Im Gastkommentar kritisiert der Verfechter der Gemeinwohl-Ökonomie, Christian Felber, dass sich Ökonomen nicht mit alternativen Konzepten beschäftigen.

Das Coronavirus könnte rasch in eine globale Rezession führen. Es macht die Verletzlichkeit "hyperglobalisierter" Just-in-time-Wertschöpfungsketten sichtbar. Nicht neu ist, dass mehr Handel zu weniger Wachstum führt. Vielleicht bringt die neue Krise auch mehr Offenheit für alternative Ökonomiekonzepte.

Experten erwarten eine schwere Rezession, eine Erholung erst für das Jahr 2021.
Foto: AFP / Johannes Eisele

Schon bisher führte "Freihandel" zu einer Abschwächung des globalen Wachstums. Vor diesem Faktum verschlossen jedoch Mainstream-Ökonomen gerne die Augen. Um sich mit alternativen Konzepten erst gar nicht beschäftigen zu müssen, zückten sie mitunter die Waffe der "Unwissenschaftlichkeit". Ulrich Berger, Vorstand des Instituts für Analytische Ökonomik an der WU Wien, betätigt sich im Verein GWUP als Fahnder von Para- und Pseudowissenschaft. In seiner Besprechung meines Buches "This is not economy" im Ökonomieblog im STANDARD schreibt er zunächst, dass etablierte Ökonomen die Gemeinwohl-Ökonomie, die inzwischen in 30 Staaten Fuß gefasst hat, "ned amol ignorieren". Man fragt sich: Wieso eigentlich? Ist Realitätsverweigerung nicht einer der Kernkritikpunkte an der orthodoxen Wirtschaftswissenschaft? Danach folgt die "Rezension": "pseudowissenschaftlich", "rückschrittsgläubig", "absurd", "lächerlich". Höhepunkt ist das Thema Handel: "Vollends grotesk wird es, wenn sich Felber den Effekt von Handel auf das Wirtschaftswachstum vorknöpft. Dass dieser Effekt positiv ist, ist durch eine dermaßen große Fülle unterschiedlichster Evidenz belegt, dass man eine Parallele zur Frage des menschengemachten Klimawandels ziehen kann." In der Forumsdiskussion setzte er nach: "a) Sie cherry-picken eine Studie [von Leon Podkaminer] (…) c) Die Studie zitiert eine wichtige Quelle komplett falsch. d) Sie behaupten, dass diese Studie den ökonomischen Konsens (...) 'widerlegt'. So eine Vorgangsweise kenne ich bisher eben hauptsächlich von Klimawandelleugnern, Tabakschädenleugnern und Homöopathen." Fred Luks, lange Zeit leitender WU-Ökonom, fand diesen Vergleich in einem Album-Beitrag "sehr treffend".

Konsens und Kirsche

Zunächst: Podkaminer ist keine "cherry", sondern der Schlussstein des argumentativen Gebäudes. Dessen Fundament, das ich im Buch "Ethischer Welthandel" gelegt habe, bilden der Wirtschaftshistoriker Paul Bairoch, der Cambridge-Ökonom Ha-Joon Chang und eine 19-köpfige UN-Kommission um Joseph Stiglitz. Diese kommentiert die Tatsache, dass das globale Wachstum mit ansteigendem Freihandel zurückgeht, so: "Dieses Ergebnis entspricht zumindest nicht den optimistischeren Vorhersagen in Bezug auf die wachstumsfördernde Wirkung der Globalisierung." Ich ergänzte mit dem Harvard-Ökonomen Dani Rodrik ("Das Globalisierungs-Paradox") und Leon Podkaminer vom WIIW, der seinerseits auf sechs weitere Quellen verweist, darunter eine Übersichtsstudie. Diese zitiert Podkaminer nicht "komplett falsch", sondern korrekt mit "inconclusive", was ich im Buch mit "nicht eindeutig" ebenso korrekt wiedergebe. Doch auch mir legt Berger in den Mund, ich würde behaupten, ich hätte den Mainstream damit "widerlegt". Das ist nicht korrekt, ich fordere bloß, dass Lehrbücher a) den vorhandenen Dissens darstellen, b) Alternativen wie Ethischen Welthandel behandeln und c) Gründe anführen sollen, weshalb das globale Wachstum pro Kopf bei steigendem Anteil des Handels am Welt-BIP sinkt.

Podkaminer zeichnet aus, dass er als Erster eine plausible Erklärung für dieses Faktum geliefert hat: Blinder Freihandel senkt das globale Wachstum, weil a) es neben Ländern mit Handelsüberschüssen (und positivem Wachstumseffekt) auch Defizitländer mit negativem Effekt gibt, b) ungleiche Verteilung zu sinkender Massenkaufkraft und -nachfrage führt und c) deregulierte Finanzmärkte rezessive Krisen auslösen. Der Corona-Schock ergänzt nun als vierter Aspekt diese Analyse. Von "schulmedizinischer" Seite ist mir keine Erklärung für die "kognitive Dissonanz" mehr Handel – weniger Wachstum bekannt.

Asymmetrischer Vergleich

Eine Gemeinsamkeit zwischen Klimawandelleugnern und akademischen Freihandelskritikern gibt es: Sie sind beide in der Minderheit. Doch während die Klimawandelleugner das Offensichtliche leugnen – dass Treibhausgasemissionen die Erde erwärmen –, liefern die Freihandelskritiker eine Erklärung für das Faktum, dass das globale Wachstum mit zunehmendem Handel zurückgeht! Diese Asymmetrie bringt den von Luks applaudierten Vergleich von Berger gewaltig zum Hinken. So etwas kann passieren, wenn man es sich zum Hobby gemacht hat, Andersmeinende an den Pranger der Nichtwissenschaft, Pseudowissenschaft oder Parawissenschaft zu stellen.

Eine letzte – brandaktuelle – Herzkirsche: John Maynard Keynes reflektierte seine persönliche Wandlung in der Handelsfrage: "Ich wurde wie die meisten Engländer aufgezogen, Freihandel nicht nur als ökonomische Doktrin zu respektieren, sondern beinahe als Teil des moralischen Gesetzes, und betrachtete Abweichungen davon zugleich als Dummheit und Frevel." Um später zur Einsicht zu gelangen: "Ich sympathisiere deshalb mit jenen, die ökonomische Verbindungen zwischen den Nationen minimieren statt zu maximieren (…) lassen wir Waren hausgemacht sein, wo immer das vernünftig, zweckmäßig und möglich ist, und vor allem, lasst uns die Finanzen im nationalen Kontext behalten." Auch wenn Keynes heute vom Mainstream ebenso konsequent ignoriert wird: Es gibt weder zu Freihandel noch zu seiner Wirkung "Konsens". Darauf hinzuweisen und die Behandlung von Alternativen in der ökonomischen Bildung einzumahnen sollte auch an der WU Wien nicht als "groteske Pseudowissenschaft" angesehen werden. (Christian Felber, 16.4.2020)