Tabletten gegen Sars-CoV-2 wären die beste Lösung, leider gibt es sie nicht.

In der Zirbeldrüse im Gehirn wird Melatonin gebildet.

Große Krisenzeiten wie die aktuelle Corona-Pandemie wirbeln eine ganze Reihe von Gerüchten auf. In einer allgemeinen Stimmung von Unsicherheit wird in den sozialen Medien Melatonin beworben, ein körpereigenes Hormon, das beim Tag-Nacht-Rhythmus des Organismus eine Rolle spielt. Bei seiner Bildung im Körper ist auch indirekt eine Schaltstelle involviert, die in Zusammenhang mit Corona-Viren immer wieder genannt wird. In einer wissenschaftlichen Studie wird die Wirkung scheinbar untermauert.

Wirkstoffe ohne spezifische Wirksamkeit

Melatonin ist in Apotheken rezeptfrei erhältlich. Macht es also tatsächlich Sinn, sich durch Melatonin vor einer Corona-Infektion zu schützen? "Melatonin in der derzeitigen Situation als Schutz vor einer Infektion zu empfehlen ist vollkommen unseriös", sagt Michael Freissmuth, Pharmakologe an der Medizinischen Universität Wien. Unter Experten ist Melatonin eine Art Treppenwitz, "seit 30 Jahren bekannt, ohne bisher eine Indikation gefunden zu haben," so Freissmuth. Nach der Lektüre der Studie ist klar, dass sie keinesfalls durchgeführt wurde, um Melatonin für Patienten zu empfehlen, sondern ausschließlich dazu, wissenschaftliche Hypothesen mit Methoden der künstlichen Intelligenz zu generieren.

Damit ein Medikament für Patienten auf den Markt kommen kann, muss es seine Wirksamkeit, die Dosierung und vor allem auch seine Sicherheit in einem mehrstufigen Verfahren beweisen. Nichts davon wurde für Melatonin als Schutz vor einer Corona-Infektion durchgeführt.

Keine Studie für Anwendung an Menschen

"Nicht einmal Tierexperimente, auch keine Zellkulturen", so Pharmakologe Freissmuth, geschweige denn zentrale Fragen von Dosierungen. "Die Wahrscheinlichkeit, dass Melatonin hilft, ist also höchst gering", sagt er und sieht solche aktuell erscheinenden Studien und ihre Publikationen auch vor dem Hintergrund der Pandemie-Krise. "Auch alle medizinischen Fachjournale versuchen derzeit irgendwelche Studien im Zusammenhang mit Sars-CoV-2 zu publizieren, weil diese gerade am dringendsten nachgefragt werden." Auch Fachjournale stehen in einer starken Konkurrenz zueinander, "da geht es darum, bei aktuellen Themen ganz vorne mit dabei zu sein," so Freissmuth.

Für medizinische Laien ist die Relevanz solcher Publikationen deshalb auch kaum durchschaubar. Wer vorhatte, sich nach der Lektüre dieser Meldung in den sozialen Medien mit Melatonin zu fluten – nach dem Motto "Hilft es nicht, schadet es nicht" –, sollte das unbedingt unterlassen und sich besser an die strengen Ausgangsregeln halten. Ein Gang in die Apotheke wäre ein unnötiges Risiko. (Karin Pollack, 25.3.20120)