Das Programm der kommenden Saison wird noch Angyans Handschrift tragen, danach übernimmt Stephan Pauly den Musikverein.

Foto: Matthias Cremer

Auch Thomas Angyan, den Chef des Wiener Musikvereins, beschäftigt vor allem die Frage, wann das Ende der Dauersperrstunde sein wird. An den 3. April hat er nicht wirklich geglaubt. Nun ist denn auch von der Regierung verkündet worden, es würde mindestens bis 13. April dauern, bis schrittweise wieder Maßnahmen zurückgenommen werden können. Ob das alles halten wird, "ob es nicht doch Ende April wird oder noch später, diesbezüglich verfüge ich über keine Insiderinfos. Es gibt natürlich Szenarien, die wir auf das Ende der Saison hin ausgerechnet haben. Aber an diese will ich gar nicht denken. Natürlich ist alles vorbereitet. Ich hoffe aber, dass wir das zeitlich nicht bis zur Neige auskosten müssen…" Da sei schon ein eigenartiges Gefühl, "in einem Haus zu sein, das so brummt und in dem heuer 948 Konzerte geplant waren. Allein zwischen 10. März und dem 3.April sind 90 Konzerte abgesagt worden. Das hat es so noch nie gegeben."

Auch vor der Coronakrise war Thomas Angyan in einer besonderen Situation. Mit Ende dieser gefährdeten Saison überlässt er den Job des Musikvereinschefs Stephan Pauly. Das Programm der kommenden Saison trägt dennoch Angyans Handschrift. "Mein Nachfolger hat gemeint, ich hätte schon so viel vorbereitet", da würde er, Angyan, hoffentlich das Programm auch zu Ende planen können. "Er wird die Saison natürlich durchführen und noch das eine oder andere hinzufügen. Aber dazu will er sich erst im Herbst äußern."

Angyan äußert sich jetzt: Ein Schwerpunkt (im Rahmen der 424 Konzerte, die sich auf 92 Zyklen verteilen) wird der 150. Geburtstag von Alexander Zemlinsky sein, dem ein sechsteiliger Zyklus (plus Symposion) gewidmet sein wird. Die Carte Blanche geht an Dirigent Valery Gergiev, der mit den Münchner Philharmonikern und seinem Mariinsky Orchester zu hören sein wird. Drei Dirigenten sind Artist in Residence: Jakub Hrusa, der u.a. mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks kommen wird. Daneben sind Paavo Järvi und Andrés Orozco-Estrada schwerpunktmäßig zugegen. Nach wie vor ist natürlich auch die Kategorie "Orchestergastspiele" ein Qualitätsmerkmal des Musikvereins.

Optimist und Realist

19 Klangkörper werden vertreten sein: Christian Thielemann kommt mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Andris Nelsons mit dem Gewandhausorchester Leipzig, Sir Simon Rattle mit dem London Symphony Orchestra und Sir Antonio Pappano mit dem Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia. Natürlich werden auch Dirigenten wie Riccardo Muti, Zubin Mehta und Franz Welser-Möst anreisen. Die Qualitätsliste ist endlos. Als Artist in Residence präsentiert man 2020/21 zudem den russischen Pianisten Denis Matsuev, während man im zeitgenössischen Bereich über siebzig teils ganz neue Werke bietet – u.a. anderem Thomas Adès‘ Klavierkonzert mit dem RSO-Wien und Kirill Gerstein. Wichtig sind Angyan auch die Jugendprogramme, bei denen es 234 Veranstaltungen geben wird.

Die Freude über das langfristig Kommende überlagert natürlich die Sorge über kurzfristige Entwicklungen. "Ich bin auch noch nicht sehr optimistisch für April. Ich hoffe, dass wir unser Musikfest über die Bühne bringen. Ich bin zwar Optimist, aber als Realist tue ich mir manchmal schwer", sagt Angyan. "Wir halten die Situation eine Weile aus, aber nicht ewig. Der Einnahmenausfall bei Eigenveranstaltungen, rein bei den Einnahmen, die nicht gegen die Ausgaben saldiert sind, beträgt im März ist bis 3. April ganze 1,4 Millionen Euro. Natürlich zahle ich aber auch keine Honorare. Wenn ich das berücksichtige, bleibt ein Minus von 500.000 Euro für den März."

Wenn das noch länger als nun offiziell verordnet weitergeht, könnte auch Kurzarbeit angedacht werden. "Allein für März müssen wir 40.000 Karten zurückkaufen. Wir können auch nicht in Cash auszahlen, weil wir die Kassa nicht offen haben. Wir können nur Gutscheine versenden, die später gegen Geld eingelöst werden oder beim Kauf neuer Karten verwendet werden können. Wir geben natürlich auch Bargeld. Moment können wir aber nur überweisen oder bei jenen, die mit Kreditkarte gezahlt haben über die Kreditkarte retournieren. Es ist eine logistische Herausforderung", sagt Angyan. Und es ist auch für den Routinier eine neue Erfahrung, auf die er zum nunmehrigen Finale seiner Ära wohl gerne verzichtet hätte. (Ljubisa Tosic, 20.3.2020)