Kirschblüte in Washington, D.C.
Foto: AFP/MANDEL NGAN

Prinzipiell ist es ja die schönste Zeit des Jahres – die Zeit, in der Washington noch mehr als sonst zum Touristenmagneten wird. Am Freitag hätte das Cherry Blossom Festival begonnen, ein Volksfest mit schätzungsweise 700.000 Gästen, das immer dann gefeiert wird, wenn fast viertausend japanische Kirschbäume am Ende der Museumsmeile National Mall, neben den Tempeln und Denkmälern, in voller Blüte stehen. Seit Wochen schon versuchen Meteorologen, genau zu errechnen, wann der Zeitpunkt der vollsten, der allerschönsten rosa-weißen Blüte erreicht ist: Zuletzt hatte man sich auf dieses Wochenende geeinigt. Nun aber ist das Fest abgesagt, und am U-Bahnhof Friendship Heights weist eine Anzeige darauf hin, dass die Züge der Metro an den Stationen in der Nähe der Kirschbäume nicht halten werden.

Friendship Heights ist der Bahnhof, den ich immer benutze, um ins Stadtzentrum zu fahren. So menschenleer wie jetzt habe ich ihn in der Rushhour noch nie erlebt – höchstens vielleicht am Thanksgiving Day im November, wenn die Amerikaner daheim um den Truthahn versammelt sind.

Nicht dass es irgendwo Sperren gäbe. Der Zugbetrieb läuft, wenn auch nur im Sonntagstakt. Aber kaum einer setzt sich jetzt noch in einen Waggon. Abwechselnd mit der Kirschblüten-Warnung ist auf der Anzeige übrigens folgender Spruch zu lesen: "Keep calm and wash your hands." Daneben dasselbe auf Spanisch.

Sechs Fuß Abstand

An der Rezeption unseres Hochhauses hat jemand mit weißem Klebeband auf dem Fußboden den Bereich markiert, den man nicht betreten darf, um die Rezeptionistin nicht zu gefährden. Sechs Fuß Abstand sind zu halten, ungefähr 1,80 Meter, wenn man mit ihr spricht, um sich etwa bei Amazon bestellte Pakete herausgeben zu lassen – was sich inzwischen zu ihrer Hauptaufgabe entwickelt hat. Auf das Band jedenfalls hat dieser Jemand mit rotem und schwarzem Filzstift orientalisch anmutende Ornamente gemalt. Sehr geschmackvoll, ein kleines Kunstwerk für sich.

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Überall gilt jetzt: Abstand halten!
Foto: REUTERS/Brian Snyder

Amerikanische Apartmenthäuser, muss man wissen, sind oft wie Hotels organisiert, mit einer Rezeption am Eingang. Wer sie betritt oder verlässt, dem schallt unweigerlich ein freundlich-routiniertes "How're you doin'?" entgegen – woran die Corona-Krise übrigens nichts geändert hat, höchstens dass der Ton noch freundlicher, aber weniger routiniert ist. Neu ist, dass der Hausmeister nur noch in Notfällen kommt: Wasserrohrbruch, Kühlschrank defekt, Türschloss kaputt. Feuer. Vor drei Tagen teilte die Verwaltung unseres Hauses mit seinen 17 Etagen und 340 Wohnungen mit, dass man den Fahrstuhl möglichst nicht mehr benutzen und stattdessen Treppen steigen soll.

Vorrang für Senioren im Biosupermarkt

Bei Whole Foods, dem Biosupermarkt um die Ecke, in den ich nun immer gehe, nachdem der preiswertere in unserem Viertel im Jänner überraschend geschlossen hat, herrscht normaler Betrieb. Nur eine Regelung ist dazugekommen: Wer älter als 60 ist, kann schon ab sieben Uhr morgens einkaufen, während alle anderen bis acht warten müssen.

Es gibt alles – nur kein Toilettenpapier und keine Babywindeln. Manches wird allerdings rationiert, wohl zum ersten Mal überhaupt in der Whole-Foods-Geschichte. Pro Kunde sind zum Beispiel erlaubt: vier Packungen Reis, zwei Tetrapaks haltbare Milch, acht Dosen Suppe, zwei 2,5-Gallonen-Flaschen Mineralwasser (zweimal knapp zehn Liter) und – falls es die wieder gibt – zwei Packungen Windeln und zwei Packungen Klopapier.

Bei Brooks Brothers, ein paar Meter weiter, verkünden sie voller Bedauern, dass sie vorübergehend geschlossen haben. Der Zettel, auf dem das steht, hängt verkehrt herum im Schaufenster. Immerhin handelt es sich bei Brooks Brothers um den ältesten noch bestehenden Herrenausstatter der USA – gegründet 1818, was für amerikanische Verhältnisse fast schon nach Antike klingt. Es ist nicht bekannt, dass er jemals schließen musste.

Fast verwaiste Hauptstraßen

Weiter die Wisconsin Avenue hinunter, eine der breiten Nord-Süd-Magistralen der Stadt: kaum Menschen auf den Gehsteigen, abgesehen von Joggern, die man sonst nur selten dort sieht. Die Restaurants haben auf Lieferservice umgestellt, die Stühle sind hochgestellt.

So menschenleer sieht man die US-Hauptstadt Washington nur selten. Im Bild: die Pennsylvania Avenue.
Foto: Eric BARADAT / AFP

Tenny Asfaw kann es sich nicht leisten, zuzumachen. Irgendwann aus Äthiopien eingewandert, lebt die Betreiberin des Friendship Gourmet Market in unserer Nachbarschaft davon, dass sie Wein in ansehnlichen Mengen verkauft und täglich wechselnd ein Mittagsgericht anbietet – von Jamaica Jerk Chicken bis hin zu zum Reuben Sandwich, bestehend aus Corned Beef, Sauerkraut, Käse und Roggenbrotscheiben. Zum Essen kommt keiner mehr, dafür ist der Umsatz bei Wein stark angestiegen. Und Tenny Asfaw, die steht nicht mehr selbst hinter der Kasse, sie lässt sich von einem Angestellten vertreten. Die Chefin, sagt der, sei über 60 Jahre alt: Risikogruppe. (Frank Herrmann aus Washington, 21.2.2020)