Neue Technologien, etwa eine verbesserte Art, die Wagons miteinander zu koppeln, sollen dem Schienengüterverkehr Schub geben.

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In Deutschland ist die auf der Schiene verladende Wirtschaft – trotz Corona-Turbulenzen – guter Dinge. Ob Einzelwagenverkehr, Gleisanschlüsse oder automatische Güterwagenkupplung: Überall wird Licht am Horizont gesehen. Das wurde bei einem vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) gemeinsam mit dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) in Berlin veranstalteten Fachforum deutlich.

Der Grund: Die Bundesregierung stellt Geld für den Bahnausbau bereit. Das wiederum hat seine Ursache in der Klimaveränderung, die eine politische Hinwendung zur Schiene nicht nur in Deutschland zur Folge hat. Von 86 Mrd. Euro in den kommenden zehn Jahren ist die Rede. Mitte des Jahrzehnts sollen Folgevereinbarungen zu dieser Leistungsfinanzierung begonnen werden, um 2040 in Deutschland über ein optimales Netz zu verfügen.

Bis dahin sei auch die Digitalisierung der Bahn geplant. Auf dem Weg zur digitalen Schiene hat die Deutsche Bahn die Link2rail-Plattform geschaffen, auf der die Kunden bestellen und ihre Sendungen nachverfolgen können.

Skepsis der Experten

"Durch die Innovationen sind mehr als 100 Millionen Trassenkilometer bis 2040 zu erreichen", sagte der Digital-Manager der Deutschen Bahn, Stefan Stroh. Im Güterverkehr solle durch neue Technik vieles einfacher werden: "Die Mittelpufferkupplung ist ein ganz großes Thema, das wir vorantreiben wollen", sagte der parlamentarische Staatssekretär im Verkehrsministerium, Enak Ferlemann. Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 werde darauf der Schwerpunkt gelegt.

Skeptisch zeigt sich Bernd H. Kortschak, Logistikwissenschafter an der Wiener Wirtschaftsuniversität, insbesondere was den Zeithorizont von fünf Jahren für eine europaweite Umstellung betrifft.

Bereits 1970 hätten die europäischen Bahnen beschlossen, die Mittelpufferkupplung 1981 einzuführen, allerdings sei die französische Staatsbahn SNCF schon 1973 aus dem Projekt ausgestiegen, weil sie ihre Mittel lieber in den Aufbau eines TGV-Netzes stecken wollte, und habe damit das gesamte Projekt zum Scheitern gebracht, sagte Kortschak im Gespräch mit dem STANDARD.

Eine Branche in Aufbruchstimmung

Peter Reinshagen, Managing Director von Ermewa, einem zur SNCF gehörenden Logistikkonzern, hingegen versicherte bei der Veranstaltung in Berlin: "Wir sprechen jetzt über eine digitale automatische Kupplung. Ihre 28 unterschiedlichen Nutzen sind derzeit so stark, dass wir in die Richtung gehen."

Es existiert sogar schon der Begriff vom "elektrifizierten Güterwagen": Künftig sollen die einzelnen Wagons eines Zuges die Bremsprobe automatisch durchführen und an die Lokomotive melden. Das spart Zeit und die gefährliche Arbeit eines Wagenmeisters.

"Das ist die Zukunft, davon bin ich felsenfest überzeugt", sagte der Chef von GATX, einer Leasinggesellschaft für Schienenfahrzeuge, Johann Feindert. Er warnte allerdings: "Wenn sie nicht europäisch gemacht wird, wird die automatische Kupplung wieder scheitern."

Die SNCF, die bereits ein solches Modell erproben, hätten aber errechnet, dass ein digitaler Güterzug um 25 Prozent teurer sei als ein herkömmlicher, gibt Kortschak zu bedenken. "Wenn man weiß, dass die Bahn insbesondere wegen ihrer Kostenstruktur die noch verbliebenen Märkte sukzessive verloren hat, dann weiß ich nicht, inwieweit eine Verteuerung des Bahngüterverkehrs um 25 Prozent Minimum in der Lage ist, den Bahngüterverkehr wirtschaftlich am Leben zu erhalten", sagte er.

Modal Split soll angehoben werden

Dessen ungeachtet erhält auch der Einzelwagenverkehr in Deutschland wieder Rückenwind. "Es war falsch, in den Gewerbegebieten das Gleis herauszunehmen", sagte Staatssekretär Ferlemann und versprach, beim Bau künftiger Gewerbegebiete die Schiene gleich mitzuverlegen.

Der Modal Split solle in Deutschland für die Bahn von 18 auf 25 Prozent angehoben werden. "Das ist 70 Prozent mehr und eine große Herausforderung", sagte Ferlemann. Mario Carl, Geschäftsführer von Innofreight Germany, ergänzte: "Ich kann mich nicht erinnern, dass es in den letzten Jahren eine so gute Aufbruchstimmung gab."

Für dieses Zuwachsszenario haben sich die Bahnspediteure und Wagenhalter eine Reihe von Innovationen ausgedacht: Der Technische Innovationskreis Schienengüterverkehr etwa tüftelt am "Competitive Rail Waggon", einem ganzen Zug aus Leichtmaterialien gebaut, aerodynamisch und leise.

Innofreight hat einen kurz gekuppelten Doppelwagen für diverse modulare Aufbauten entwickelt. Und der Hamburger Spediteur Zippel bietet eine CO2-freie Transportkette im kombinierten Verkehr an: Elektro- oder Hybridlokomotiven, mit Biomethan angetriebene Lkws.

Bedenken und Gegenvorschläge

Joachim Berends von der Bentheimer Eisenbahn wies auf das Wegbrechen des Kohlegeschäfts in der Zukunft hin und drängte zum weiteren Ausbau eines Netzes für 740 Meter lange Züge, sogar vereinzelt für mehr als 1000 Meter lange Züge. Er ist euphorisch: "So viel Spaß hatten wir in der Branche schon lange nicht mehr."

Doch auch da bremst der Wiener Logistikwissenschafter Kortschak den Optimismus: Zwar habe der Einzelwagenverkehr Potenzial, seinem Erfolg stehe aber eine überlange Beförderungszeit verglichen mit dem Lkw von 4:1 entgegen: "Diese zeitlichen Unterschiede kann die verladende Wirtschaft einfach nicht verkraften, das würde sie vom Markt verdrängen", sagte Kortschak. "Solange die Bahn Leistungen anbietet, die in ihren Grundprinzipien aus dem Jahr 1876 stammen, solange wird das Sterben im Einzelwagenverkehr weiter anhalten."

Sein Vorschlag: Verkürzung der Zugbildezeiten auf planbar eine Stunde für eine Transportentfernung zwischen 600 und 1000 Kilometern, um wieder wettbewerbsfähigen Einzelwagenverkehr anbieten zu können. Dies wäre nach Meinung Kortschaks auch ohne weitere Elektrifizierung oder Digitalisierung der Güterbahn möglich. (Stefan May, 22.3.2020)