Zoran Barisic hofft, dass aus der Katastrophe die richtigen Schlüsse gezogen werden. Er hat allerdings Zweifel.

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Angst, sagt Zoran Barisic, der Sportgeschäftsführer von Rapid, sei gewiss kein guter Ratgeber. "Es sei denn, du weißt, wie man damit umgeht." Ehefrau Uschi ist Abteilungsleiterin im Pflegebereich, im Kuratorium der Wiener Pensionisten-Wohnhäuser, kurz KWP. Sie ist für den Bezirk Simmering zuständig. "Auch bei ihnen werden die Schutzmasken knapp."

Barisic sitzt daheim, eine Videokonferenz nach der anderen, hin und wieder schaut er im Büro im Allianz-Stadion vorbei, er hält Sicherheitsabstand, obwohl eh keiner da ist. Bewegt wird der 49-Jährige von seinem Hund, die Spaziergänge wollen beide nicht missen. "Es ist sehr gespenstisch. Oft sagen Leute nach einem Fußballspiel, das war eine Katastrophe. Ich habe immer darauf hingewiesen, dass eine Katastrophe etwas anders ist. Es ist nur ein verlorenes Spiel. Jetzt wissen wir, was eine Katastrophe ist. Wir sind mittendrin, weil es um Leben und Tod geht. Das Coronavirus verändert und relativiert alles." Der Mensch habe die Erde zu sehr malträtiert. "Es geht um Macht, Profit, Gier. Das ist mehr als ein Warnschuss. Vielleicht kommen wir alle zur Besinnung."

Kurzarbeit

Wobei der Optimismus von Barisic diesbezüglich nicht ausufernd ist. "Nachher ist der Mensch immer gescheiter. Er sollte davor klüger sein. Da habe ich Zweifel, es wird eher nicht passieren." Jede Krise treffe immer die Ärmsten und Schwächsten am heftigsten. "Und das macht Corona noch schlimmer." Der Fußball, heißt es, ist die schönste Nebensache der Welt. Was er nun ist? "Keine Ahnung. Er ist ein weltweiter Wirtschaftszweig. Mir geht es nicht um Millionäre, die in der Premier League oder sonst wo auf dem Rasen stehen. Es gibt abertausende Kabelträger, Kameraleute, Reinigungsfrauen, Menschen in Büros, die Karten oder etwas anders verkaufen. Die verlieren ihre Existenzgrundlage, das müssen wir als Gesellschaft verhindern."

Rapid hat rund 170 Mitarbeiter, die Kurzarbeit ist alternativlos. Die Spieler trainieren daheim (trainieren ist eine Übertreibung, sie halten sich in Schuss), für jeden wurde ein individuelles Programm erstellt. "Für junge Menschen, die von der Bewegung leben, ist es natürlich hart, fast eingesperrt zu sein. Es jammert aber keiner." Im Gegenteil. "Alle sind sich der Lage bewusst, jeder verzichtet auf Geld, jeder leistet seinen Beitrag." Die Bundesliga pausiert vorerst bis Anfang Mai.

Austausch

Dieser Termin ist ein kühnes Wunschdenken, pessimistische und auch realistische Virologen gehen davon aus, dass im nächsten halben Jahr überhaupt nicht mehr gekickt werden kann. Zumindest nicht vor Publikum. Die Bundesliga ist im ständigen Austausch mit den Klubs, diverse Szenarien werden durchgedacht, Barisic lobt die Solidarität. "Es geht nicht nur um Rapid, es geht um alle. Wir müssen es irgendwie schaffen, vielleicht kommen wir da sogar gestärkt raus."

Um in den Profibetrieb wieder voll einzusteigen, bedarf es einer gemeinsamen Vorbereitung von zumindest zwei Wochen. "Du musst den Köper in Form bekommen, die Abläufe und Automatismen neu einstudieren. Aber wahrscheinlich müsste man in so einer Notsituation improvisieren. Die Supermarktkassiererin hat sich ja auch nicht gedacht, dass sie irgendwann einmal mit Gesichtsmaske hinter einer Plexiglasscheibe sitzt. Das ist gravierender."

Teile von Barisics Aufgabenbereichen sind vorerst weggefallen. Kein Scouting, keine Vertragsverhandlungen, keine PR-Termine, keine langfristigen Planungen. "Man denkt von Stunde zu Stunde. Der Transfermarkt ist zusammengebrochen. Es wird viele arbeitslose Spieler geben." Auf internationaler Ebene seien auch massive Einbrüche zu erwarten. Von wegen Dominoeffekt. "Verrückte Transfers über 200 Millionen Euro sind vorerst Geschichte. Ich befürchte, leider nur vorerst."

Sehnsucht

Barisic sieht in der Krise auch eine Chance – abseits von Fußball. Er verweist auf den wachsenden Zusammenhalt in Österreich, die Leute hielten sich an die Vorgaben der Regierung. Und man applaudiere gemeinsam den Helden des Alltags, zum Beispiel dem medizinischen Personal. Barisic verspürt eine Sehnsucht nach Normalität, nach sozialen Kontakten, nach Emotionen. "Der Fußball stillt sie für viele. Die Leute wollen darüber reden." Mag sein, dass Corona in den Stadien etwas bewirken wird. "Vielleicht feuert man die eigene Mannschaft an und macht den Gegner nicht nieder. Zumindest eine Zeitlang." Wobei Zoran Barisic immer schon gewusst hat: "Ein verlorenes Spiel kann keine Katastrophe sein." Katastrophal wäre es, "wenn meine Frau keinen Nachschub an Schutzmasken bekommt. Aber es schaut diesbezüglich gut aus." (Christian Hackl, 23.3.2020)