Ein Notfallbett steht im Rathaus bereit. Sollte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig selbst erkranken, bleibt er auch über Nacht im Amtsgebäude.

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"Ich mache kein Homeoffice, ich bin jeden Tag im Rathaus", sagt Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) im telefonischen Interview mit dem STANDARD. Dennoch hat sich in den vergangenen Tagen viel für das Stadtoberhaupt verändert.

Eine Krisensitzung jagt die nächste. Ludwig ist aber sehr zufrieden mit dem Umgang der Wienerinnen und Wiener mit dem Coronavirus. Die Bevölkerung sei "extrem diszipliniert". Die Wien-Wahl möchte er derzeit nicht verschieben.

STANDARD: Die Wiener Stadtregierung hat einen Covid-19-Fall. Wie geht es Wohnbaustadträtin Kathrin Gaal?

Michael Ludwig: Es geht ihr den Umständen entsprechend gut. Ich bin mit ihr laufend telefonisch in Kontakt. Sie hat einen sehr milden Verlauf. Sie hat eigentlich kein Fieber, nur starken Schnupfen und schmeckt und riecht nichts. Sie entwickelt eine Resistenz, das kann auch ein Vorteil sein, wenn wir jemanden in der Stadtregierung haben, der die Krankheit bereits durchgemacht hat.

STANDARD: Sind Sie selbst nach Bekanntwerden getestet worden?

Ludwig: Nein, bin ich nicht. Ich werde als Bürgermeister nicht anders behandelt als alle anderen Wienerinnen und Wiener.

STANDARD: Sorgen Sie sich, dass auch andere Stadträte infiziert sein könnten?

Ludwig: Wir sind als Politiker viel in Kontakt mit Menschen und daher eine Risikogruppe. Aber wir versuchen, alle Maßnahmen einzuhalten: Hände waschen, Abstand halten, soziale Kontakte einschränken.

STANDARD: Für Bundeskanzler Sebastian Kurz wurde ein Notfallbett im Bundeskanzleramt aufgestellt. Müssen Sie im Rathaus übernachten, sollten Sie sich anstecken?

Ludwig: Ja, das wäre möglich. Es ist vorgesorgt, dass ich meine Funktion weiter ausüben kann, auch wenn ich mich anstecke.

STANDARD: Innerhalb weniger Tage wurde das Leben in Wien komplett umgestellt. Viele Menschen arbeiten zu Hause, Gasthäuser haben zu, Schulen sind geschlossen. Wie verhalten sich die Bewohner?

Ludwig: Ich nehme die Wiener Bevölkerung als extrem diszipliniert wahr. Wenn ich hier im Rathaus beim Fenster rausschaue, sehe ich nicht nur den Rathauspark, sondern Teile der Ringstraße, bis hin zum Heldenplatz. Ich sehe, dass wenige Menschen unterwegs sind und alle einen Sicherheitsabstand einhalten. Mir ist wichtig, dass alle Maßnahmen streng angewendet werden. Aber auf der anderen Seite darf man nicht den Eindruck erwecken, dass die Menschen überhaupt nicht mehr hinausdürfen.

STANDARD: Es gibt Bilder von überfüllten Freiflächen, etwa am Donaukanal, im Prater oder auf der Donauinsel. Die Zahl der Anzeigen liegt bei mehr als 500 in Wien.

Ludwig: Bei zwei Millionen Einwohnern! Dass es Einzelfälle gibt, die sich nicht an die Regeln halten, gilt ja insgesamt für das Zusammenleben. Aber in der jetzigen Ausnahmesituation gibt es nur wenige "schwarze Schafe", wenn Sie so wollen.

STANDARD: Es gilt, vor allem ältere Menschen zu schützen. Die Neos kritisieren, dass Sie Taxigutscheine an die Menschen ab 65 verteilen. Ist das sinnvoll?

Ludwig: Es muss sichergestellt sein, dass auch ältere Menschen beliefert werden können. Wenn die Lieferketten unter Druck kommen sollten, dann wird das notwendig sein. Maßnahmen müssen zeitgerecht entwickelt werden. Das gilt generell für die Bewältigung dieser Krise, dass man immer den nächsten Schritt andenken muss. Das ist auch der Grund, warum ich in der Messe Wien ein Betreuungszentrum errichtet habe, obwohl es jetzt noch nicht notwendig ist. 880 Personen, die leicht erkrankt sind, können dort behandelt werden. Bei Bedarf noch mehr. In solcher Situation ist Umsicht gefordert, nicht parteipolitisches Hickhack.

STANDARD: Die Gutscheine sind also dazu da, sich Lebensmittel liefern zu lassen, und nicht, um ins Grüne zu fahren?

Ludwig: Auch. Aber auch für andere Mobilitätsanforderungen. Menschen über 65 können nicht Wochen oder Monate in ihren Wohnungen eingesperrt bleiben.

STANDARD: Kritik gibt es daran, dass sich Ärzte aus Krankenhäusern bereits infiziert haben. Warum wird Personal nicht flächendeckend getestet? Soll es gemacht werden?

Ludwig: Wenn Sie heute jemanden testen, kann es sein, dass das Ergebnis ein paar Stunden später keine Gültigkeit mehr hat. Das Personal wird beim Zutritt kontrolliert. Wir haben in allen Spitälern Schleusen installiert, damit Personal und Patienten getrennten Zutritt haben. Auch Fiebermessungen werden durchgeführt.

STANDARD: Sollte das Personal täglich auf das Virus getestet werden?

Ludwig: Es gibt jetzt die ersten Schnelltests, bisher dauerten sie vier Stunden. Das ist vom Ablauf her schwierig.

STANDARD: Experten fordern flächendeckende Test. Was halten Sie von Drive-in-Stationen, die es in Südkorea gibt?

Ludwig: Derartige Pläne gibt es für Wien nicht. Wir setzen auf mobile Teams des Ärztefunkteams, die Menschen vor Ort testen.

STANDARD: Sind genug Teams im Einsatz?

Ludwig: Derzeit sind 22 Teams unterwegs.

STANDARD: Wird hier noch aufgestockt?

Ludwig: Man muss das beobachten. Bei der Servicenummer 1450 hat es mit bis zu 20.000 Anrufen pro Tag einen großen Hype gegeben. Jetzt gehen die Zahlen zurück. Viele haben ihren Informationsbedarf über diese Nummern abgedeckt. Da entspannt sich jetzt die Situation ein wenig.

STANDARD: Österreich hat zu wenige Schutzmasken, um die ganze Bevölkerung zu versorgen. Die Schneidereien in Wien fertigen nun welche an. Hätten die Behörden in Österreich stärker vorsorgen müssen?

Ludwig: Die Lkws mit Schutzausrüstung, die an der Grenze zu Deutschland aufgehalten wurden, sind mittlerweile weitergeleitet worden. In Wiens Spitälern haben wir eine strategische Reserve an Schutzkleidung angelegt. Außerdem dürfen Hygienemasken nun auch recycelt werden. Hier gibt es eine neue Richtlinie für die Desinfektion und Aufbewahrung der Masken, das ist beruhigend.

STANDARD: Wien hat ein Coronavirus-Sonderbudget in Höhe von 85 Millionen Euro geschnürt. In erster Linie wird damit die Wirtschaft unterstützt. Viele sind schon arbeitslos oder werden in Kurzarbeit geschickt. Welche Unterstützung ist für daraus resultierende soziale Härtefälle vorgesehen?

Ludwig: Primär sind Maßnahmen von der Bundesregierung zu setzen. Wir haben uns zusätzlich in Abstimmung mit den Sozialpartnern Schritte überlegt. Kunst- und Kulturschaffende sind etwa besonders gefordert. Ihre Auftritte werden nun übers Internet übertragen. Sie erhalten dafür ein Honorar.

STANDARD: Was, wenn aufgrund von Kündigung oder Kurzarbeit jemand seine Miete nicht mehr zahlen kann?

Ludwig: Wir haben angeordnet, dass es in den städtischen Wohnhausanlagen zu keinen Delogierungen kommt.

STANDARD: In Tirol sind alle Gemeinden mittlerweile in Quarantäne. Sind die Maßnahmen rasch genug erfolgt?

Ludwig: Jeder Politiker trifft seine Entscheidungen vor Ort. Ich maße mir nicht an, über ein anderes Bundesland zu urteilen.

STANDARD: Bis zu den verstärkten Maßnahmen in Tirol war es jederzeit möglich, dass man aus dem Bundesland nach Wien reist. Sollte sich die Bundeshauptstadt abschotten, um die Infektionen einzuschränken?

Ludwig: Nein, das tun wir nicht. Das ist in einer Stadt wie Wien unmöglich. Wir werden keine Mauer um Wien bauen, aber alle Sicherheitsvorkehrungen einhalten.

STANDARD: Nun wurde bekanntgegeben, dass die Einschränkungen bis Ostermontag gelten. Könnte es noch länger werden?

Ludwig: Das hängt von der Entwicklung der Kurve ab und davon, ob es gelingt, den Peak abzuflachen. Dann wird man sehen, ob sich die Kurve verlängert, das ist ja die Konsequenz daraus. Wir müssen nicht nur schauen, wie viele Personen sich infizieren, sondern auch, wie der Verlauf ist. In Wien gibt es derzeit eine sehr sanfte Steigerung. Das heißt natürlich nicht, dass es so bleibt.

STANDARD: Wird es auch in Wien weitere Verschärfungen brauchen? Kommen Ausgangssperren?

Ludwig: Ich hoffe nicht. Wir liegen, was die Anzahl der Infizierten betrifft, im Bundesländervergleich genau in der Mitte, obwohl wir eine Millionenstadt sind.

STANDARD: Die Wien-Wahl soll im Herbst stattfinden. Wird sie verschoben?

Ludwig: Aus heutiger Sicht nein. Aber niemand weiß, was im Oktober ist. (Rosa Winkler-Hermaden, 20.3.2020)