Kurator und Sammler Antonis Stachel samt Götterboten-Nackedei im Sommersalon des Palais Rasumofsky. Sein Fantasiename lautet "Gräfin Sanziany", nach diesem ist auch die Kunstsammlung benannt.

Foto: Stefan Oláh

Das Palais Rasumofsky im dritten Wiener Bezirk kennt man höchstens vom Vorbeigehen. Dass sich unter seinem Dach eine schier unfassbare Sammlung moderner Kunst befindet, weiß kaum jemand. Ein Besuch bei Kurator Antonis Stachel, der hier mit dem Industriellen Adrian Riklin auch ein Zuhause fand.

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In 20 Jahren als Designjournalist klopft man an die Türen unzähliger Bleiben, vom Studentennest bis zum Protzpalast. Doch dann kommt eines Tages der absolute Wow-Moment, in dem einem der Mund offensteht oder – bundesdeutsch formuliert – das Blech wegfliegt. So geschehen im Palais Rasumofsky im dritten Wiener Bezirk.

Das Rasumofsky ist kein Palais im Reigen der vielen alten Stadtpalais, die sich gleich einer aufgetrennten Perlenkette über die ganze Stadt verteilen. Das Rasumofsky ist, wie soll man sagen, eine Mischung aus einem Roman von Jane Austen, einem dreidimensionalen Durchblättern der Zeitschrift Architectural Digest und einer Folge der TV-Serie Miami Vice. Und ein ordentlicher Schuss Museum of Modern Art.

Der Prunkbau funktioniert als Zeitmaschine, in der sich Wunderkammer an Wunderkammer anschmiegt, allesamt Destillate aus mehr als 200 Jahren. Bis unters Dach finden sich unzählige Kunstwerke und Designschätze, die so manch berühmtem Museum Konkurrenz machen.

Design trifft Kunst trifft Klassizismus. Schon der Kuppelraum lässt dem Besucher beim Betreten den Mund offenstehen.
Foto: Stefan Oláh

Nichts von all dem ist zu ahnen, während man auf der Suche nach dem richtigen Eingang seine Runden um die Anlage mit ihren pompösen Säulen dreht, bevor die Blicke auf einer eher popeligen Gedenktafel pickenbleiben: "In diesem Gebäude wohnte Fürst Andrej K. Rasumovsky, Botschafter des Russischen Reiches am Hofe zu Wien (1790–1799, 1801–1807), der als hervorragender Diplomat, bedeutender Mäzen und Förderer der Künste ein bleibendes Andenken in der Geschichte Europas hinterlassen hat".

Zu lesen ist, was halt so draufsteht, auf einer Gedenktafel, aber über den guten Mann, der das klassizistische Gebäude errichten ließ, diesen Musikmäzen und Kunstsammler, gibt es noch mehr zu sagen: Unter anderem diente er auf englischen Schiffen, nahm an der Seeschlacht bei Chios gegen die Türken teil und wurde angeblich wegen einer Liebesaffäre mit der späteren Gemahlin des Zaren Paul als Gesandter nach Neapel verfrachtet.

1814 brachte er es gar zum russischen Delegierten beim Wiener Kongress. Am letzten Tag jenes Jahres, auch Kaiser Alexander I. von Russland war zugegen, brannte ein Trakt des Palais nieder. Dabei ging so mancher Kunstschatz in Flammen auf. Reicht für eine Romanvorlage, oder?

Eines der vielen Zimmer im Palais, in dem die Gefahr, sich zu verlaufen, keine kleine ist.
Foto: Stefan Oláh

Vor allem das Kunstsammeln haben die jetzigen Bewohner des Palais, Antonis Stachel und Adrian Riklin, mit dem Urhausherrn gemein. Mit ihren beiden jugendlichen Liebhabern haben sie im Palais ein Zuhause für sich und ihre Kunst gefunden.

Nach dem Kauf der Immobilie, in der zuvor die geologische Bundesanstalt untergebracht war, wurde diese aufwendig und penibel hergerichtet. Die Architekten von Baar-Baarenfels schufen ein stimmiges Reich, wie man es sogar in Beverly Hills, London oder New York lange und am Ende doch vergeblich sucht. Mit Keller bringt es der Prachtbau auf gut 9000 Quadratmeter und eine Menge Kubikmeter voller Geschichten.

Kaum ein Fleck des pompösen Palais kommt ohne Kunst aus.
Foto: Stefan Oláh

Nachdem man Stachel endlich beim richtigen Eingang erwischt und er in neongelben Sneakern das Tor öffnet, gibt’s das erste Wow, denn schon der Garten des Anwesens verspricht, was das Innere des Palais mehr als hält: an die 2500 Kunstwerke und unzählige Zimmer, Hallen und Salons, die es in sich haben, kunst- wie wohntechnisch, stilistisch wie historisch.

Ein paar Namen aus der Sammlung gefällig? Gunter Damisch, Nives Widauer, Manfred Wakolbinger, Alfred Hrdlicka, Jonathan Meese, Bruce Weber, Massimo Vitali, Keith Haring, Nan Goldin, Mel Ramos, freilich Andy Warhol und unzählige mehr.

Im Garten ist unter anderem eine mehrteilige Installation von Leo Zogmayer zu finden, eine skulpturale Umsetzung der sogenannten Rasumofsky-Quartette, die Beethoven für den Fürsten komponierte. Beethoven, no na. Zusammengefasst werden die Kunstwerke unter der Bezeichnung "Sammlung Sanziany". "Gräfin Sanziany ist mein Fantasiename oder Nome de Plume", erklärt Stachel.

Hier ist ein Ausschnitt aus dem Wohntrakt im Gartenpalais zu sehen.
Foto: Stefan Oláh

Gewohnt wird im ehemaligen Gartenpalais, dessen modernes Inneres nicht im Widerspruch zum klassizistischen Bau steht, sondern diesen auf kluge Art und Weise ergänzt und sich dabei weder über- noch unterordnet. Erreicht wird der Wohntrakt mit seinen luxuriösen Möbeln, mit seinen Design-Meisterwerken, mit Kunst und Edelnippes aus aller Welt, mit seinen frischen Schnittblumen und schnieker Küche über den Sommersalon, auch "afrikanische Halle" genannt.

Blickt man aus diesem Raum mit seinen Bildern, afrikanischen Skulpturen und einem Sofa, auf dem eine ganze Schulklasse Platz fände, auf die Parkanlage, könnte man sich für einen Augenblick wie der große Gatsby fühlen. Wenn bloß das Meer nicht fehlen würde.

"Wenn ich einmal groß bin", sagt der 53-jährige Stachel schmähführend, "lass ich den Garten bis zum Donaukanal hin erweitern, auf die Art, wie er einst angelegt war." Der Kunstsammler, er nennt sich lieber "Trophy-Wife" als Privatier, ist überhaupt zu Scherzen aufgelegt und haut sich – auf gut Wienerisch – über so manches ab.

Hier wohnen zu dürfen, empfindet er als Freude und Privileg. Sich selbst bezeichnet er als "Salonkommunist", der absolut nichts dagegen hätte, die Steuern für die Reichen zu erhöhen.

Das ehemalige Wohnzimmer des Fürsten Rasumofsky, in dem heute Arbeiten des Künstlers Erwin Wurm untergebracht sind.
Foto: Stefan Oláh

Neben dem Sommersalon liegt zwar kein Meer, aber immerhin ein langgezogenes Hallenbad. In den erwähnten Wohntrakt, ein paar Stockwerke höher, gelangt man über einen mit Samt tapezierten Aufzug. Nach der Begrüßung durch die Hunde Coco und Rico macht der Besucher erst einmal große Augen angesichts eines Raumes, aus dem ihm über 100 Paar Sneaker entgegenleuchten.

Fein säuberlich in Reih und Glied geschlichtet, schmücken sie in Regalen die Wände. Vielleicht auch eine Kunstinstallation? "Kunst ist nichts Heiliges", sagt Stachel, "Museen sind oft tote Orte. Ich aber halte nichts vom White Cube ", erzählt er voller Überzeugung.

Dass Design von der Kunst mitunter von oben herab belächelt wird, findet der Kunstauskenner nicht richtig. Es gehe im Großen und Ganzen in beiden Gefilden um Schönheit, "auch wenn Kunst oft politisch ist".

Im Saal auf diesem Bild tanzten bereits illustre Scharen während des Wiener Kongresses. Auch hier gilt: Alt trifft Neu, ohne sich auf die Zehen zu steigen.
Foto: Stefan Oláh

Man will Stachel beim Zuhören in die Augen schauen, doch die sind damit beschäftigt, all die Dinge zu betrachten, die hier nach einem ganz eigenen, sauberen, aber nicht sterilen System auftauchen, egal, ob es sich dabei um ein Meisterstück des Designers Günter Beltzig, ein Modell des Wittgenstein-Hauses oder das Hundekörbchen von Coco handelt, das von Wiener Geflecht umspannt wird.

Gleich daneben stehen zwei Sockel: Auf dem einen thront eine barocke Figur in Bronze, auf dem anderen eine moderne, metallene Arbeit von Manfred Walkolbinger, ein Kontrast, ein Stilbruch, auf den der Sammler abfährt.

Dass Kunst auch eine dekorative Funktion erfüllen kann, ist Stachel klar. Allein durch ihr Arrangement werde sie mitunter zur Dekoration. Sammlung hin, Museum her, dieser Ort ist alles andere als tot oder ehrfürchtig vor der Kunst.

Hier befindet man sich in einem Zuhause für sie und an einem Platz zum Wohnen. Mehrere ineinanderfließende Räume zählt der Dachausbau, eine Art "Case Study House mit Schutzlamellen" nennt ihn Stachel. Das Alte gelungen neu interpretiert, könnte man auch sagen.

Nein, das ist kein Kunst-, sondern das Schuhwerk des Kurators und Palaisbewohners Antonis Stachel.
Foto: Stefan Oláh

Während einer Zigarettenpause auf dem weitläufigen Balkon, sagen wir lieber Terrasse, fällt der Blick auf den Garten, in dem ein riesiger Dürer-Hase im Gras hockt und sein "eingefrorenes" Mümmeln zeigt. "Hier lag ich morgens schon einmal nackt im Gras und schaute dem Tau beim Trocknen auf den Grashalmen zu. Und das mitten in einer Millionenstadt", erzählt Stachel, der eine Zeitlang Architektur bei Wilhelm Holzbauer studierte.

Von hier aus genießt man einen 1a-Ausblick auf das Hauptpalais, in dem einst fünf Ballsäle untergebracht waren, durch die nicht nur der Wiener Kongress walzerte. Unter diesem Dach gibt es so viel Kunst, dass man eine ganze Woche ehrfürchtig durchtapsen könnte. Betritt man das eigentliche Palais durch den Haupteingang, steht einem wieder der Schnabel offen, während der Blick die gewaltige Kuppel des Entrees emporklettert. Als atemberaubend würden es manche bezeichnen.

Und hätten damit recht, auch wenn es noch so altmodisch klingen mag. Man stelle sich die Wiener Albertina vor und bestücke sie mit den exklusivsten Gustostückerln, die die Designwelt zu bieten hat. Die seinerzeitige Erweiterung der Albertina plante übrigens derselbe Architekt wie jener des Rasumofsky: Louis Montoyer.

Ein kleiner Ausschnitt aus der "afrikanischen Halle".
Foto: Stefan Oláh

Man fragt sich, wie oft wohl die eigenen vier Wände hier hereinpassen würden, gibt das Kopf-Tetris aber schon bald erfolglos auf. "Es erhebt mich, hier hereinzukommen, es ist, wie einzuatmen und die Brust zu blähen", sagt Stachel, saugt Luft ein und meint dies ohne Überheblichkeit.

Man glaubt dem Mann, wenn er sagt, man dürfe sich selbst nicht zu wichtig nehmen und nie auf Selbstironie vergessen. Selbst an einem solchen Ort. "Wohnen", sagt Stachel, "bedeutet für mich ein Dasein in einem Elfenbeinturm. Hier daheim zu sein ist, wie auf einer Insel zu leben. Ich komme oft tagelang nicht raus, und manchmal ist es sogar aufregend, ins Kino zu gehen."

Ebenfalls in diesem Teil untergebracht ist etwas, das Stachel scherzhaft "Zimmer, Kuchl, Kabinett" nennt und neben einem zweiten Apartment für Gäste reserviert ist. Der Scherz bezieht sich darauf, dass der Rauminhalt dieser drei Zimmer jenem eines Einfamilienhauses entspricht. Blickt man ins Badezimmer der Gästewohnung, wähnt man sich in einem Luxusappartement auf der Fifth Avenue.

Schaut der Gast aus dem Fenster, glaubt er sich in einem Hinterhof in Neapel wiederzufinden. Das Schlafgemach mit seinen sechs Meter langen, vom Plafond geradlinig herabhängenden Vorhängen gleicht der Liebeshöhle eines zeitgenössischen Wüstenprinzen. Oder dem, was man sich darunter vorstellt.

Frisch und gelungen spielen moderne Architektur und zeitgenössisches Design mit dem altehrwürdigen Gemäuer.
Foto: Stefan Oláh

Die Orientierung hat der Besuchter inzwischen längst verloren, das Staunen bleibt. Stachel ist bewusst, dass er hier mit einer bedeutenden Geschichte unter einem Dach lebt. "All dies wäre nicht entstanden, wenn es nicht die passende Geschichte dazu gäbe", sagt er.

Apropos Geschichte: Ein paar Stockwerke höher, man hat inzwischen aufgehört, diese zu zählen, führt Stachel in das ehemalige Wohnzimmer des Fürsten Rasumofsky, das der Hausherr "Wurmloch" nennt. Der Grund liegt (fast) auf der Hand. Hier finden sich Arbeiten des Künstlers Erwin Wurm.

Im ehemaligen Schlafzimmer des russischen Adeligen gleich nebenan gibt’s Nitsch und etwas, das erneut den Schalk im Nacken Stachels erkennen lässt. Klassizistische reliefartige Darstellungen im oberen Wandbereich werden von Abbildungen im Stile von Tom of Finland abgelöst.

Wem bei einem Besuch im Palais Rasumofsky "The Great Gatsby" einfällt, hat den Film gesehen oder das Buch gelesen. Das moderne Hallenbad schließt direkt an den Sommersalon an, von dem aus man auf den prächtigen Garten blickt.
Foto: Stefan Oláh

Eine verrückte, abgehobene und beeindruckende Welt für sich ist dieses Palais Rasumofsky. Um dieser dann und wann zu entfliehen, darf eine Tiefgarage nicht fehlen. Die wird über einen verglasten und grau gestrichenen Lift erreicht, in dem ein hölzerner Historismus-Sessel das Seine dazu beiträgt, auch hier den Stil gekonnt zu brechen. "Dem fehlt es noch an einer peppigen Farbe", sagt Stachel.

Selbst die Garage erinnert mehr an eine Galerie denn an eine schützende Mauer für Autos. Als kämen sie direkt vom Händler, parken hier fein säuberlich ein Ferrari, ein Alvis-Cabrio aus den 1930er-Jahren, ein E-Car und ein paar normale Autos. Die Wunschkennzeichen sind Zahlenkombinationen, die an amouröse Stationen im Leben von Stachel und Riklin erinnern sollen. Nummerntafeln, sozusagen.

Als einen das Palais wie eine andere Welt nach zwei Stunden und zahlreichen kundgetanen Wows wieder auf die Gasse ausspuckt, fällt der Blick auf das Gebäude gegenüber. Hier waren einst die Stallungen des Fürsten untergebracht. Viel später hat dort der Dichter Robert Musil 17 Jahre lang gelebt. Fast möchte man auch dort anläuten. Hätte man für diesen Tag nicht schon genug Bilder im Kopf. (Michael Hausenblas, RONDO exklusiv, 26.5.2020)

Eine andere Welt mitten im dritten Wiener Bezirk beherbergt die Arbeiten unzähliger Künstler, sogar Albert Dürers Hase hat indirekt Spuren hinterlassen. Der Prunkbau funktioniert als Zeitmaschine, in der sich Wunderkammer an Wunderkammer schmiegt.
Foto: Stefan Oláh