In Krisenzeiten spielen Ratingagenturen meist eine tragende Rolle. Wenn es im Gebälk richtig knirscht, hören sie genau hin, woher die lautesten Geräusche kommen. Auch im Zuge der Corona-Krise werden nun die Bonitätswächter aktiv. Moody's, eine der drei großen Agenturen, kündigte bereits an, sich zuerst die Ratings von Unternehmen vorzuknöpfen. Man braucht kein Hellseher zu sein, um zu ahnen, dass es wohl reihenweise Herabstufungen regnen wird.

Die erste Welle von Herabstufungen oder Warnungen davor – was passiert, indem eine Agentur den Ausblick auf "negativ" senkt – ist demnächst zu erwarten. Im Fokus stehen dabei zunächst jene Unternehmen, die durch die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie besonders stark zu leiden haben, also Fluggesellschaften oder Touristiker. Auch Ölkonzerne werden vorrangig geprüft, da der Ölpreis in den vergangenen Wochen geradezu in sich zusammengefallen ist.

Es wird viel enger, sagt Standard & Poor's über die Lufthansa.
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Früheren Angaben von Moody's zufolge sind neun Prozent der zu prüfenden Firmen in Europa, dem Nahen Osten und Afrika stark und weitere 54 Prozent moderat von den Verwerfungen durch die Corona-Krise betroffen. "Wir haben das Virus, den Fall der Rohstoffpreise und den Verkaufsdruck an den Kapitalmärkten", sagte die Moody's-Analystin Christina Padgett. "Diese Kombination ist ohne Vorbild, daher müssen wir uns dem Thema aus mehreren Richtungen nähern."

Wie das Ergebnis für viele Vertreter der genannten Branchen aussehen dürfte, hat die Lufthansa bereits zu spüren bekommen: Ihr Kreditrisiko wurde von der Agentur Standard & Poor's höher eingestuft, indem das Rating am Freitag auf BBB– herabgesetzt wurde. Ausblick: negativ, was auf eine mögliche weitere Herabstufung deutet. Käme es tatsächlich dazu, würde die AUA-Mutter das Qualitätssiegel "Investment Grade" verlieren und in die Klasse "High Yield" abrutschen. Oder weniger technisch: Schuldpapiere der Fluglinie wären dann sogenannte Ramschanleihen.

Renditen schießen hoch

Klingt nicht gut, ist es auch nicht, wie der Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek anhand von Marktentwicklungen erläutert. Ihm zufolge ist der mittlere Renditeaufschlag für Anleihen aus dem High-Yield-Bereich in der Eurozone bereits auf mehr als 850 Basispunkte gestiegen, was 8,5 Prozentpunkten entspricht. Damit wird ausgedrückt, um wie viel höhere Zinsen ein Schuldner zu zahlen hat verglichen mit deutschen Bundesanleihen, in der Eurozone das Nonplusultra bei Schuldpapieren. Bei fünf Jahren Laufzeit liegt die Rendite der Deutschen etwa bei minus einem halben Prozent – zählt man den Renditeaufschlag dazu, kommt man schnell in Zinsregionen, die nur schwer zu stemmen sind.

Dabei erwartet Brezinschek, dass die Aufschläge wohl noch weiter klettern werden, auf 1.000 Basispunkte oder sogar darüber. "Ich gehe davon aus, dass der Höhepunkt erst irgendwann im zweiten Quartal kommt." Zumal ab April Unternehmen über ihr erstes Quartal berichten müssen – und damit jene Schneisen offenlegen, die das Coronavirus quer durch ihre Bilanzen gezogen hat.

Auch Ölkonzerne werden vorrangig geprüft, da der Ölpreis in den vergangenen Wochen geradezu in sich zusammengefallen ist.
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Allerdings ließ Moody's bereits verlautbaren, dass einige größere Unternehmen um eine Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit herumkommen können, indem sie von staatlichen Hilfsgeldern profitieren. Damit freilich ist das Problem nicht aus der Welt, sondern es wird gewissermaßen verstaatlicht. Da fast alle Länder mit milliardenschweren Konjunkturpaketen nur so um sich werfen, werden die Ratingagenturen als Nächstes die Staatsfinanzen auf Herz und Nieren prüfen.

In der Eurozone erwartet Brezinschek heuer Haushaltsdefizite in der Spanne zwischen sieben und zehn Prozent, während Italien und Spanien wohl zweistellige Defizite einfahren würden. Die Maastricht-Kriterien, also eine Neuverschuldung von höchstens drei Prozent, seien auch nächstes Jahr noch nicht erreichbar. Daher erwartet der Bankanalyst von den Ratingagenturen "klare Ansagen, wie sie das sehen".

Ein Aufflammen der Eurokrise wie 2012 sollte aber ausbleiben, sagt Brezinschek mit Blick auf das von der EZB verkündete Notankaufprogramm für Anleihen im Ausmaß von 750 Milliarden Euro. Die Folge: Die zehnjährige Rendite italienischer Staatspapiere ging auf 1,6 Prozent zurück, nachdem sie zuvor Kurs auf die Drei-Prozent-Marke genommen hatte.

Ob dies so bleibt, werden auch wieder die Ratingagenturen mitentscheiden. Unvergessen ist ihre Rolle in der von ihnen mitverursachten Finanzkrise, indem sie mit faulen Krediten durchsetzte Wertpapiere mit Bestnoten versahen. Auch in der Eurokrise hatten sie mitzureden, Brandbeschleuniger seien sie damals aber nicht gewesen, meint Brezinschek. Vielmehr hätten sie Gnade vor Recht ergehen lassen, indem sie Italiens Rating auf "Investment Grade" belassen hätten. (Alexander Hahn, 23.3.2020)