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Das bewusste Händewaschen ist neu.

Foto: dpa / Patrick Pleul

Dass man sich jetzt die Hände wäscht, bewusst, das ist neu, ein anderes Händewaschen als das, was man bisher gemacht hat, nachdem man vielleicht sein Fahrrad repariert hat oder in der Erde gewühlt.

Mir ist beim jetzigen Händewaschen aufgefallen, dass ich mir bisher nie bewusst die Hände gewaschen habe, voller Verachtung hab ich die Männer immer angeschaut, auf öffentlichen Klos, nachdem sie also das gemacht haben, was man eben so macht, so als hätten sie sich an sich schmutzig gemacht, dabei ist doch in der Regel der Intimbereich stets sauber, sauberer zumindest als etwa die Füße, wer wäscht sich denn bewusst täglich die Füße?

Sie werden doch so "mitgenommen", wenn man sich duscht, sie sind so weit weg von uns, am anderen Ende unserer Körper, anders als die Hände, sie sind uns näher, sind sichtbarer, sie sind die Hauptdarsteller, alles, was sie machen, geschieht unterbewusst, alles passiert automatisch, ein eingespieltes Team, auch dass wir uns so oft mit ihnen in unser Gesicht fassen, das bekommen wir gar nicht mit, vorher noch an so vielen Türklinken, an Geländern, im Bus an der Halteschlaufe, an der so viele andere Hände waren, die ebenfalls in den Gesichtern ihrer Besitzer waren, plötzlich wird das alles sichtbar, Geschichten des Ekels, Biografien, Schicksale, wie viel Leute waren da vor mir an der Schlaufe und sind dann also auch durch mein Gesicht spazieren gegangen?

Jetzt ein echtes Virus

Hygiene war bisher ein Wort, mit dem man seinen Geist reingehalten hat, sich geschützt hat vor dem ganzen Müll und den schlechten Witzen und lahmen Reflexen in den sozialen Tummelplätzen, den Robotern, den Bots, die die Viren im Koffer haben, der Paranoia, der Angst, der gespielten Stärke, den verborgenen Schwächen, und jetzt plötzlich tritt das alles an die Oberfläche, sichtbar gemacht durch ein echtes, kein elektronisches Virus, das man paradoxerweise nicht sehen kann, aber von dem man erzählt bekommt, von dem jetzt alle wissen und vor dem jeder warnt, sichtbar durch das Unsichtbare, jetzt tummelt sich etwas auf uns, es könnte sich etwas auf uns tummeln, davon gehen wir aus, das haben wir gelernt.

Das ist gut so, irgendwann wachen alle auf und beginnen zu sehen und sich bewusst zu waschen und einen kleinen Abstand zueinander zu halten, man küsst sich nicht mehr, Umarmungen entfallen, das, was mir sowieso schon immer ein Rätsel war, Zeitverschwendung, mit Zuneigung hatte das meines Erachtens nichts zu tun, das ist unreflektiertes Schwarmverhalten, jetzt ist das gefährlich, die Herde ist der Herd, das hab ich nicht gewollt, ich wollte euch dafür auch nicht verachten, auch nicht, dass man sich die Hände wäscht, ich dachte, Viren machen uns immun, stärken uns, aber jetzt ist es nicht mehr so, nichts ist mehr so, alles muss umgedacht werden, neue Regeln werden gemacht, jetzt waschen wir uns die Hände, damit wir uns irgendwann mal wieder treffen, umarmen und küssen können. (Tex Rubinowitz, 22.3.2020)