STANDARD: Herr Popper, die aktuellen Modelle zeigen, dass die Maßnahmen der Bundesregierung wirken. Können Sie konkrete Zahlen nennen?

Nikolas Popper: Als sich Covid-19 in Österreich auszubreiten begann, hatten wir Verdoppelungen der Erkrankten innerhalb von zwei bis 2,5 Tagen, jetzt liegen wir bei vier bis sechs Tagen. Das ist ein erster kleiner Erfolg. Doch Vorsicht ist geboten. Es kann auch wieder mehr werden, wenn man die Maßnahmen zu schnell und unbedacht lockert. Man sollte jedenfalls weiterhin Social Distancing machen. Die Anzahl der Neuerkrankungen steigt nach wie vor an.

Mathematiker Nikolas Popper sagt: "Als Zahlenmensch wünsche ich mir mehr Tests."
Foto: drahtwarenhandlung/Popper

STANDARD: Wenn Sie jetzt eine Wirkung sehen, auf welche Maßnahmen genau kann das zurückgehen?

Popper: Ärzte und Virologen sprechen von einer Inkubationszeit zwischen zwei und 14 Tagen, dabei gibt es eine Häufung bei fünf Tagen. Infektionszahlen, die dazukommen, bedeuten also: Die Menschen, die das betrifft, haben sich vor etwa fünf Tagen angesteckt. Wenn diese dazukommenden Zahlen also weniger sind als die Zahlen in den Tagen davor, dürften die Maßnahmen von vergangener Woche vorerst Wirkung erzielen. Dazu muss man aber sagen: Es steigt nach wie vor. Wir sind noch ein gutes Stück davon entfernt, Entwarnung geben zu können. Es muss weiterhin darum gehen, die Kurve des exponentiellen Wachstums zu verflachen. Dazu braucht es Konsequenz. Die Änderungen von vor einer Woche werden wir in den nächsten Tagen sehen.

Ein STANDARD-Video erklärt, wie die Maßnahmen der Regierung wirken und warum es so lange dauert, bis Erfolge sichtbar sind.
DER STANDARD

STANDARD: Man kann also nicht von einem positiven Trend reden?

Popper: Es verläuft ein bisschen besser. Man muss nur den Unterschied betrachten: Überlegen wir, was passiert, wenn wir eine Verdoppelungsrate nach 2,5 Tagen haben, und gehen wir von 5.000 Erkrankten aus. Nach 2,5 Tagen also 10.000, nach derselben Zeitspanne 20.000, dann 40.000. Es macht einen großen Unterschied, wenn wir dieselbe Verdoppelung erst nach fünf Tagen haben. Es bedeutet eben nach fünf Tagen halb so viele Kranke.

STANDARD: Die Strategie dahinter ist, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten und eine Situation wie in Italien so gut wie möglich zu verhindern?

Popper: Natürlich. Wir müssen die Ausbreitung des Virus unter der Bevölkerung und vor allem unter der gefährdeten Gruppe – ältere Menschen, Personen mit Vorerkrankungen – hinauszögern. Und andererseits Sicherheit für besonders schwere Fälle schaffen. Da geht es darum, die Krankenhäuser so gut es geht abzuschirmen, das passiert, und es geht darum, alternative Behandlungsstätten zu ermöglich. Das ist genau das, was in der Messe Wien geschehen ist. Da wurden, wie man weiß, Betten bereitgestellt, um weniger schwere Fälle behandeln zu können. Wir müssen auch die Zahl der Intensivpatienten beobachten, ein zu starker Zuwachs könnte für jedes Gesundheitssystem ein Problem werden.

STANDARD: Es scheint nun mehr tägliche Tests zu geben. Das ist wohl eine Voraussetzung, um valide Aussagen über die Zahl der Krankheitsfälle zu machen. Warum ging das nicht früher?

Um die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten, sollte die Ansteckungsgefahr reduziert werden, sagen Experten.
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Popper: Natürlich, als Zahlenmensch wünsche ich mir mehr Tests. Aber ich muss auch betonen, dass ich Mathematiker bin und niemand, der täglich Tests durchführt. Diese Schuhe muss man sich erst einmal anziehen. Ich kann mir vorstellen, wie knapp man an den Ressourcen ist. Die Testtools und Laborplätze sind natürlich begrenzt.

STANDARD: Was sagen Sie Menschen, die fragen, wann es wieder gut sein wird, wann wir zur Normalität zurückkehren können?

Popper: Man kann sich unter Normalumständen natürlich etwas wünschen. Derzeit leider nicht. Wir fahren auf Sicht. Soll heißen: Es geht um eine laufende Evaluierung der Maßnahmen, gleichzeitig läuft ja auch die Suche nach Medikamenten und Impfstoffen. Wie lange es dauert, hängt schließlich vom Commitment jedes Einzelnen ab. Je mehr wir schauen, dass wir uns nicht gegenseitig anstecken, desto früher wird sich die Lage entspannen, desto früher hoffen wir, dass die Maßnahmen zurückgefahren werden können. Denn natürlich muss man gleichzeitig den Schaden, den die Gesellschaft vor allem wirtschaftlich nimmt, klein halten. Das ist eine denkbar schwierige Aufgabe. (Peter Illetschko, 21.3.2020)