Menschen, die in Peking spazieren gehen. Das traut sich Anna Xu in Qingtian nur jeden dritten Tag.

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Das Blatt hat sich gewendet, könnte man zweifelsfrei zu dem sagen, was Anna Xu gerade widerfährt. Die Österreicherin chinesischer Herkunft musste wochenlang in Isolation in der abgeschotteten chinesischen Kreisstadt Qingtian verbringen – DER STANDARD berichtete. Freunde in Wien machten sich große Sorgen um sie, kamen doch zu der Zeit täglich dutzende Schreckensnachrichten aus China. Mittlerweile ist die Ausgangssperre in Qingtian beendet, eine Rückkehr in ihre Heimat theoretisch möglich. Doch davon raten ihr die Eltern ab: In Österreich sei es aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus zu gefährlich, sie solle bleiben, wo sie ist.

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DER STANDARD

Die Geschichte der 24-jährigen gebürtigen Wienerin beginnt im November, als sie sich auf Reisen in China begibt, dem Land ihrer Vorfahren. Zwei Monate später will sie ihre Oma in Qingtian in der Provinz Zhejiang besuchen. Sie erreicht zwar die Kreisstadt, aber nicht mehr ihre Großmutter. Denn am 4. Februar wird alles abgeriegelt: Niemand darf mehr die Wohnung verlassen. Lediglich eine Person pro Haushalt, die jüngste und gesündeste, darf alle drei Tage Lebensmittel besorgen. Polizisten und Freiwillige vor den Gebäuden kontrollieren die Ausgangssperre. Xu muss also in der Wohnung von Onkel und Tante bleiben. Die Oma, nur sieben Gehminuten entfernt, darf sie nicht besuchen.

Endlich bei der Oma

Nun, etwa eineinhalb Monate später, ist alles anders. Die Quarantäne in Qingitan wurde bereits nach dreieinhalb Wochen wieder aufgehoben, sagt Xu dem STANDARD am Telefon. "Alle Infizierten hier sind wieder gesund und aus dem Spital entlassen worden", erklärt sie die Maßnahme. Neue Fälle gebe es dort nicht. Am ersten Tag nach Ende der Isolation besuchte sie sofort ihre Oma. Der geht es gut.

Theoretisch könnte sie wieder alles machen, ohne Einschränkung. Xu bleibt aber vorsichtig: "Es sind in den letzten Wochen viele Chinesen aus Europa zurückgekehrt, auch Infizierte aus Italien." Vor allem Zhejiang sei betroffen, weil diese Provinz als ausgeprägte Auswandererregion gilt. Aus diesem Grund hat sie sich in freiwillige Isolation begeben: So wie vorher auch geht sie nur jeden dritten Tag ins Freie. Sicher ist sicher.

Über die rasche Verbreitung des Virus in Österreich zeigt sie sich "geschockt, wie schnell das gegangen ist". Das hat auch zu einer Art Rollentausch geführt. "Zuerst haben sich meine Eltern und Freunde in Wien Sorgen um mich gemacht, jetzt ist es umgekehrt", sagt Xu.

Schutzmasken nach Österreich geschickt

Und während vor gar nicht allzu langer Zeit europäische Länder Schutzausrüstung nach China geschickt haben, geht es nun auch hier in die andere Richtung. Anna Xu selbst hat Schutzmasken an ihre Eltern versandt, weil diese in Österreich keine mehr bekommen. Ebenfalls schon angekommen ist ein Medikament der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), das angeblich vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen soll. "Ob das stimmt, weiß man nicht so genau", sagt Xu. Schaden könne es aber nicht.

Die Ausgangsbeschränkungen, die sie selbst miterlebt hat und die nun mehr und mehr auch in Europa etabliert werden, hält sie für richtigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. In Qingtian hat sie gesehen, wie es im Idealfall endet, wobei Xu betont, dass die Situation in anderen chinesischen Städten unterschiedlich sei. Unabhängig davon nehme man die Isolation in China ernster als in Europa, glaubt Xu: "Viele Europäer glauben immer noch, dass es wie eine normale Grippe sei."

Wann sie dann wirklich nach Österreich zurückkehren werde, weiß Anna Xu noch nicht. Sie stellt sich einmal darauf ein, dass es frühestens Ende Mai so weit sein wird. Bis dahin lässt sie sich von Verwandten, Freunden und Medien über die Lage in der Heimat informieren. Eines kann sie dabei überhaupt nicht verstehen: "Wieso kaufen die Leute so viel Klopapier?" (Kim Son Hoang, 23.3.2020)