New York ist zu einem Hotspot der Coronakrise geworden - sechs Prozent der globalen Virusinfektionen befinden sich mittlerweile hier. Die Situation spitzt sich stündlich zu und die Infektionszahlen scheinen sich alle drei Tage zu verdoppeln. Am Freitag, dem 19. März, verkündete die Federal Emergency Management Agency (FEMA) eine Major Disaster Declaration für New York, was rascheren Zugang zu mehr Geldern ermöglichen soll. Am Wochenbeginn lag die Zahl der Infizierten dann bei fast 21.000 im Bundesstaat New York, davon mehr als 12.000 in New York City. 

Man ergreift nun drastische Massnahmen: Restaurants, Bars und Cafés haben auf Takeout und Delivery Services umgestellt oder sind geschlossen, alle Veranstaltung wurden abgesagt, die Schulen sind geschlossen, die meisten Geschäfte ebenfalls, und die New Yorker Bevölkerung wird mit Textnachrichten dazu aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Die Stadt, die niemals schläft, ist (fast) zum Stillstand gekommen, wobei es fraglich scheint, ob sich tatsächlich alle an die Massnahmen halten. Es soll ein Lazarettschiff des amerikanischen Heeres im New Yorker Hafen vor Anker gehen, das 1.000 weitere Spitalsbetten zur Verfügung stellen wird. Auch ein Kongresszentrum, das Javits Center, soll in ein Krankenhaus umgewandelt werden.

Österreicher in den USA berichten

Einige in der USA lebende Österreicher haben mir Berichte zu ihrer momentanen Situation zugeschickt. Im Folgenden zunächst ein paar Photos, die die Lage in NYC während der vergangenen Woche veranschaulichen: gespenstische Leere rund um Touristenattraktionen, volle U-Bahn und maskentragende Spaziergänger. Danach folgen die Berichte von Thomas, Sylvia, Valentina und Andrea aus New York; Hubertus aus Arizona und Teresa aus Washington D.C.

Brooklyn Bridge.
Iris Klakl
Eislaufplatz beim Rockefeller Center
Iris Klakl
Leerer Grand Central Terminal
Iris Klakl
Times Square
Louis Brickman
Subway
Louis Brickman
Mit Hund oder Kind auf der Strasse
Daniela Reinsch

New York

Thomas ist Lehrer an einer öffentlichen High-School in der Stadt. Er lebt seit fast 20 Jahren in New York. Die öffentlichen Schulen sind seit 15. März bis zunächst 20. April geschlossen, wobei die Schüler von den Lehrern durch online learning betreut werden sollen.  

 „Ende letzter Woche gab es große Aufregung, weil die Schulen noch nicht geschlossen waren und es gab mehrere Kampagnen, um den Bürgermeister de Blasio umzustimmen. Die Umstellung auf online learning ist natürlich totales Chaos: keiner weiß, wie das aussehen soll und viele Kollegen haben auch komplett unrealistische Vorstellungen. Ich selbst habe mein eigenes LMS (learning management system) und mein homework läuft seit Jahren schon komplett online - für mich also kein Problem umzustellen, aber bei einigen Kollegen wird das nicht sehr gut funktionieren. Es hängt irgendwie noch alles ein bisschen in der Luft - das wird wohl etwas dauern. Und ich glaube auch nicht, dass die Schulen im April wieder öffnen werden.“

Sylvia arbeitet für die Vereinten Nationen und lebt seit 2000 in New York. 

„Letztes Wochenende bin ich ins Buero geradelt (um die Ubahn zu vermeiden), und habe mir einen Haufen Dokumente mit nach Hause genommen. Ich war erstaunt, wie viele Leute auf der Straße waren. Der Kühlschrank ist seit langer Zeit zum ersten Mal voll, ich arbeite von zu Hause, ich habe eine Liste, was ich alles putzen werde oder wen ich regelmäßig anrufen möchte. Ich werde Puzzles legen und viel lesen. Ich lebe allein, also habe ich in meiner Wohnung Bewegungsfreitheit, ich fürchte mich ein wenig vor der Einsamkeit.  Meine Eltern (fast 83 und 89) leben in Klagenfurt. Ich sorge mich sehr um sie, aber sie klingen bist jetzt gut. Von zu Hause arbeiten klingt für mich wie ein neues ungeliebtes Experiment. In Praxis heisst es, dass wir viel mehr mit einander kommunizieren. In Einzelgesprächen spürt man dann aber, wie verunsichert wir alle sind. Manche Manager sind der Meinung, dass alle ihr volles Pensum liefern sollen, andere verstehen, dass Eltern mit Kindern unter Zeitdruck sind.

Nur eine Woche später habe ich weniger gelesen als erhofft, aber viel mit Freunden und Familie telefoniert. Die Isolation schafft neue Gemeinschaft. Ich gehe jeden Tag ins Freie, es sind jetzt weniger Leute auf der Strasse, mit mehr physischer Distanz, was aber bei der Dichte in NY nicht einfach ist.  Der Bürgermeister und Governor flehen die Leute an, Distanz zu bewahren. Der Textservice der Stadt bittet die Bevölkerung nicht zu horten. Die Stadt sucht Gesundheitspersonal. Es ist wie die Ruhe vor dem Sturm, ich fürchte, dass es ein sehr langer, sehr destruktiver Sturm wird. “

Kindness is contagious, too.
Sylvia Hordosch

Valentina ist Modedesignerin aus Wien. Sie lebt und arbeitet im New Yorker Stadtteil Brooklyn in Greenpoint.

 “Meine Freunde sagen häufig ‘Let’s meet next week when everything calms down’. Das zeigt schon, wie wenig ernst die Situation genommen wird. Das Problem in NY ist, dass man sehr viel aufs Rausgehen angewiesen ist im Vergleich zu anderen Orten in den USA. Man hat keine Waschmaschinen zuhause und muss zum Laundromat. Man hat kein Auto, um einen Großeinkauf zu machen. Schwer betroffen sind auch Freelancers im kreativen Bereich (von denen es hier natürlich ganz viele gibt) – Gigs, Lesungen und Projekte werden abgesagt. Mein Mann ist Tontechniker und seine Sessions sind fast zur Gänze abgesagt. Das andere Problem des 'Nicht-ernst-Nehmens' ist, dass man hier allgemein glaubt, dass das Ganze in ein, zwei Wochen vorbei ist. Ganz verunsichert sind meine österreichischen Freunde, ob sie jetzt mal alle wieder nach Wien kommen sollen oder nicht. Das Bundesministerium und das Konsulat schicken uns ständig Updates und Rückreisemeldungen. Das Ganze ist aber leider nicht so einfach, wenn man hier schon einen Haushalt hat. Wir beobachten jetzt die Situation und schauen, wie es weiter geht.“ 

Andrea meint: Durchhalten und Nachdenken. Sie lebt seit über 6 Jahren in NYC und arbeitet bei einer US-Pharmafirma.

„Bezüglich COVID-19 denke ich, wir müssen uns auf eine Zeit gefasst machen, die für die Stadt komplett neu sein wird. Gerade habe ich meinem älteren Nachbarn eine Mail geschrieben und angeboten, in der Zukunft für ihn die Einkäufe zu erledigen. Was mir Sorgen macht, sind die Auswirkungen auf die kleinen Geschäfte, die ohne Kunden nicht überleben können. Viele Menschen werden jetzt noch mehr als sonst über Amazon oder Seamless bestellen und viele kleine Geschäfte werden sterben. Es macht mir sehr traurig“ 

Arizona

Hubertus lebt in Phoenix, Arizona, arbeitet im Hotelgewerbe und fürchtet jetzt um seinen Job. Die Auswirkungen auf die Tourismusindustrie sind enorm.  Er ist gebürtiger Wiener, Absolvent der Hotelfachschule Bad Ischl und lebt seit 30 Jahren in der USA.

„Die Schulen sind in Arizona für mindestens zwei bis vier Wochen geschlossen. Die meisten haben den Ernst der Lage noch nicht voll begriffen. Trotz Schulsperre und täglichen Nachrichten gehen die Menschen noch immer in Restaurants und Bars, versammeln sich am Strand und machen sich über diese 'übertriebenen' Maßnahmen lustig.  Oder noch schlimmer, sie politisieren das Ganze. Wie in Umweltschutzfragen ist das leider bei dem Coronavirus nicht anders. Eine Umfrage von NBC und dem Wall Street Journal hat gezeigt, dass Republikaner die Krise mit mehr Misstrauen beurteilen als Demokraten. Zum Beispiel machen sich 68 Prozent der Demokraten darüber Sorgen, dass sich ein Familienmitglied mit dem Virus anstecken koennte. Nur 40 Prozent der Republikaner glauben das. Diese ideologischen Gegensätze zwischen Wählern der beiden Parteien sind nicht nur erschreckend, sondern symbolisieren für mich leider einen neuen Tiefpunkt des politischen Klimas in diesem Land. Ich finde, dass diese ideologischen Gräben und die Manipulation durch die Medien hier leider stärker sind als in Österreich. Auch das Grundrecht auf ‘Freiheit‘ und die Einstellung 'mir kann niemand befehlen, was ich tun soll' sind hier viel stärker ausgeprägt als in Österreich. Deswegen bin ich der Meinung, dass scharfe und leider notwendige Maßnahmen, wie zum Beispiel die totale Ausgangssperre, sich hier nur sehr schwer umsetzen lassen. Die meisten werden es nur dann kapieren, wenn die Situation so schlimm ist, dass es fast zu spät sein wird.“

Washington DC

Teresa lebt seit 10 Jahren in Washington DC.

 „Wir wohnen in einer urbanen, grünen Nachbarschaft nicht weit vom Stadtzentrum Washingtons entfernt. Mitte März wurde die Schule aufgrund des Corona Virus für vorerst zwei Wochen geschlossen. Mittlerweile hat man diese Schließung bis 27. April verlängert. Die Osterferien wurden kurzerhand vorverlegt; danach werden Lehrmaterialien online übermittelt. Noch merkt man in der Nachbarschaft selbst wenig von der Pandemie. Die Kinder toben draußen herum, Erwachsene spazieren mit und ohne Hund, auf den Sport- und Grünflächen werden Bälle hin- und her geworfen. Die bereits existierenden Nachbarschaftsdienste melden noch keine Einsätze für erkrankte Nachbarn - wie in Amerika üblich hat sich schnell ein Netz an Freiwilligen zusammengetan. Die Fassade beginnt jedoch, Risse zu zeigen: Im Onlineforum der Nachbarschaft wird vermehrt auf das Einhalten von 'Social distancing' hingewiesen. Eine Nachbarin hat von einem Tag auf den anderen die Nachbarschaftsschschaukel hinter ihrem Haus abmontiert und wir sehen sie und ihre Kinder nicht mehr. Wie überall in Washington haben auf Verordnung der Bürgermeisterin auch auf unserem 'Commercial Strip' alle Restaurants geschlossen. Jene, die erfinderisch sind und es umsetzen können, bieten neben den üblichen Lieferdiensten nun auch 'curbside delivery' an. Das heißt man bestellt sein Essen online und fährt dann mit dem Auto vor und bekommt die Bestellung mit Sicherheitsabstand durch das Fenster ins Auto gereicht. So erspart man sich Liefergebühren.“

Nahrungsmittelsammlung fuer beduerftige Kinder in Washington DC, um die Schulmahlzeiten zu ersetzen.
Teresa Weiss

Letzte Flugverbindungen

Iris ist Österreicherin, lebt in Amsterdam, und war gerade auf zweiwöchiger USA-Reise, als sich die Corona-Krise zuspitzte. Sie verkürzte die Reise und flog am 18. März von New York nach Amsterdam:

„Der Flug United Airlines von Newark nach Amsterdam war komplett ausgebucht, bis auf den letzten Platz. Der Flughafen in Newark war recht ruhig, Boarding ganz normal. Drei bis vier Leute trugen Masken und hielten Desinfektionstücher für den Sitz bereit. Aber sonst gab es nichts Auffälliges. Die Ankunft in Amsterdam war auch gewöhnlich, am Gepäckband standen viele Menschen recht eng aneinander, was wohl niemanden zu stören schien. Die Züge von Schiphol ins Zentrum fahren noch, aber bei weitem weniger häufig. Ich habe ein Taxi genommen, am Taxistand war relativ wenig los (es war aber auch sieben Uhr morgens).“

COVID-19-Info auf der Strasse, geschlossene Geschäfte und leere Restaurants

Anweisungen: Gesicht mit ungewaschenen Händen nicht berühren!
Daniela Reinsch
Geschlossene Geschäfte
Daniela Reinsch
Klopapier, Reinigungsmittel und Lotto
Daniela Reinsch
Leere Restaurants
Daniela Reinsch

Aufruf

Liebe Leserinnen und Leser in den USA! Wir geht es Ihnen? Welche Erfahrungen machen Sie in Zeiten des Coronavirus? Wie gehen Sie und Ihre Familie mit der Krise um? Flugverbindungen in die österreichische Heimat gibt es nicht mehr - wie erleben Sie diese emotional schwierige Situation? Ich freue mich, von Ihnen im Forum zu lesen. Oder schicken Sie mir Ihre Erfahrungsberichte oder Fotos an stellaschuhmacher@hotmail.com. Bleiben Sie gesund! (Stella Schuhmacher, 25.3.2020)

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