Himbeer-Ente gefällig? Klemens Schraml lehnt sich mit seinem entrisch gelegenen Nobelrestaurant in vielfacher Hinsicht weit aus dem Fenster.

Foto: Georges Desrues

Manche Wirtshäuser sind die Reise wert, andere lohnen den Besuch schon allein, weil die Reise dorthin so schön ist. Beim Restaurant Im Rau, das vergangenes Jahr im Pechgraben, einem engen Seitental der Enns im Gemeindegebiet von Großraming in Oberösterreich, eröffnet hat, gilt eindeutig Letzteres.

Okay, die Westautobahn bis Amstetten will man nur unbeschadet hinter sich bringen, dann aber wird es ziemlich schnell spektakulär – wenn man etwa zwischen Bruckbach und Ertl eine Navi-Abzweigung verpasst, worauf Google Maps zur Strafe auf einen besseren Kuhsteig umleitet.

Plötzlich tut sich im letzten Licht des Tages ein weites Tal auf, mit winterstarren Almen und rauchigem Speckduft in der Luft, vor allem aber, in der Ferne, mit der weit oben thronenden Basilika auf dem Sonntagberg.

Der aufgehende Vollmond taucht die Szenerie in silbernes Licht, der Fotograf am Steuer flucht verhalten, schließlich staksen sogar ein paar verfrorene Rehe durchs Bild. Für einen Augenblick möchte man glauben, das Land sei im Frieden mit sich selbst.

Gasthaus war einmal

Dann geht es über dramatische Serpentinen ins Tal, da steht der Wald wie eine schwarze Wand, ein Bach rauscht, und Rollsplitt macht die Fahrt zur Rutschpartie. Irgendwann, nach wenigen Dörfern, sehr viel dunklem Tann und noch mehr Kurven, steht man vor dem Wirtshaus von Klemens Schraml. Unter seinem Vater hieß es noch Gasthaus Steiger, seit der Sohn übernommen und umgebaut hat, ist es das Restaurant Im Rau.

Von außen sieht das noch wie ein gestandenes Wirtshaus aus, bis hin zur Eisstockbahn neben dem Haus, wo die Männer aus dem Graben gerade lautstark am Schießen und Johlen sind und das Bier aus großen Krügen fließt.

Wiener Schnitzel oder gar Schweinsbraten aber stehen hier nicht mehr auf der Karte, Gewöhnlichkeiten dieser Art hat Schraml konsequent verbannt. Der junge Mann erkochte nämlich im Schweizer Jetset-Skidorf Zermatt schon einen Stern und ist offenbar nicht nach Hause zurückgekehrt, um seine Küche auf volkstümlich zu trimmen.

Stattdessen hat er das alte Knappenwirtshaus der Eltern und Großeltern ausgehöhlt und ein lupenreines Fine-Dining-Restaurant hineingestemmt, mit einer verglasten Schauküche und weiten, edel gezimmerten Tischen samt angesagten Besteckladen, in denen neben Besteck (Silber, Robbe & Berking) auch das frisch aufgebackene, eigens aus Wien importierte Öfferlbrot wartet. Dass es am Land keine ordentlichen Bäcker mehr gibt, verwundert ein wenig – als hipper Koch aber hat man vielleicht spezielle Anforderungen.

Hallo Welt!

Gemeinsam mit Küchenchef Christopher Koller legt Schraml ein kompromisslos internationales Menü vor. Königskrabbenbeine werden zu nobler Tempura frittiert und durchaus gewagt mit roh marinierter Makrele und knackigem Löjrom-Kaviar aus Schweden kombiniert. Knapp gegarte Wildgarnelen kommen mit Artischocken und eingelegten grünen Tomaten in extrem dichtem Parmesansud zu Tisch.

Meisterlich an den Garpunkt geschmeichelter Atlantik-Heilbutt badet in einer intensiv fordernden Molke-Miso-Reduktion mit Salzkaramell, dazu gibt es fermentierten Kohlrabi und einen Schlenker Kürbiskernöl – wuchtige Edelküche, bei der nicht nur Einheimische mit den Ohren schlackern.

In derselben Tonart geht es auch beim Fleisch weiter. Eine spektakulär samt Flosse gebratene Entenkeule (siehe Bild) gerät zwar einen Hauch zu trocken und faserig, dafür macht die Optik mit gefriergetrockneter Himbeere, roter Rübe und Gänseleber umso mehr her.

Selbst der Käsegang, ein Art Fondue auf tiefschwarzer, alles in Beschlag nehmender Creme vom fermentierten Knoblauch mit Erdäpfel-Krokant, wird zur aufwendigen Preziose modelliert. Die Gäste aus der Region sind ob solchen Muts und Wagemuts baff begeistert – und pilgern in Scharen zum heimgekehrten Sohn. So schön, wenn solch ein Wagnis belohnt wird! (Severin Corti, RONDO exklusiv, 20.3.2020)