Platter, Tilg und Hörl sind Symptome, so Politik- und Medienberater Peter Plaikner im Gastkommentar. Allfälliges Personalversagen sei bloß ein Indiz für Systemschwäche.

Alles lacht über Tirols Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg. Sein Offenbarungseid politischer Inkompetenz war eine journalistische Großtat von Interviewer Armin Wolf. Dennoch ist dieses Stück Zeitgeschichte aus der ZiB 2 vom 16. März auch ein Triumph der Krisen-Nichtkommunikation. Der Universitätsprofessor nahm als Bauernopfer seinen Landeshauptmann Günther Platter aus der Schusslinie. Die wahren Täter suchten das Weite, nein, sie blieben in der Enge des Systems Tirol.

Corona ist der Gipfel und trotzdem nur die Spitze eines Eisbergs der Entwicklung eines Landes, dessen Verantwortliche sich vor allem der geringsten Verschuldung, der niedrigsten Arbeitslosigkeit und des besten Tourismus rühmen. Letzterem – vor der politisch korrekten Wortbereinigung noch realistisch "Fremdenverkehr" genannt – verdankt Tirol alles. Insbesondere die Unterordnung unter die Gäste und das durchgehend zwiespältige Selbstverständnis. Ein Nutznießer der Erreichbarkeit und vielgeplagter Durchzugsort. Zur Schau getragener Stolz, zu Geld gemachte Dienstfertigkeit. Das alte Klischee vom armen Bergvolk, die aktuelle Wirklichkeit des vielfachen, individuellen Reichtums.

Starke Stimme

Nur in einem solchen, dem Tourismus geschuldeten Sozialbiotop kann entstehen, was sich nach einigen Tagen der oberflächlichen Schuldzuweisungen als wahres Gesicht des Tiroler Umgangs mit der Corona-Krise entpuppt: Franz Hörl, Abgeordneter der Volkspartei zum Nationalrat und Obmann des Fachverbands der Österreichischen Seilbahnen. Erst vor einem Monat wurde er mit 97 Prozent als Landesobmann des Wirtschaftsbundes bestätigt. Letzterer steigerte dann bei der Kammerwahl die Beteiligung auf fast 40 Prozent und holte sich davon knapp 80 Prozent der Stimmen. Ein Triumph.

Das war am 5. März. Nachdem Island Ischgl schon zur Corona-Hochrisikoregion erklärt hatte, sandte der Tiroler Wirtschaftsbund aus: "Hörl: Wahlergebnis bestätigt den eingeschlagenen Kurs und ist Auftrag, sich weiter mit starker Stimme einzubringen!" Wie vom STANDARD detailliert dokumentiert, hat er das auch getan. Bis Freitag, den 13. Eine Woche später ist auch Hörls Hotel, der Gaspingerhof in Gerlos, offiziell von Corona betroffen. Allein dessen Erwähnung in einer Aussendung des Landes Tirol zeigt, dass dieses Land nicht mehr das gleiche sein wird und sein kann – nach dem Ende der Krise.

Die Pressekonferenz vom 13. März mit Platter (3. v. re.), Tilg (re.), Hörl (li.). Im Hintergrund steht, kaum erkennbar: "Unser Land".
Foto: APA / Expa / Erich Spiess

"In Demut ;-)"

Johannes Maria Staud hat an dieser Stelle unlängst geschrieben: "Günther Platters und Bernhard Tilgs Rücktritte sind und bleiben jedenfalls alternativlos." Doch das greift zu kurz. So wie es zu kurz greift, Franz Hörl zu entfernen. Von ihm war neben vielen anderen Brachialattacken allseits bekannt, dass er den Klimawandel nur als Diskussion von "gewissen politischen Gruppen" sieht, dass er einer angesehenen Wissenschafterin "akademische Hobbygutachten" unterstellt und dass er via Social Media Videos aus Spaniens Bergen zur Stimmungsmache gegen heimische Skitourengeher verbreitet. Trotzdem haben sie ihn immer wieder mit großer Mehrheit gewählt: die Unternehmer zu ihrem Sprachrohr, die Volkspartei auf ihre Liste zum Nationalrat, die Bürger ins Parlament. Hörl ist ein Symptom. Für Tirol.

Auf Hörls Facebook-Profil hat sich seit seiner Videoaffäre vom Vorjahr nicht mehr viel getan. Doch der Steckbrief dort lautet unverändert: "In Demut ;-)". Das Emoticon eines Unverbesserlichen, der nach dem Feiern der Kammerwahl sukzessive auf Tauchstation gegangen ist. Bei der Pressekonferenz zum Abbruch der Skisaison gab er noch den kleinlauten und doch aufbegehrenden Nebendarsteller, der sich mit dem Landeshauptmann auf diesen Kompromiss geeinigt haben wollte. Doch anders als Platter am gleichen Abend bei Lou Lorenz-Dittlbacher und Tilg drei Tage später bei Armin Wolf hatte Hörl nicht den Mumm, sich in der ZiB 2 öffentlich befragen zu lassen.

Keine Alternative

Wer Tilg sagt, muss auch Hörl sagen. Mangelnde Rücktrittskultur ist aber kein Tiroler, sondern ein österreichisches Problem. Stauds Diktum von der Alternativlosigkeit der Rücktritte von Platter und Co greift in paradoxer Weise zu kurz, weil sich für die Zukunft noch keine Alternative anbietet. Das gilt nicht nur für das weitere ÖVP-Personal im Land, sondern unabhängig von der parteilichen Mehrheitsfähigkeit. Zur Untermauerung dieser Behauptung taugen die bundesweit schon auffällig gewordenen Georg Dornauer (SPÖ) und Markus Abwerzger (FPÖ) ebenso wie die alle Corona-Sager ihres Chefs stoisch stumm begleitende Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe (Grüne).

Die von der Bundesregierung angekündigte "breite, schonungslose, transparente Evaluierung nach dieser Krise" birgt die Chance für einen grundsätzlichen politischen Struktur- und Kulturwandel in Tirol. Das allfällige Personalversagen ist bloß ein Indiz für die Systemschwäche. Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz kann hilfreich sein, wenn er von seinem Durchgriffsrecht Gebrauch macht. Das Ende der Selbstauslieferung des Landes an eine völlig aus den Fugen geratene, wertfrei und menschenverachtend agierende, geschäftsgeile Touristikerminderheit aber bleibt eine Hausaufgabe. Die Mittel dazu reichen von härterer Medienkontrolle über Absetzungen und Wahlen bis zum zivilen Ungehorsam und Bürgeraufstand. In Tirol genügt es nicht mehr, bloß zu sagen: "So sind wir nicht." (Peter Plaikner, 23.3.2020)