Narzissen! Ich glaube, es wird wichtig sein, Blumen im Haus zu haben, wenn wir nicht rausdürfen!

Foto: privat

Donnerstag, 12. März 2020

Der Tag des ersten Covid-19-Toten in Österreich. "Bald haben wir hier italienische Verhältnisse!!!" Befreundete Ärzte, die bisher beschwichtigt haben, schreiben Nachrichten mit drei Rufzeichen. Hoffentlich nur, was die Ausgangssperre betrifft, denke ich. Das ist er also, Tag eins.

Bisher galt meine Sorge meinem 18-jährigen Sohn, der gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr in Israel macht – und meiner 79-jährigen Mutter, die als Diabetikerin zur Hochrisikogruppe zählt. In Israel wurden Maßnahmen schon früher gesetzt als in Österreich, keine Versammlungen mit mehr als 100 Personen, Einreiseverbote aus diversen Ländern, strikte Heimquarantäne nach der Einreise.

Wie wird das in Österreich aussehen, wenn der Kanzler am Freitag neue Maßnahmen verkündet? Wann werden sie in Kraft treten? Ab Montag ergibt Sinn, weil so die meisten Pendler an ihren jeweiligen Wohnorten bleiben. 180.000 pendeln allein täglich nach Wien, 80.000 aus der Stadt ins Umland.

Angeblich angedachte Maßnahmen werden auf Social Media geteilt: Jeder hat auf einmal eine Freundin, deren Bekannter gehört hat … Ich werde ab morgen für meine Mutter einkaufen gehen. Sie wohnt zum Glück nebenan.

Als Schriftstellerin arbeite ich zu Hause am Laptop, für mich ändert sich also vorerst nicht so viel. Zu Ostern wären wir nach Italien gefahren. Der geplatzte Urlaub kümmert mich wenig, aber das Gefühl, nicht zu meinem Kind reisen zu dürfen, ist unheimlich und beängstigend.

Mich sorgt dieser Rückfall in die Nationalstaaten, ein Land nach dem anderen macht die Grenzen dicht, es gibt kein einheitliches europäisches Vorgehen. Die EU wirkt schwach. Gerade bei dem globalen Problem einer Pandemie sollte es ein überstaatliches Vorgehen geben.

Ich habe gestern Lebensmittel gekauft, nur eine Tasche voll für das Wochenende. Und Narzissen. Ich glaube, es wird wichtig sein, Blumen im Haus zu haben, wenn wir nicht rausdürfen.

Freitag, 13. März 2020

In einer Minute beginnt die Pressekonferenz. Ich bin schon am Laptop in den Livestream eingestiegen, weil ich fürchte, dass er zusammenbrechen wird. Noch gibt es Bild, aber keinen Ton. Fünf nach geht es los: "… Auf Minimalbetrieb herunterfahren …" ist die zentrale Nachricht – und dann: Paznauntal und St. Anton am Arlberg unter Quarantäne.

Also doch! Ein typisches "Hl. St. Florian, zünd’s Haus vom Nachbarn an"-Gefühl stellt sich ein: Erschrecken – und Erleichterung. Es ist nicht Wien, das isoliert wird. Noch nicht? Ein Erkennen flackert auf: Das ist erst der Anfang. Es betrifft uns alle. Morgen wird ein erstes Hilfspaket beschlossen.

Italien habe "einen Vorsprung von zwei Wochen" mit 15.000 Erkrankungen. Es soll ein Besuchsverbot in Spitälern geben. Und gleichzeitig bleiben die Lokale bis 15 Uhr offen? Was soll das? Der Innenminister warnt vor Falschmeldungen. Es gilt die höchste Reisewarnstufe. Was bedeutet das für mein Kind? Was für uns alle?

Ist es nicht gut, dass die Maßnahmen weniger streng sind als erwartet? Aber es ist ein Kompromiss. Lokalöffnung bis 15 Uhr, das ist nicht Fisch, nicht Fleisch. Jetzt läuten alle Glocken. Seltsam. Um 15 Uhr. Ist mir noch nie aufgefallen.

Die Frage ist, ob bis Sonntag die "Tausendergrenze" erreicht ist, also mehr als 1000 Covid-19-Erkrankungen in Österreich. Ich mache Hochrechnungen, verrechne mich ständig. In welcher Zeitspanne verdoppeln sich die Fälle? Alle zwei Tage oder täglich? Ich bin nicht sicher. Wenn es am Sonntag 1300 wären, könnten es am Dienstag 1900 sein, ich komme auf immer absurdere Zahlen bis zum Ende der nächsten Woche.

Am Donaukanal sind außergewöhnlich viele Menschen unterwegs, vor allem Junge. Alle wirken fröhlich und gelassen. Die Sonne scheint. Ich sehe keine Gesichtsmaske, keine einzige.

Samstag, 14. März 2020

Wir haben unseren Wochenendausflug ins Weinviertel abgesagt. Mit wem war ich in den letzten beiden Wochen in Kontakt? Vielleicht haben wir uns längst angesteckt und entwickeln keine Symptome? Ich fühle mich gesund, aber das heißt ja nichts. Ich gebe seit Anfang der Woche nicht mehr die Hand, Busseln ist eingestellt. Ich fahre nicht mehr mit den Öffis, gehe zu Fuß oder fahre mit dem Rad.

Ich habe am Mittwoch noch einen letzten Termin im Kaffeehaus gemacht, war am Donnerstag mit einer Freundin Mittagessen. Wir saßen am Markt an einem Tisch mit drei fremden Studenten, alle sprachen von Corona. Wer wo festsitze, USA, Frankreich. Auch Corona-Witze wurden gemacht: "Ich hab schon Fieber." "Das trifft sich gut, ich auch." Aber der Ernst schimmert durch.

Die Ahnung: Das war jetzt der letzte Lokalbesuch für die nächsten Wochen. Eine Freundin ruft an: Alle ihre Trainings seien storniert, sie hat keine Arbeit. Auch mir wurden gestern die allerletzten Termine für März und April abgesagt.

Ich habe meiner Mutter nochmals empfohlen, nicht auf den Markt zu gehen. Ich bin froh, dass wir ihre Medikamente schon letzte Woche besorgt haben. Sie soll in keine Arztpraxis oder Apotheke gehen.

In Israel heute die nächste Eskalationsstufe. Der "War on Corona" wird erklärt: alle Bars, Shops, kulturellen und Sporteinrichtungen geschlossen. Geheimdienstliche Maßnahmen werden gegen Corona eingesetzt, also Tracking einzelner Personen möglich gemacht, was quasi Bürgerrechte aussetzt.

Sonntag, 15. März 2020

Tanja Paar ist Schriftstellerin. Sie war jahrelang Redakteurin des STANDARD.
Foto: Pamela Rußmann

Also kein Spaziergang mehr im Prater. Dabei scheint die Sonne so schön. Zum Glück haben wir einen kleinen, begrünten Innenhof. In der Früh war klar: Die Restaurants bleiben geschlossen. Ich bin erleichtert. Ich fürchte, dass die Menschen nicht verstanden hätten, warum sie nicht hingehen sollen, wenn bis 15 Uhr offen bleibt.

Überhaupt herrscht Verunsicherung: Muss ich in die Arbeit fahren, wenn es eine schriftliche Anweisung vom Samstag gibt? Muss das Kind wie von der Lehrerin angeordnet am Montag noch in die Schule, um Arbeitsblätter abzuholen? Zum Glück gibt es Whatsapp und Telefon. Es gibt nur noch drei Gründe, um rauszugehen.

In der Sonder-ZiB am Abend ist dann von vier die Rede: Auch Gassi gehen, Joggen allein oder mit einem Angehörigen ist erlaubt. Ich fürchte, dass das manche verwirrt. Auch das Wording ist nicht einheitlich: Einmal ist von Ausgangsbeschränkung die Rede, in Schaltungen aus Tirol von Verkehrsbeschränkungen, andererseits wird gesagt, die Regelung sei in ganz Österreich die gleiche. Dann wäre es wichtig, dasselbe Wort zu verwenden. "Ausgangssperre" sagt noch keiner, das ist sicher kein Zufall.

Montag, 16. März 2020

Ich war gerade am Eingangstor, um es zu schließen. Ein Blick auf die Straße, keine Schlange vor der Trafik, keine vor dem Supermarkt. Aber es sind Menschen unterwegs. Ich habe ständig den Song It’s the End oft the World as We Know It im Kopf. Auch der Flugbetrieb wird demnächst eingestellt.

Ob Corona ein längerfristiges Umdenken bewirkt, was das Fliegen betrifft? Wird sich unser Konsumverhalten ändern? Ich glaube, viele verstehen erst jetzt, was Globalisierung bedeutet. Jemand schreibt auf Social Media, dass die Demi-Sel-Butter aus sei. Ich bin gespannt, wie lange der Galgenhumor anhält. Das neueste Schimpfwort: Du Kitzloch! (Tanja Paar, 22.3.2020)

Tanja Paar ist Schriftstellerin, 2018 erschien ihr Debütroman: Tanja Paar, "Die Unversehrten". 17,90 Euro / 160 Seiten. Haymon-Verlag, Innsbruck 2018.
Cover: Haymon