Otto Schenk – im Hintergund Regisseur Michael Kreihsl – feiert seinen bevorstehenden 90. Geburtstag nicht gern: "Weil ich nicht weiß, was für ein Gesicht ich dazu machen soll."

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Im Film "Vier Saiten" spielt Otto Schenk einen Cellolehrer, der durch einen syrischen Flüchtlingsbuben seine Lektion lernt.

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Otto Schenk sitzt in seiner Bibliothek, daneben der Regisseur Michael Kreihsl, mit dem er den Film "Vier Saiten" gedreht hat und der am Mittwoch ORF-Premiere hat. Es ist Pressetag im Hause Schenk, Journalisten geben einander die Türklinke in die Hand, volles Haus. Nein, hier wird nicht gegen jede Corona-Vernunft verstoßen: Das Interview fand vor der Krise statt, als man ältere Leute noch bedenkenlos persönlich treffen durfte. Schenk feiert im Juni seinen 90. Geburtstag. Im Film spielt er den Paradegrantler, der dank eines jungen syrischen Flüchtlings und Cellisten seine Lektion lernt.

STANDARD: Was muss man machen, um Sie zu einer Rolle zu überreden – brav "Bitte, bitte" sagen?

Schenk: Man muss mir eine Rolle geben, in der ich Sätze so sprechen kann wie der, den ich zu spielen habe. Michael Kreihsl ist ein Urforscher nach Natürlichkeit und ein geradezu altes Möbel der Filmkunst, das nach Wahrheit süchtig ist. Die Figur hat dieselben Sorgen wie ich.

STANDARD: Welche Sorgen haben Sie?

Schenk: Wie es weitergeht in der Welt mit den Blamagen, mit dem Verständnis für Fremde und wie Musik da mitwirken kann.

STANDARD: Glauben Sie, dass Sie Ihr Publikum erziehen können?

Schenk: Bisserl. Man kann die Leute neugierig machen auf nette Ausländer. Man kann sie neugierig machen auf schöne neue und alte Musik. Die Leute lachen gern jemanden aus, und wenn sie sich ein bissl erkennen und Ähnliches fühlen und spüren. Wir sind keine Gegner des allgemeinen Geschmacks, wir sind eher Verführer. Ich war dazu noch sehr krank, das hat mich in eine seltsame Trance versetzt.

STANDARD: Was hatten Sie?

Schenk: So eine Art Grippe, aber Gott sei Dank eine schwache. Der ganze Stab von entzückenden Filmleuten wurde dadurch zu Krankenhauspflegern, die sich mit heißen Thermoforen und Heizstrahlern um mich kümmerten. Ich wurde fast getragen und habe so einen Adrenalinsack in mir entdeckt, dass mir das alles nützt und Spaß macht. Ich war dann fast, wie ich gesund war, ein bissl enttäuscht. Ich würde sagen, dieser Film ist mein letzter – wobei ich das nicht versprechen möchte, aber wenn ich wieder einen habe, ob ich den ohne Grippe zustande bringe, weiß ich nicht.

STANDARD: Film hat eine irrsinnige Beschleunigung erlebt, er ist digital, schneller, dichter. Passen Sie sich dem Tempo an – oder passt sich der Film Ihrem Tempo an?

Schenk: Ich bin eher auch ein Schneller. Dieses lange Warten, Getue und vor allem das Diskutieren lehne ich ab. Und er diskutiert auch nicht. Wir haben eine eigene Suggestionssprache. Wir stöhnen uns an, und wir nicken, und wir zucken auf und sehen an den Gesichtern, dass wir beide noch eine Aufnahme wollen.

Kreihsl: Ein paar Mal habe ich dich überredet.

Schenk: Ja. Wir haben das Reden nicht vermieden, und wir haben vor allem keinerlei Scheu voreinander gehabt. Ich hab immer das Gefühl gehabt, er redet, wenn ich red.

Kreihsl: Wir haben komischerweise denselben Schmäh.

Schenk: Das ist ganz wichtig. Er ist der Ansicht, ich bin eine Persönlichkeit, und ich bin der Ansicht, ich bin das gar nicht. Dadurch ergibt sich ein angenehmes Arbeiten. Wenn's umgekehrt wäre, wär's unangenehm.

STANDARD: Sie wollen ernsthaft sagen, dass Sie nicht das Bewusstsein haben, eine bedeutsame Persönlichkeit zu sein? Das ist aber jetzt ein Schmäh!

Schenk: Vielleicht ist es ein Schmäh, aber wenn ich arbeite, habe ich das Gefühl, ich müsste viel mehr können, als ich kann – und viel mehr wissen, als ich weiß. Gott sei Dank gibt es jetzt diese Hörhilfen, darüber braucht man zum Text nicht Angst zu haben.

STANDARD: In weiteren Rollen spielen Omid Memir, Marianne Mendt, Friedrich Thun. Ist Ihnen wichtig, dass Sie Ihre Partner mögen?

Schenk: Ich muss mögen, wie er redet mit mir. Er kann mein Todfeind sein, der größte Intrigant, das ist mir alles wurscht, sogar politisch bin ich nachsichtig – leider, wenn er nur ein guter, natürlicher Schauspieler ist.

STANDARD: Hin und wieder soll es aber doch auch Spannungen an Sets geben.

Schenk: Nicht bei mir.

STANDARD: Niemals?

Schenk: Außer es sind Unbegabte, das gibt's auch mit Freunden. Ich bemühe mich dann, anständig zu sein. Aber es ist halt schade, wenn man sich bemühen muss, anständig zu sein.

STANDARD: Müssen Sie sich oft bemühen, anständig zu sein?

Schenk: Dauernd.

STANDARD: Jetzt auch?

Schenk: Nein.

STANDARD: Im Film sind Sie ein strenger Cellolehrer. Waren Sie auch so beim Schauspielunterricht?

Schenk: Ich wurde unfreundlich, wenn etwas länger dauerte.

STANDARD: Aber nicht unanständig.

Schenk: Das ist eine fließende Grenze. Ungeduld ist nicht anständig. Weil Ungeduld nicht zum Ziel führt, sondern eher hinderlich ist. Aber manchmal wird der Ton etwas präziser, wenn man ungeduldig wird.

STANDARD: Mit Michael Niavarani füllen Sie die Hallen. Ist Ihnen das wichtig?

Schenk: Ja, ein großer Saal muss einen Sinn haben. Es ist eine Vermessenheit, einen großen Saal zu vermieten und ihn dann Viertel voll zu machen. Ob der große Saal voll ist, weiß man im Vorhinein nicht, man zittert darauf hin. Bei mir ist er aber immer voll. Bis jetzt, ich zittere weiterhin.

STANDARD: Sie sagen, es ist möglicherweise Ihr letzter Film. Wie kommen Sie darauf?

Schenk: Indem ich meinen Taufschein anschaue.

STANDARD: Was sagt der Arzt?

Schenk: Das sagt er: (Achselzucken) Waun S' glauben.

STANDARD: Sie haben einmal in einem Interview gesagt, dass Sie vor Auftritten einschlafen, und dann kommt ein Kobold, der Sie sticht.

Schenk: Ja, meine Aufregung ist meine Müdigkeit, was auch sehr schwer unterscheidbar war am Anfang. Ich bin sogar bei einer Premiere auf dem Sessel eingeschlafen. So aufgeregt und letztlich so fad war mir. Ich brauche vier, fünf Schritte, um mich zu konzentrieren.

STANDARD: Dann sticht der Kobold zu.

Schenk: Ich bin nicht ganz ich. Ich gehe nicht, wie ich privat gehe, und rede aufgeregter oder belämmerter oder wie halt dem zumute ist, den ich da spiele.

Kreihsl: Beim Drehen war es so, dass ich den Otti durch den Monitor beobachtet habe und mir dachte, irgendetwas stimmt nicht. Er hatscht nicht. In der Kamera bist du wie ein Don Juan gegangen. Es war der Otti hinter und vor der Kamera.

STANDARD: Sie sind ein begnadeter Geschichtenerzähler. Wie kommen Sie an Ihre Erinnerungen?

Schenk: Das ist alles ein bissl explosiv. Ein kleines Feuerwerk, da zündet irgendwo ein Funkerl, und mir fällt die Geschichte ein, die führt in eine andere, und es entsteht eine Erzählung oder eine Suada oder so ein Geschwätz, wie ich es jetzt loslasse. Es hilft, wenn man sich in der Welt umschaut. Das hilft der Sprache und dem Gedächtnis. Das Gedächtnis ist sehr schlecht, aber dann wieder hat es eine ungeheure Speicherkraft.

Kreihsl: In den Drehpausen hast du minutenlang Passagen vom "Faust" rezitiert.

Schenk: Ja, sowas geht. Das sind diese Urlangzeitgedanken, die fast schon geschnitzt sind.

STANDARD: Und im Alltag?

Schenk: Schrecklich. Keines dieser Bücher würde ich finden, wenn ich suche.

STANDARD: Der 90. Geburtstag steht an. Lassen Sie sich gern feiern?

Schenk: Nein, weil ich nicht weiß, was ich für ein Gesicht dazu machen soll.

STANDARD: Spielt das eine Rolle?

Schenk: Wahrscheinlich nicht. Ich weiß aber nicht, wie ich beieinander sein werde, wie meine Umgebung beieinander sein wird. Altern ist ein Tanz auf einem Vulkan. Das wirkliche Altern ist grauenhaft und unlösbar. Man weiß nicht, wie man es machen soll. Man weiß schon nicht, wie man sich zu benehmen hat im hohen, gefährdeten Alter. Man muss dann ein neues Leben beginnen. Ein Leben für die Dankbarkeit für die Sekunden, die noch schön sind. Und die gibt's.

STANDARD: Zum Beispiel?

Schenk: Weiß ich nicht. Im Moment fallen mir keine ein.

STANDARD: Was gibt's noch zu tun?

Schenk: Das weiß ich auch nicht. Pläne macht man schon nicht mehr.

STANDARD: Wenn Michael Kreihsl käme, machen wir noch einen Film?

Schenk: Ich will es mit einem Klassiker sagen: Schwören würde ich, dass ich keinen mehr mach', aber wetten tat i ned.

STANDARD: Beobachten Sie die Bildungspolitik im Lande?

Schenk: Nein, ich gebe keine Gutachten zu irgendetwas ab, auch nicht zur Bildung. Gutachten abgebende Schauspieler sind lächerlich. Die sollen Rollen spielen, wenn möglich Rollen, die ihrem Gutachten entsprechen. Aber sie sollen in ihrer Sprache bleiben, nämlich im theatralischen und nicht im Zeitungsdeutsch herumschwätzen. Schon mein Interview ist ein Verrat, weil ich im Zeitungsdeutsch schwätze. A bissl. Nicht ganz.

STANDARD: Was machen wir jetzt?

Schenk: Schmeißen wir's weg. (Doris Priesching, 21.3.2020)