Foto: Med-Uni Wien

STANDARD: Wie wird es in der Corona-Krise weitergehen?

Winkler: Wir sind ganz am Beginn dieser Welle, daher sind mögliche Szenarien ein bisschen wie Kaffeesudlesen. Wie sich die aktuellen Isolationsmaßnahmen auf die Zunahme der Infektionszahlen auswirken, werden wir in den nächsten Tagen oder Wochen sehen. Wir bereiten uns derzeit gut vor, weil wir wissen, dass es mehr Fälle geben wird.

STANDARD: Könnte Sars-CoV-2 die Welt in Zukunft so begleiten wie die jährliche Influenza?

Winkler: Ja, das wäre möglich. Aber ob es so sein wird, kann man jetzt noch nicht sagen.

STANDARD: In manchen Ländern gibt es die Strategie, dass sich so viele Menschen wie möglich – vor allem junge – infizieren sollen, um schnell eine hohe Immunität in der Bevölkerung zu erreichen. Was halten Sie davon?

Winkler: Das ist ein sehr spekulativer Ansatz, weil wir noch nicht alles über die Immunität nach einer durchgemachten Infektion wissen. Wenn viele Menschen erkranken, stößt man sehr rasch an die Decke der Versorgung. Epidemiologen warnen hier, dass das zu einem schnellen Sterben von sehr vielen Menschen führen kann. Unsere Strategie ist anders, wir wollen ein Abflachen der Kurve. Auch um Zeit zu gewinnen, etwa um Medikamente zu testen. Diese Methode ist momentan alternativlos.

STANDARD: Wie werden die Maßnahmen von der Bevölkerung angenommen?

Winkler: Leider halten sich nicht alle daran. Ich sehe immer noch, dass die Menschen zu Tausenden spazieren gehen. Das sollte nicht so sein. Die Symptome sind teilweise ja sehr mild zum Glück. Der Nachteil ist aber, dass die Menschen die sozialen Kontakte nicht einschränken und dann viele Menschen anstecken.

STANDARD: Was passiert, wenn die aktuellen Maßnahmen wieder gelockert werden?

Winkler: Wir wissen nicht, ob es eine zweite Welle geben wird. Diese Angst gibt es natürlich. Das muss ernst beobachtet werden, das ist alles ein dynamischer Prozess. Aber wenn etwa Schulen wieder aufgemacht werden, solange das Virus noch zirkuliert, müssen weiterhin sensible Bevölkerungsgruppen, also Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen, geschützt werden.

STANDARD: Steht uns eine so dramatische Situation wie in Italien bevor?

Winkler: Ich glaube nicht. Österreich ist intensivmedizinisch besser ausgestattet. Außerdem wurde bei uns die Situation viel früher begleitet als in Italien. Es gibt ja Vermutungen, wonach das Virus in Italien schon viel länger kursierte, bis es bekannt wurde. In Österreich hat man einigermaßen Zeit gehabt, sich vorzubereiten. Bei uns wusste man schon von dem Virus, hat Menschen getestet, und erst dann hat es erste Todesfälle gegeben.

STANDARD: Deutsche Forscher berichten von neuen Symptomen, die sie bei Patienten festgestellt haben, etwa Durchfall. Womit hat das zu tun? Ist das Virus möglicherweise mutiert?

Winkler: Das hat nichts mit einer Mutation zutun. Das Virus befällt Epithelzellen, also Zellen, die die Atemwege auskleiden. Eintrittspforten für das Virus gibt es aber auf vielen Zellen im Körper, auch im Darm. Bei vielen Viruserkrankungen, die in der Lunge eine Rolle spielen, haben die Patienten auch Durchfall. Das ist nicht ungewöhnlich.

STANDARD: Aus Italien kommen Berichte, wonach auch jüngere Menschen schwere Verläufe haben. Was halten Sie davon?

Winkler: Wir gehen nach wie vor davon aus, dass es die Älteren trifft. Aber auch mit 60 kann man biologisch älter sein. Und vor allem an Begleiterkrankungen leiden oft ältere Menschen, etwa an Diabetes, Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen. Die junge Frau, die in Österreich verstorben ist, war eine schwere Diabetikerin. Daher muss man auch sagen: Das Alter ist immer relativ.

STANDARD: Wie sinnvoll ist das Tragen von Masken?

Winkler: Normalsterbliche müssen sich keine Masken kaufen. Für sie gelten Maßnahmen wie Kontakte meiden und Abstand halten. Masken gibt es nicht in wahnsinnigem Überfluss, deshalb müssen wir gut damit haushalten. Im Krankenhaus schützen Masken das Personal und die Patienten gleichermaßen, dort brauchen wir sie unbedingt.

STANDARD: Zuletzt hat eine Meldung die Runde gemacht, wonach Ibuprofen den Verlauf von Covid-19 verschlechtert. Stimmt das?

Winkler: Nein, dafür gibt es keinerlei Hinweise. Das haben auch viele medizinische Vereinigungen sofort klargestellt. Weil aber auch die WHO vorsichtshalber von Ibuprofen abgeraten hat, war die Konsequenz, dass sich viele Menschen nun Paracetamol zur Behandlung von Beschwerden gekauft haben. Meiner Meinung nach sollte man bei der Selbstmedikation sehr vorsichtig sein und alle diese Medikamente eher kritisch sehen, da sie Nebenwirkungen haben können. Paracetamol kann auf die Leber gehen, Ibuprofen auf die Nieren oder das Herz-Kreislauf-System. (Bernadette Redl, 21.3.2020)