Die Tiroler Landespolitik versagt in der Corona-Krise, so der Tiroler Komponist Johannes Maria Staud im Gastkommentar. Führungskräfte-Coach Bertram Wolf zeigt auf: Fehler machen ist kein Versagen.

Montag, 16. März 2020: Der Tiroler Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg ist, aus Innsbruck zugeschaltet, Interviewpartner bei Armin Wolf in der ZiB 2, um den Umgang der Tiroler Politik mit dem Fall Ischgl zu erklären. Dass dieser Auftritt als einer der "patschertsten" der österreichischen Fernsehgeschichte in die Annalen eingehen wird, einer, bei dem das Wort Fremdschämen eine maßlose Untertreibung darstellt, ist angesichts der dramatischen Ausbreitung des Coronavirus leider gar nicht komisch.

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Foto: APA / Jakob Gruber

Blanker Zynismus

Anstelle sich selbst dem Interviewer und der österreichischen Öffentlichkeit zu stellen, wie es in der derzeitigen dramatischen Situation seine Pflicht wäre, schickt Landeshauptmann Günther Platter, der schon seit Tagen merkwürdig gehetzt, nervös und fahrig auftritt, ein rhetorisch unbegabtes Bauernopfer ins offene Messer. Dass Message-Control nicht immer den gewünschten Effekt haben muss, verdeutlicht Tilgs Gesprächstaktik, auf wirklich jede Frage des Interviewers mantrahaft "Die Behörden haben alles richtig gemacht" zu antworten. Am Ende lässt er noch den kryptischen Satz fallen: "Wir haben eine wunderbare Landschaft, und das soll auch so bleiben." Angesichts der derzeit hunderten Infizierten, deren unkontrollierte Ansteckung mit dem Coronavirus sich auf den Ballermann des Wintersports, auf Ischgl mit seiner Kitzloch-Bar und auf das etwas mondänere St. Anton zurückführen lassen, ist dies blanker Zynismus.

Sogar nachdem am 5. März Island nach der Rückkehr mehrerer Wintersportler aus Ischgl, die sich dort infiziert haben, Tirol zum Hochrisikogebiet erklärt, am 7. März ein Barkeeper der Kitzloch-Bar positiv auf Corona getestet wird und am 9. März aus dem Umfeld des Barkeepers bereits 15 Fälle von Neuinfizierten gemeldet werden, erklärt Platter am 10. März, dass er keine Quarantänevorkehrungen für Ischgl plane und auch keine drastischen Maßnahmen wie die vorzeitige Beendigung der Skisaison. Am Mittwoch, dem 11. März, schließlich wird der Druck aus Wien wohl zu groß, und so verkündet man nun doch das Aus des Skibetriebs in Ischgl, nicht aber, wie man meinen sollte, ab sofort, sondern erst für den 15. März. Wie viele Leute sich in dieser Zeit noch mit dem Coronavirus angesteckt haben, werden erst die nächsten Tage zeigen.

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Fatale Begehrlichkeiten

Daran sieht man, dass es der Tiroler Landesregierung und dem Landeshauptmann anscheinend wichtiger ist, die Begehrlichkeiten der Tourismusindustrie, die Profitgier der Bergbahnlobby zu befriedigen, als Menschen im In- und Ausland vor Ansteckung, Erkrankung und in letzter Konsequenz vor dem Tod zu schützen. Dies ist und bleibt aber die wichtigste Aufgabe der Politik.

Die fatale Pannenserie des Tiroler Krisenmanagements setzt sich aber munter fort. Am 13. März werden endlich Ischgl und St. Anton unter Quarantäne gestellt. Der Vollzug verläuft chaotisch. Ausländischen Gästen, die zur sofortigen Abreise gedrängt werden, halten die Behörden ein Formular in bester Schilda-Manier unter die Nase, in dem sie sich zu verpflichten haben, Österreich unverzüglich zu verlassen. Das Problem ist nur: Mehrere Hundert Urlauberinnen und Urlauber haben ihre Retourflüge von Innsbruck erst am nächsten Tag gebucht, müssen sich also für eine Nacht ein Zimmer in einem Innsbrucker Hotel suchen oder werden in Imst untergebracht – und dies, ohne dass sie vor der Abreise aus den Skiorten auf Corona getestet und gegebenenfalls in Quarantäne überstellt werden.

Grünes Schweigen

Wie viele Menschen diese zum Teil infizierten Urlauberinnen und Urlauber während ihres unnötigen innertirolerischen Transits, vom Verlassen des Quarantänegebietes bis zum Boarding ihres Fluges, in Innsbruck und Umgebung angesteckt haben (von der Weitergabe des Virus in ihrer Heimat einmal ganz zu schweigen), kann noch niemand sagen. Dieses Procedere vonseiten der Tiroler Behörden als fahrlässig zu bezeichnen ist grobe Untertreibung. Ja, die Infizierung einheimischer Personen, etwa in Innsbruck, wurde quasi billigend in Kauf genommen. Platter spricht in diesem Zusammenhang davon, dass das Menschenmögliche gemacht wurde.

Fehler prinzipiell nicht einzugestehen, sondern sie durch unfreiwillig "patscherte" Erklärungsversuche anderen unterzuschieben, wie dies Herr Tilg in der ZiB 2 oder Herr Platter in seiner Pressekonferenz vom 17. März gemacht haben, ist in der Tiroler ÖVP leider keine Seltenheit. Jonathan Swift hätte dies nicht besser erfinden können. Auch die grüne Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe, die wächsern blickend bei besagter Pressekonferenz neben Herrn Platter sitzen muss, schweigt zu alldem beharrlich. Das nennt man wohl Koalitionsräson.

Das Krisenmanagement der Tiroler Landesregierung konterkariert jedenfalls geradezu exemplarisch die koordinierten und vernünftigen Bestrebungen der österreichischen Bundesregierung und der Zivilgesellschaft, dem Coronavirus auch durch persönliche Opfer und äußerste Rücksichtnahme Einhalt zu gebieten. Günther Platters und Bernhard Tilgs Rücktritte sind und bleiben jedenfalls alternativlos. Wir haben uns wirklich Besseres verdient, als von solchen Krisenmanagern regiert zu werden. (Johannes Maria Staud, 19.3.2020)