichen wie der Lebensmittelversorgung gebraucht. Ohne Ausbildung seien Freiwillige im Dienst an Älteren und Kranken zudem rasch heillos überfordert.

Freiwilliger Helfer in einem Seniorenheim: Fallen professionelle Kräfte wegen Corona aus, muss die Regierung Ersatz auftreiben.
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In die Pflicht genommen gehörten aber auch Vermittlungsagenturen, die sich nicht aus der Verantwortung stehlen dürften. "Sie wurden dafür bezahlt, dass sie im Notfall Ersatz organisieren", sagt Meinhard-Schiebel und sieht am meisten jene Familien in einer misslichen Lage, die sich privat Hilfe organisiert haben: Ist die Betreuerin weg, gibt es keinerlei Anspruch auf Vertretung. Vor allem ungarische Pfleger bleiben bereits in größerem Ausmaß fern und bei ihren eigenen Familien daheim. Tageszentren und Betreuungseinrichtungen, die für Entlastung sorgen können, sperren ebenfalls wegen Corona zu. Pflegende Angehörige sind aufgrund ihres hohen Alters oft selbst in Isolation und mit der Situation überfordert.

Betreuerinnen vom Bankrott bedroht

Auch Matthias Haider hält neben einer Grenzlösung den Einsatz von Zivis zwar für wichtig, aber nur für bedingt möglich, denn Betreuung gehe in der Praxis oft in anspruchsvolle Pflege über. Obwohl seine Agentur Pflegepartner für knapp 200 Familien vor allem rumänische Betreuerinnen vermittelt, registriert er mit "Stand heute keinen Engpass". Auch seine Mitarbeiterinnen sicherten ihm zu, ihren Turnus zu verlängern, "aber keiner weiß, wie die Situation in einigen Wochen ist". Jenen Kräften, die trotz aller Turbulenzen bleiben, sollte der Staat dies auch finanziell danken, fordert Haider.

Nötig sei aber auch finanzielle Unterstützung für jene, die aufgrund der geschlossenen Grenzen nicht mehr arbeiten können, ergänzt die Branchenvertreterin Kudziová: "Fällt der ohnehin geringe Lohn ganz weg, gehen viele bankrott und legen das Gewerbe nieder. Dann haben wir nach Corona aufgrund fehlender Betreuer die nächste Krise."

Caritas-Vertreter Wachter sinniert bereits über Worst-Case-Szenarien. Es gebe bestimmt massenhaft rechtliche Einwände, sagt er, aber wenn derzeit viele Hotels und Rehab-Zentren leerstehen, sei es zu überlegen, dort Bedürftige gesammelt unterzubringen – dann sei für die Rund-um-die-Uhr-Betreuung viel weniger Personal nötig. (Gerald John, Verena Kainrath, 18.3.2020)