Blockbuster-Ausstellungen finanzieren große Teile des Ausstellungsprogramms von Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder.

Foto: heribert corn

Das Belvedere, das Kunsthistorische, die Albertina: Diese drei Bundesmuseen ziehen besonders viele Besucher an – dementsprechend hoch sind die Eigenfinanzierung und natürlich der Einnahmenausfall durch die Corona-Schließungen. Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder über viele Unwägbarkeiten.

STANDARD: Können Sie die Ausfälle der Albertina bereits beziffern?

Schröder: Wir rechnen bis Jahresende mit einem Besucherrückgang von weit über 50 Prozent: statt über eine Million unter 500.000 Besucher. Diese Krise trifft uns allein bis Ende Mai mit einem Einnahmenentgang von 3,6 Millionen Euro. Wir gehen von einem Jahresverlust von sechs bis acht Millionen Euro aus. Verluste in dieser Höhe können wir nicht allein stemmen.

STANDARD: Das bedeutet?

Schröder: Dass sich die Albertina in der größten Krise seit Jahrzehnten befindet. Auch wenn jährlich etwa 350.000 Österreicher die Albertina besuchen, benötigen wir weitere 700.000 internationale Besucher, um unseren allgemeinen Museumsbetrieb finanzieren zu können.

STANDARD: Welche Signale bekommen Sie von der Politik?

Schröder: Die wichtigste Frage des Ministeriums war: Ist die Liquidität gesichert, und wie lange?

STANDARD: Und?

Schröder: Wir stoßen im August an unsere Grenzen. Ab dann ist die Bezahlung der Gehälter ohne staatliche Hilfe nicht mehr möglich. Die prognostizierbaren Einnahmeneinbußen von 50 bis 70 Prozent in den nächsten sechs bis zwölf Monaten treffen ein Museum mit einer Eigenfinanzierungsquote von 75 Prozent ganz anders als eines mit einer Eigenfinanzierung von unter 30 Prozent. Da hilft auch kein radikaler Sparkurs. Ausstellungsverschiebungen und -absagen werden nicht reichen.

STANDARD: Die Albertina wurde wie viele andere österreichische Museen in den letzten Jahren von Besuchern überschwemmt. Jetzt steht sie leer. Zeit für eine Rückbesinnung? Die Kunstwahrnehmung könnte neu geschärft werden.

Schröder: Ich halte es für eine beschönigende Rede, wenn man sich fragt, welche Chancen die Krise bietet. Die Krise ist eine schwere Gesundheitskrise, die wahrscheinlich von einer schweren Wirtschaftskrise begleitet werden wird. Daran ist gar nichts als Chance zu sehen. Ich glaube auch nicht, dass wir in den vergangenen Jahren von Besuchern "überschwemmt" worden sind. Die Attraktivität der Albertina ist durch die vielen Besucher national und international gesteigert worden. Das habe ich ausschließlich als positiv erlebt.

STANDARD: Die Besucher werden wiederkommen.

Schröder: So einfach ist das nicht: Ausstellungen wie jene zu Dürer, die 450.000 Besucher in drei Monaten hatte und mehrere Millionen Euro gekostet hat, refinanzieren sich selbst und erwirtschaften einen wichtigen Deckungsbeitrag zum allgemeinen Museumsbetrieb. Für die Modigliani-Ausstellung im Herbst brauchen wir mindestens 250.000 Besucher, um sie durchführen zu können. Womöglich werden wir in den kommenden zwölf Monaten wieder ein wesentlich weniger internationales Programm haben als ein MoMA, ein Grand Palais oder eine Tate Modern.

STANDARD: Dennoch: Die Klage, dass viele Besucher den Kunstgenuss schmälern, war in den letzten Jahren oft zu hören. "Immer mehr und immer größer" ist eine Haltung, die an Grenzen stößt.

Schröder: Das, was Sie beschreiben, mag vielleicht für das Obere Belvedere gelten, aber das muss meine Kollegin (Belvedere-Direktorin Stella Rollig, Anm.) beurteilen. In der Albertina konnten wir trotz über einer Million Besucher im Jahr die Intensität des Kunsterlebnisses sicherstellen. Ich kann dieser Rückbesinnung auf provinzielle Zustände nichts abgewinnen. Sind 200.000 Besucher glücklicher, wenn sie Matisse oder van Gogh nicht sehen können? Wenn sie nicht mit einer Monet-Ausstellung belästigt werden? Ohne den entsprechenden Besucherrückhalt finden diese Ausstellungen auch für Österreicher nicht statt, weil sie nicht finanzierbar sind.

STANDARD: Viele Museen weichen auf Onlineangebote aus, auch Ihr Haus. Die Zahlen, wie viele Besucher man online anlocken kann, sind eindrucksvoll, aber kaum zu glauben.

Schröder: Ich traue diesen Zahlen auch nicht. Das Erlebnis vor dem Original ist nicht substituierbar. Wenn jetzt das Heil in einer virtuellen Ausstellungsbesichtigung gesehen wird, dann hätten wir uns viele Kosten, um endlich das Original zu sehen, ersparen können.

STANDARD: Sie mussten die Eröffnung der Albertina Modern kurzfristig verschieben. Zwingt Sie die Krise auch zu Absagen?

Schröder: Wir haben derzeit im Haupthaus Ausstellungen mit Gesamtkosten von knapp zwei Millionen Euro laufen, ohne dass sie irgendetwas zur Finanzierung des Museums beitragen können. Derzeit schaut es so aus, als ob wir die Schau der Sammlung Hahnloser bis Ende Juni verlängern können. Francesco Clemente wurde auf den Herbst '21 oder das Frühjahr '22 verschoben, die Retrospektive von Xenia Hausner auf Anfang März des kommenden Jahres. Das waren leichte Übungen. Die schwierigste Frage ist die genannte Modigliani-Ausstellung im Herbst. Sie könnte aus zwei Gründen abgesagt werden: weil Leihgeber ihre Werke nicht versenden können oder weil, wie gesagt, die erforderliche Besucheranzahl nicht erreichbar ist und sie somit nicht finanzierbar ist.

STANDARD: Die Albertina Modern ist ein kleineres Problem, oder?

Schröder: Ja. Ich gehe davon aus, dass wir eine Verlängerung der Ausstellung bis mindestens Oktober bewerkstelligen können. Ich rechne derzeit mit der zweiten Hälfte des Mai als dem frühestens möglichen Eröffnungstermin. (Stephan Hilpold, 23.3.2020)