Im Gastkommentar ziehen Ulrich Brand und Heinz Högelsberger vom Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien Vergleiche zwischen Corona- und Klimakrise. Hellmut Butterweck, früherer Wissenschaftsredakteur und Theaterkritiker, spricht sich in einem weiteren Gastkommentar dafür aus, das menschliche Gewinnstreben als treibende Kraft unserer Wirtschaft zu hinterfragen. Nico Hoppe sieht den Enthusiasmus, mit dem individuelle Krisenbewältigungsstrategien zelebriert werden, mit Sorge.

Illustration: Felix Grütsch

Wie werden wir in zehn Jahren auf die aktuelle Krise sehen? Aktuell lernt die Gesellschaft, dass sie im Kampf gegen das Coronavirus tagtäglich neue drastische Einschnitte und "Zwangsmaßnahmen" akzeptieren muss. Grenzen werden geschlossen. Der Alltag muss stark umorganisiert werden. Flüge werden eingestellt. Kein Shoppen aus Zeitvertreib. Die gleichzeitig ablaufende Flüchtlingstragödie wurde im öffentlichen Diskurs beiseitegeschoben.

Der autokratische Ton, mit dem die österreichische Regierung die Maßnahmen verhängt und verkündet – im Unterschied zur deutschen etwa –, irritiert. Es wirkt so, als könnten einige Politiker Gefallen am autoritären Regieren mittels Zwangsmaßnahmen finden. Als malten sie sich aus, auch in anderen Situationen einen Ausnahmezustand deklarieren zu können. Etwa wegen der sich zuspitzenden Klimakrise? Umso wichtiger ist nun eine intensive Debatte, wie weit die Regierung in solchen Zeiten gehen darf, welche Rechte beschnitten werden dürfen. Nicht nur jetzt, auch nach der Corona-Krise wird es um die Verteilung der Lasten gehen. Und etwa um die Frage, ob und welche Umweltauflagen geschwächt werden, damit die Unternehmen sich eher erholen können.

Nachhaltige Effekte ...

Positive Erfahrungen während der Krise könnten durchaus bleiben: Der Flugverkehr bleibt auf einem ökologisch erfreulich niedrigen Niveau. Aber auch globale Güterketten in der Lebensmittelproduktion könnten teilweise regionalisiert, der Konsum deutlich reduziert werden. Nicht auf das Nötigste, sondern – so leuchtet es immer mehr Menschen ein – auf das Sinnvolle. Eine Einsicht durch die aktuelle Krise könnte sein, nicht mehr auf möglichst viele und billige Produkte vom Weltmarkt zuzugreifen oder den Wochenendausflug per Billigflug cool zu finden. "Lokal und regional" wäre nicht nur ein Marketingspruch, sondern würde zu persönlichen Erfahrungen, die nicht der Weltoffenheit entgegenstehen.

Die dringenden Maßnahmen für Kurzarbeit treffen sich mit den Wünschen vieler Menschen nach Arbeitszeitverkürzung. Die aktuelle Forderung nach einem Grundeinkommen für Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, um sie vor dem Schlimmsten zu bewahren, könnte als positive Errungenschaft weitergeführt werden. Und zwar auf europäischer Ebene. Pflegeberufe, die bisher wenig geachtet und schlecht bezahlt waren, erhalten durch die Krise endlich die Wertschätzung, die ihnen zusteht.

... auf die Klimakrise

Wichtig wäre: Nach dem erfolgreichen Kampf gegen das Coronavirus werden die Erfahrungen auf ein anderes, genauso gefährliches Phänomen übertragen: auf die Klimakrise. Spätestens seit 2019 ist das Thema endgültig auf der politischen Tagesordnung. Nämlich nicht nur dort Umweltpolitik zu machen, wo es niemandem wehtut. Produktion und Konsum, insbesondere der Luxuskonsum, müssen deutlicher den Erfordernissen der Klimakrise angepasst und dafür auch bestimmte Produkte und Branchen deutlich reduziert werden. Auch die aktuell von der deutschen und französischen Regierung angeregte Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien wäre klimapolitisch von großer Bedeutung, weil damit langfristige Planung möglich ist und der Profitdruck auf die Unternehmen zurückgeht.

Vor einigen Monaten kündigte die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, einen Europäischen Green Deal an. Bislang handelt es sich wesentlich um ein Investitionsprogramm, um die europäischen Konzerne im Bereich neuer Technologien gegenüber den USA und China zu stärken. Auch diese milliardenschwere Initiative könnte nach der erfolgreich überwundenen Corona-Krise in einem anderen Licht gesehen werden. Selbst die EU-Kommission sieht aktuell, dass die Menschen bereit sind, in der Klimakrise umzudenken. Das Geld könnte nicht zuvorderst für eine größere globale Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen eingesetzt werden, sondern für den dringend notwendigen Ausbau öffentlicher Infrastrukturen, um eine nachhaltige Wirtschaft zu stärken.

Gefährdete Gruppen

Das Coronavirus kann tödlich sein, aber das trifft auf den Klimawandel eben auch zu. In beiden Fällen gibt es besonders gefährdete Gruppen von Menschen. Bei Corona geht es nach der Altersgruppe, beim Klimawandel nach sozialem Status und der Wohngegend. Bei Corona wird völlig selbstverständlich auf Gebote und Verbote gesetzt, was sich die Politik beim Klimaschutz bislang nicht traut. Anreize, Bewusstseinsbildung und der Markt sollten es regeln – und versagen weitgehend. Mit Corona wird denkbar, dass auch eine ernst zu nehmende Klimapolitik durchaus strenger sein kann und angesichts der Krise Verbote aussprechen muss: raus aus dem Kohlestrom, kein Ausbau von Flughäfen und Flugverkehr, keine Tierquälerei für billiges Fleisch.

Drastische Maßnahmen sind möglich, wenn der Großteil der Menschheit ihre Notwendigkeit versteht. Mit der Erfahrung der Corona-Krise könnte dem Klimaschutz die Ernsthaftigkeit entgegengebracht werden, die er benötigte. Es geht was! Keine falschen Ausreden!

Staat, nicht Märkte regeln

Statt Schulen und Theatern könnten Steuerschlupflöcher für die großen Konzerne und die Vermögenden geschlossen werden. Und immer mehr Güter repariert. Wo immer es möglich ist, weichen Autos dem öffentlichen Verkehr. Den Luxus von Profitmaximierung und Superreichen kann sich die Menschheit schlichtweg nicht mehr leisten.

Eines macht die Coronavirus-Pandemie deutlich: Wenn dringendes Handeln notwendig ist, überlässt niemand die Lösung des Problems dem "Markt", sondern Regierung und öffentliche Hand müssen agieren. Allerdings unter demokratischen und transparenten Bedingungen. Und: Die daraus resultierenden Änderungen sind für die Durchschnittsbürgerin und den Durchschnittsbürger gar nicht so dramatisch, wie die aktuelle Situation. (Ulrich Brand, Heinz Högelsberger, 21.3.2020)