Koste es, was es wolle?
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In Zeiten wie diesen, wo man nahezu stündlich die neuesten Infektionszahlen analysiert und man sich die Frage stellt, ob die menschliche Lebensform tatsächlich die Krone der Schöpfung ist oder nicht doch ein Virus uns diese Position streitig machen kann, scheinen ökonomische Fragestellungen oder Überlegungen relativ zweitrangig zu sein. Dennoch nehmen Wirtschaftsfragen in den letzten Tagen einen zunehmend größeren Platz in der medialen Berichterstattung ein, ausgelöst vor allem durch die extrem starken Kursrückgänge an den Aktienbörsen und durch die gigantischen Rettungspakete der Regierungen. Dazu kommen noch die üblichen Verschwörungstheorien in den sozialen Medien, aber auch einige Weltuntergangspropheten, über deren teilweise krude Thesen auch in Qualitätsmedien eifrig berichtet wird. Das alles scheint dann doch Grund genug zu sein, sich ein paar Gedanken über die aktuelle wirtschaftliche Lage, die bisher getroffenen Maßnahmen und über einen Ausblick in die Zukunft zu machen.

Wirtschaftliche Kettenreaktion

Lässt man die Ereignisse der letzten Wochen gerafft Revue passieren, dann kann die Entwicklung der aktuellen globalen Wirtschaftskrise wie folgt zusammengefasst werden: Zuerst war es eine durch die Maßnahmen in China ausgelöste angebotsseitige Krise der Lieferketten, dann kam eine durch die ersten Einschränkungen in Reiseverkehr und Tourismus ausgelöste nachfrageseitige Krise für einige Branchen dazu, und jetzt befinden sich nahezu alle großen Volkswirtschaften in einer durch die drastischen Einschränkungen in der Bewegungs- und Verkehrsfreiheit ausgelösten angebots- und nachfrageseitigen Krise, die von starken Produktionsausfällen und Konsumeinschränkungen in fast allen Branchen geprägt ist. Es droht unmittelbar ein extremer Anstieg sowohl der Arbeitslosigkeit als auch der Unternehmensinsolvenzen. Stehen wir mit der Weltwirtschaft nun tatsächlich vor dem Abgrund?

Koste es, was es wolle

Die beste Antwort auf diese Frage, die man als Vertreter der Wirtschaftswissenschaften aktuell sehr häufig gestellt bekommt, ist: Ja, wir stehen vor dem Abgrund, aber wir werden nicht fallen. Der Hauptgrund dafür liegt in der mittlerweile eingesetzten (oder zumindest angekündigten) massiven fiskalpolitischen Intervention der Regierungen. Das "Koste es, was es wolle" von Sebastian Kurz bei der Ankündigung des 38-Milliarden-Euro-Rettungspakets erinnert sehr stark an das "Whatever it takes" von Mario Draghi zur Bekämpfung der Eurokrise. Es geht nun darum, zunächst drohende Liquiditätsengpässe bei Unternehmen zu verhindern, um so verfrühte Insolvenzen zu vermeiden. Und dann geht es darum – und das wird der kostspieligere Teil sein –, die durch die diversen Restriktionen hervorgerufenen Einnahmenausfälle der Unternehmen zumindest teilweise zu kompensieren.

Diese Maßnahmen sind richtig und wichtig, denn so kann ein völliger Zusammenbruch der Wirtschaft mit allen negativen Folgen verhindert werden. Es besteht auch weitgehend Einigkeit darüber, dass diese Maßnahme auch die einzige praktikable ist, mit der man dieses Ziel erreichen kann – wenn man nicht bereit ist, die spontane Umsetzung abstrakter Wirtschaftsutopien in Erwägung zu ziehen. Die spannende und durchaus kontroversiell diskutierte Frage ist die, ob diese fiskalpolitischen Maßnahmen so groß sein können, dass sie auch wirklich helfen. Wie groß kann ein Rettungsschirm für Österreich sein, ohne dass dadurch die Gefahr einer Staatsinsolvenz entsteht?

Schulden und Liquiditätsreserven

Aus einer finanzwirtschaftlichen Perspektive ist die entscheidende Frage, ob Österreich in der Lage ist, die für den Rettungsschirm notwendigen Mittel am Kapitalmarkt zu vernünftigen Konditionen zu refinanzieren. Allfällige Investoren werden Österreich nur dann Geld borgen, wenn sie der Meinung sind, dass Österreich in der Lage sein wird, diese Schulden auch zurückzuführen. Und sie werden für das (sehr kleine) Risiko eines möglichen Schuldenschnitts in der Zukunft eine entsprechende Risikoprämie verlangen. Vor diesem Hintergrund befindet sich Österreich in einer ausgezeichneten Situation.

Zum einen haben die öffentlichen Haushalte durch vorsichtige Budgetierung relativ große Liquiditätsreserven bilden können (diese Reserven wurden in den letzten Wochen sogar noch stark aufgestockt), die nun sehr effektiv als Puffer aufgelöst werden können. Zum anderen kann sich Österreich am Kapitalmarkt auch nach der Ankündigung des 38-Milliarden-Rettungspakets und der damit einhergehenden Abkehr vom Nulldefizit zu hervorragenden Konditionen verschulden.

Die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen lag zwei Tage nach Ankündigung des Rettungsschirms bei 0,185 Prozent; das ist wesentlich weniger als der Durchschnitt der letzten fünf Jahre und auch als der langjährige Durchschnitt. Auch der Zinsaufschlag gegenüber den deutschen Staatsanleihen, der gemeinhin als Maßzahl für die Bonitätsrisikoprämie eines Landes gilt, ist im Vergleich zum Vorjahr und zum langjährigen Durchschnitt nahezu unverändert. Und selbst wenn durch eine sehr hohe zusätzliche Staatsverschuldung der Zinssatz für neue Schulden stärker steigen sollte, würde sich dieser Zinsanstieg aufgrund der sehr langen Zinsbindungsdauer der bestehenden Staatsschuld erst nach vielen Jahren wirklich spürbar auswirken. Da wäre genug Zeit dazwischen, um das fiskalpolitisch wieder auszugleichen. Kurz zusammengefasst: Aus finanzwirtschaftlicher Sicht kann sich Österreich dieses 38-Milliarden-Euro-Rettungspaket leisten, und es könnte sich auch ein viel größeres Paket leisten, falls es notwendig sein sollte.

Wie geht es mit den Banken weiter?

Neben den Ängsten vor möglichen negativen Auswirkungen der Refinanzierung des Rettungspakets gibt es auch eine Diskussion über die möglichen Auswirkungen der Krise auf den Bankensektor. Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise 2008/09, wo ja die Finanz- und Bankwirtschaft Auslöser der Krise war, die dann auch die Realwirtschaft stark getroffen hat, gibt es auch aktuell Befürchtungen, dass eine Ansteckung des Bankensektors und die in der Folge dort auftretenden Probleme zu einer wesentlichen Verstärkung der Krise beitragen könnten. Diese Diskussion – auch befeuert durch einige Doomsday-Propheten in den Medien – hat auch in der breiten Bevölkerung eine gewisse Verunsicherung ausgelöst, was die angebliche Verdreifachung der Barabhebungen bei Banken und Bankomaten in den letzten Wochen beweist.

Hier ist zunächst anzumerken, dass die Eigenkapitalpuffer der Banken heute wesentlich größer sind, als sie es vor 2008/09 waren. Damals waren die Eigenkapitalpuffer bei österreichischen Großbanken weit unter zehn Prozent, heute liegen sie deutlich darüber. Dazu kommt noch eine auch durch massive aufsichtsrechtliche Maßnahmen stark verbesserte Qualität des Risikomanagements in den Banken. Die entscheidende Frage ist nun, wie sich die aktuelle Krise so stark auf eine Bank (oder mehrere Banken) auswirken kann, dass diese selbst insolvent wird. Insolvent wird eine Bank dann, wenn zu einem bestimmten Zeitpunkt kein Eigenkapital mehr vorhanden ist, das heißt, wenn die Summe der Verbindlichkeiten die Summe der Vermögenswerte übersteigt.

Szenario: Ausfall der Kreditforderungen

Im aktuellen aufsichtsrechtlichen Regime würde die Abwicklung einer Bank durch die Bankenaufsicht bereits bei einer wesentlich höheren Eigenkapitalquote stattfinden, was aber de facto nur einen Übergang in den Eigentumsrechten an der Bank bedeutet, aber keine Insolvenz im ökonomischen Sinn. Das bedeutet, dass eine Bank dann insolvent werden kann, wenn ihre Vermögenswerte um einen höheren Betrag an Wert verlieren, als an Eigenkapitalpuffer (bis zum aufsichtsrechtlichen Minimum) vorhanden ist. In einer durchschnittlichen Bank bestehen die Vermögenswerte zum größten Teil aus Kreditforderungen an diverse Kreditnehmer (Unternehmen, Private, Öffentliche). Daraus folgt wiederum, dass Banken genau dann in Schieflage geraten könnten, wenn ein größerer Teil der Kreditforderungen komplett ausfällt. Angesichts der aktuellen Krise können auch solche Szenarien nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, aber es gibt einige Argumente, die dies als sehr unwahrscheinlich erscheinen lassen.

Banken als Faktor in der Krisenbekämpfung

Die Ratingagentur Standard & Poor's rechnet (noch vor Bekanntgabe der Rettungspakete) mit einer Verdreifachung der Kreditausfälle in der Eurozone, von derzeit circa drei Prozent auf neun Prozent notleidender Kredite. Für Österreich liegt das aktuelle Level notleidender Kredite sogar noch weit darunter. Das heißt, selbst wenn dieses Szenario eintritt, wäre man auf demselben Niveau wie unmittelbar nach der letzten Finanzkrise, was die Banken aufgrund der inzwischen stark erhöhten Eigenkapitalpuffer gut verkraften können sollten. Selbst wenn dieser Anstieg nicht verkraftbar wäre oder die Einschätzung von Standard & Poor's viel zu optimistisch wäre, sollten genau die Maßnahmen des Rettungspakets diesen Anstieg an ausgefallenen Krediten verhindern.

Solange das Rettungspaket also finanzierbar ist – und davon ist, wie oben diskutiert wurde, auszugehen –, ist ein für die Bankwirtschaft wirklich bedrohlicher Anstieg der Kreditausfälle auszuschließen. Es ist laut ersten Ankündigungen von Banken in Richtung Kreditstundungen für Unternehmen in der Krise sogar davon auszugehen, dass die Banken diesmal nicht Auslöser der Krise sein werden, sondern eher ein wichtiger Faktor in der Krisenbekämpfung.

Es zählen die Fakten

Abschließend noch ein Wort zu den Weltuntergangspropheten und Verschwörungstheorien, die derzeit wieder Hochkonjunktur zu haben scheinen. Viele dieser "Theorien" und "alarmierten" Wortspenden basieren teilweise auf faktenwidrigen Annahmen und logisch inkonsistenten Schlussfolgerungen. Ein Beispiel dafür ist ein Podcast von Stephan Schulmeister von letzter Woche, der im "Falter"-Radio zu hören ist. Schulmeister sieht die für ihn "größte unmittelbar bevorstehende Gefahr" in einer Schieflage des Bankensektors. Als Grund dafür führt er an, dass Banken – so wie alle Unternehmen – per 31. März eine Bilanz legen müssten, wo sie "nach den geänderten Vorschriften des IFRS ihre Vermögenswerte nach den aktuellen Marktpreisen in die Bilanz stellen" müssten. Als die drei mit Abstand wichtigsten Faktoren für die Vermögenswerte einer Bank zählt Schulmeister "Aktienkurse, Immobilienpreise und Rohstoffpreise" auf. Aufgrund des aktuell extremen Kursverfalls an den Aktienbörsen und der starken Preisrückgänge in einigen Rohstoffmärkten (auf Immobilienmärkte geht er nicht explizit ein) sieht er eine große Wahrscheinlichkeit für eine Bankenkrise bereits mit den "Bilanzen" für das erste Quartal 2020.

Dazu sind drei Dinge zu sagen: Erstens, die Vermögenswerte in den Bankbilanzen in Österreich (und weitgehend auch anderswo) umfassen keineswegs hauptsächlich Aktien, Immobilien und Rohstoffe. Wie leicht durch einen Blick in die Bilanzen gezeigt werden kann, sind es in erster Linie Kreditforderungen. Rohstoffe oder Aktienbestände zu Anlagezwecken sind de facto nicht vorhanden, selbst Immobilien spielen nur eine untergeordnete Rolle. Nur bei wenigen Banken spielen Aktien in Form von strategischen Beteiligungen an anderen Banken eine Rolle. Zweitens, nach den relevanten Bilanzierungsstandards müssen Banken bei weitem nicht alle Vermögenswerte auf einen aktuellen Marktpreis abwerten, vor allem wenn diese nicht "available for sale", das heißt zu reinen Handelszwecken gehalten, sind.

Stefan Pichler ist Professor für Banken und Finanzwirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Anleihenmärkte und Risikomanagement für Banken und öffentliche Institutionen.
Foto: Stefan Pichler

Das gilt vor allem für Kreditforderungen (wo es ja keinen Marktpreis gibt), aber auch für strategische Beteiligungen an anderen Banken. In der Regel werden Letztere durch eine Ertragswertmethode bewertet, die natürlich auch krisenbedingt nun geringe Werte annehmen könnte, aber bei weitem nicht so stark und so unmittelbar ausgeprägt wie eine Abwertung auf Marktpreise. Die Tatsachen, dass Banken zu Quartalsende keine Bilanzen erstellen müssen (nur börsennotierte Banken müssen die wichtigsten Zahlen in nichttestierten Quartalsberichten veröffentlichen), dass viele Banken bei diversen Vermögenspositionen sehr vorsichtige Bewertungen vorgenommen haben (also stille Reserven aufweisen) und dass die Aufsichtsbehörden regelmäßig anhand verschiedener Stresstests und sogenannter Asset Quality Reviews diese Bewertungen der Vermögenswerte geprüft haben, seien nur am Rande erwähnt.

Und drittens, ein völlig faktenbefreiter Alarmismus wie dieser darf nicht unwidersprochen bleiben. Panikmache ist das Letzte, was wir jetzt brauchen. (Stefan Pichler, 24.3.2020)