"Es wird jetzt primär darum gehen, denen zu helfen, die große Existenzsorgen haben, die nicht wissen, wie sie die Miete zahlen sollen", sagt Ulrike Lunacek.

APA / Hans Klaus Techt

Das Telefoninterview musste mehrfach verschoben werden. Auch Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek findet in der Corona-Krise kaum eine freie Minute. Ein Termin jagt den nächsten. Die Kulturbürokratie am Wiener Concordiaplatz hat alle Hände voll zu tun, für so viele Künstler und Kultureinrichtungen wie möglich Lösungen zu finden, damit sie die Krise möglichst unbeschadet überstehen können. Auf seiner Website bietet das Bundesministerium umfassende Hilfe an, nebenbei organisiert man die Umstellung auf Heimarbeit. Auch Lunacek pendelt zwischen Büro und Homeoffice, Abstimmungen mit Ministern oder den Kulturreferenten der Länder finden immer häufiger mittels Videokonferenzen statt.

STANDARD: Als die harten Corona-Maßnahmen erlassen wurden, waren Sie gerade auf Bundesländertour, um sich mit der Kulturlandschaft vertraut zu machen. Wurden Sie überrumpelt, oder waren Sie vorbereitet?

Lunacek: Es war nicht ganz unerwartet. Wir hatten innerhalb der Regierung schon besprochen, dass es zu solchen Maßnahmen kommen könnte. Der Abbruch der Bundesländertour war schade, weil ich viele Museen und Theater besuchen wollte. Aber das wird nachgeholt.

STANDARD: Eines Ihrer Ziele bei Amtsantritt war eine Erhöhung des Kulturbudgets. Kann man sich davon nun verabschieden?

Lunacek: Wir hatten verhandelt, dass es eine kleine Erhöhung gibt, gerade für die prekärst Beschäftigten und die kleinen Einrichtungen, bei denen es jahrelang kaum Erhöhungen gab. Ich gehe davon aus, dass zwei Millionen Euro plus für die freie Szene trotz Corona-Unsicherheit halten werden. Anderes, das ich einleiten wollte, wie der größere Prozess im Bereich "Fair Pay", wird derzeit auf Eis gelegt. Es geht jetzt um Akuthilfe, wir müssen schauen, dass alle gut über diese Krise drüberkommen.

STANDARD: Wie werden Sie den staatlichen Kultureinrichtungen helfen? Die Bundesmuseen und -theater büßen Millionen ein.

Lunacek: Also da muss ich ganz ehrlich sagen: Da ist der Staat ja Eigentümer, und da muss er sich sowieso drum kümmern. Bei den Bundestheatern können wir zum Beispiel die Kurzarbeitsregelung umsetzen. Mir geht es jetzt aber primär darum, denen zu helfen, die große Existenzsorgen haben, die nicht wissen, wie sie die Miete zahlen sollen. Wir wollen nach dem Motto vorgehen: Niemand wird zurückgelassen.

STANDARD: Sie haben bereits einen Krisengipfel mit Vertretern aus der gesamten Kulturbranche abgehalten. Es gab zwar erste Hilfszusagen, aber keinen großen Wurf. Wird der noch kommen?

Lunacek: Das, was wir heute im Parlament vorlegen, zum Beispiel. Wir verzehnfachen die Unterstützungsleistung des Künstlersozialversicherungsfonds auf fünf Millionen Euro. Neu ist, dass auf das nun auch Kulturvermittler und Kulturvermittlerinnen Anspruch haben werden, damit sind sehr viele Menschen umfasst. Zudem wollen wir den mit einer Milliarde dotierten Härtenotfallfonds beschließen. Der kommt Kleinst- und Einpersonenunternehmen sowie Non-Profit-Organisationen und freien Dienstnehmern zugute. Das wird der Kulturbranche zusammen mit vielen weiteren Maßnahmen helfen.

STANDARD: Im alten Epidemiegesetz war festgelegt, dass der Staat für Veranstaltungsabsagen entschädigt. Das wurde mit dem neuen Corona-Gesetz gestrichen. Haben Sie das ohne Widerspruch mitgetragen?

Lunacek: Wir haben uns das schon sehr genau überlegt. Das Epidemiegesetz war mittlerweile veraltet und sah vor, dass Entschädigungen nur für einzelne Branchen geleistet werden können. Jetzt ist es aber so, dass so gut wie alles betroffen ist. Daher brauchen wir ein Gesetz, das konkreter greift.

STANDARD: Das Streichen dieses Passus ist also kein Eingeständnis, dass es Leute geben wird, die durch die Finger schauen werden?

Lunacek: Nein. Das haben die Regierung, der Finanzminister und der Bundeskanzler klargemacht: alles, was es braucht. Koste es, was es wolle. Das gilt auch für die Kultur.

STANDARD: Stimmen Sie sich auch europäisch ab? Wird es EU-Hilfen geben?

Lunacek: Ich bin mit der Kulturkommissarin der EU in Kontakt. Dort ist man gerade dabei, sicherzustellen, dass in dem angekündigten 25-Milliarden-Euro-Hilfspaket der EU auch für die Kultur etwas drin ist. Anfang April wird zudem auf meine Initiative hin ein EU-Kulturministerrat zur besseren Abstimmung stattfinden.

STANDARD: Frankreich schüttet für die Kultur 22 Millionen Euro aus und spricht von einem ersten Hilfspaket. Vorbildlich?

Lunacek: Da sind wir gut dabei. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl schüttet Österreich wahrscheinlich sogar mehr aus.

STANDARD: Drohen nach den Hilfspaketen jahrelange Sparprogramme?

Lunacek: Wir als Grüne werden uns dafür einsetzen, dass das gerade in der Kultur nicht passiert. Denn da gibt es seit vielen Jahren strukturell enorm prekäre Bedingungen, die die jetzige Krise verschärfen. Es sollte hier auf keinen Fall zu Kürzungen kommen. Im Gegenteil: Man sollte die Fehler beheben. Gerade für große Häuser ist es wichtig, dass auch kleine gut arbeiten können, weil man einander braucht.

STANDARD: Gibt es etwas, das Sie trotz allem optimistisch stimmt?

Lunacek: Was mir beim Krisengipfel mit den Kulturvertretern imponiert hat, ist, dass enorm viel Solidarität spürbar war. Man will sich nicht gegeneinander ausspielen lassen, und das ist gut. Meine Hoffnung ist, dass sich durch diese Krise in der Gesellschaft das Bewusstsein durchsetzt, dass wir ohne Kunst und Kultur sehr arm dran wären. Das merken wir ja gerade. Und dass das auch die Bereitschaft erhöht, künftig mehr für Kultur auszugeben: Da meine ich die einzelnen Bürger genauso wie den Staat. (Stefan Weiss, 20.3.2020)