Wiener Bürger genießen trotz Corona die Frühlingssonne in den Parks: Solange es keine Notwendigkeit für die Schließung gibt, sollte die Polizei den Besuch nicht vergällen.

Foto: APA/Roman Payer

Wer dieser Tage auf der Wiener Donauinsel unterwegs war, vernahm eine höchst widersprüchliche Botschaft. Einerseits verkündete die patrouillierende Polizeistreife, dass sich Einzelpersonen und Menschen aus demselben Haushalt im Freien aufhalten dürften. Andererseits aber tönte es aus demselben Megafon, dass "ausgedehnte Familienausflüge, Picknicks, Radtouren et cetera" nicht erlaubt seien und die Behörden bei der Eindämmung des Coronavirus behinderten.

Der undifferenzierte und harsch vorgetragene Nachsatz – "Wir ersuchen Sie, sich zu entfernen" – löste samt angeschlossener Strafdrohung bei den spärlich auf der Wiese verteilten Besuchern hektischen Aufbruch aus. Ohne behaupten zu wollen, die ganze Insel überblickt zu haben: Gruppen, die nicht nach Familie aussahen, waren zumindest in diesem Bereich keine zu entdecken.

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Auf der Wiese liegen als Behinderung der Behörde

Direktiven wie diese lassen einen ratlos und verunsichert zurück. Gilt ein Ausflug auf die von vielen Wohngebieten kilometerweit entfernte und für das Fahrrad prädestinierte Donauinsel bereits als "ausgedehnt" oder nicht? Fängt ein Picknick schon bei der eilig hinuntergeschlungenen Wurstsemmel an oder erst beim Kaffee aus der Thermoskanne? Inwiefern behindert eine Familie die Anstrengungen der Behörden gegen Corona, wenn sie statt zehn Minuten eine Stunde lang auf einer Wiese liegt?

Auch in Zeiten, wo Zehntausende ihre Jobs verlieren, sind diese Fragen nicht läppisch. Unentwegt prasseln düstere Nachrichten auf die Bürger ein, da sind ein paar Stunden unter der Frühlingssonne an der frischen Luft Balsam auf die Seele. Das gilt besonders für Familien, deren Kinder bei Kasernierung in den eigenen vier Wänden der Lagerkoller ereilt. Es ist gut, dass die Regierung nicht überhapps eine Sperre aller Parks verfügt hat, sondern sorgsam abwägt.

Wer Regeln ignoriert, so wie es in Wien ebenfalls zu beobachten ist, den muss die Exekutive mahnen und in letzter Konsequenz strafen. Doch solange es keine gesundheitspolitische Notwendigkeit für die Schließung der städtischen Grünoasen gibt, sollte die Polizei Einzelpersonen, Wohnpartnern und Familien, die sich an den gebotenen Sicherheitsabstand halten, den Besuch nicht vergällen.

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Verwirrung bei Scheidungskindern und Homeoffice-Pflicht

Im Geruch der Schikane steht auch die Anordnung, wonach Scheidungskinder das getrennt lebende Elternteil nicht mehr treffen dürfen. Die Regierung hat zwar mittlerweile versprochen, dass dies doch nicht so gehandhabt werde, aber bereits Bitterkeit verursacht. Natürlich kann jeder zusätzliche Kontakt das Virus weiterverbreiten, dennoch gilt es, Restriktionen gegen Kollateralschäden abzuwägen. Auch die seelische Gesundheit ist ein hohes Gut. Ein Verbot, den Vater oder die Mutter zu sehen, bedeutet für Kinder mit intaktem Verhältnis zu den Eltern eine schwer verkraftbare Härte.

Minder schlimme Folgen, aber zumindest Verunsicherung provoziert das Hin und Her bei der Homeoffice-Frage: Erst kündigte die Regierung die Pflicht zur Arbeit daheim an, dann machte sie einen Rückzieher. Auch hier hat die Koalition die Souveränität verloren, die sie in den ersten Tagen der Krise – was bundesweite Maßnahmen und Hilfspaket betrifft – grosso modo auszeichnete.

Der Kampf gegen Corona braucht eindeutige Botschaften, die klare Grenzen ziehen. Andernfalls fühlen sich die Leute gegängelt. Das schürt den Groll auf die Behörden – und untergräbt erst recht die Disziplin, sich an Anordnungen zu halten. (Gerald John, 20.3.2020)