Wien – Ausnahmezustand, weltweit. Anders lässt sich die Situation nicht beschreiben, denn die Pandemie hat eine seit dem Zweiten Weltkrieg nicht dagewesene Wirtschaftskrise ausgelöst. Sars-CoV-2 lautet der Name des Gegners, den es zu besiegen oder zumindest in den Griff zu bekommen gilt. Deshalb spielt es keine Rolle, was der Teufel in der Not frisst, sondern dass er sich die Hände desinfiziert. Doch es mangelt an Desinfektionsmitteln. Ausgerechnet während einer Gesundheitskrise schafft die oft verteufelte Alkoholindustrie Abhilfe.

Ähnlich sieht die Situation bei Beatmungsgeräten und Atemschutzmasken aus – hier kommt die wegen Abgasmanipulationen in Verruf geratene Autobranche ins Spiel. Täglich springen neue (medizin-)branchenfremde Unternehmen ein und produzieren Dinge, die die Menschheit aktuell dringender braucht als beispielsweise Autos, Parfums oder Schnäpse. Es klingt nach einer Win-win-Situation. Gut fürs Firmenimage, gut für die Allgemeinheit. Ganz ohne den Staat geht das allerdings nicht.

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Auf der ganzen Welt stellen Destillerien mittlerweile Desinfektionsmittel anstelle von Schnaps oder Whiskey her.
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Alkohol ist knapp

Spirituosenherstellern brechen ihre typischen Absatzmärkte größtenteils weg, deshalb satteln sie um und liefern Alkohol zur Produktion von Desinfektionsmitteln oder stellen sie kurzerhand selbst her. Es geht um enorme Mengen bei dem hochprozentigen Engpass. In Deutschland stellen Jägermeister und Klosterfrau gemeinsam 150.000 Liter Alkohol zur Verfügung, Pernot Picard in Frankreich 70.000 Liter und Diageo in Großbritannien (bekannt für Marken wie Johnnie Walker, Smirnoff und Guinness) gar zwei Millionen Liter.

Ohne behördliches Eingreifen wäre es nicht möglich, dass Destillerien oder andere Betriebe Desinfektionsmittel herstellen. Das österreichische Umweltministerium hat beispielsweise eine Ausnahmegenehmigung zur Biozid-Verordnung für die Produktion von Desinfektionsmitteln aus Ethanol und Isopropanol erlassen. Somit darf nun der Wiener Zuckerkonzern Agrana Bioethanol, das eigentlich für Treibstoffe gedacht ist, auch für Desinfektionsmittel verwenden. Beliefert werden allerdings nur die weiterverarbeitende Industrie, nicht einzelne Apotheken.

Vorarlberger spenden ihre Alkoholvorräte im Kampf gegen das Coronavirus.
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Hiesige Alkoholproduzenten ziehen ebenfalls mit. Der oberösterreichische Whiskybrenner Peter Affenzeller hat seinen Betrieb umgestellt und produziert nun Keimreduzierer. In Vorarlberg rief die Destillerie Freihof die Bevölkerung auf, ihren lagernden hochprozentigen Alkohol zu spenden. Gemeinsam mit dem Liechtensteiner Unternehmern Fritsch will man aus Rum, Schnaps, Whiskey, Wodka und Gin 85-prozentigen Alkohol und in weiterer Folge Desinfektionsmittel herstellen.

Medinzintechnik aus der Autofabrik

Ein Gros der Produktionsbänder in der Autobranche steht momentan ohnehin still. Somit sichern seit Tagen Autokonzerne auf der ganzen Welt zu, Atemschutzmasken oder Beatmungsgeräte herzustellen. Beispielsweise erklärten sich die deutschen Autoriesen Volkswagen und BMW bereit, mithilfe von 3D-Druckern Bauteile für Beatmungsgeräte herzustellen. Die Produktion von kompletten Beatmungsgeräten werde geprüft.

Doch der deutsche Verband der Automobilindustrie (VDI) steigt auf die Euphoriebremse. Ein derartiger Umschwung müsse genau mit den Anforderungen und regulatorischen Vorgaben der Medizintechnik abgestimmt werden. VDI-Experten zweifeln stark daran, dass ein schneller Umstieg zu realisieren sei. Es fehle am Know-how. Unabhängig davon haben beide Konzerne bereits hunderttausende Atemschutzmasken gespendet.

"Der Rechtsrahmen lässt die Produktion von Medizintechnik in Autofabriken normal nicht zu, die Behörde kann aber Ausnahmegenehmigungen erteilen. Es gibt grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, wenn branchenfremde Unternehmen aushelfen, doch das bedarf strenger Überwachung und Kontrollen. Wenn das Gerät ausfällt, stirbt der Patient", sagt der Geschäftsführer Interessenvertretung der Medizinprodukte-Unternehmen Austromed, Philipp Lindinger, im Gespräch mit dem STANDARD. Atemschutzmasken ohne Filter herzustellen sei natürlich einfacher, als Komponenten für Beatmungsgeräte mit deutlich höherer Risikoklasse.

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Vor allem für medizinische Fachkräfte sind Schutzmasken essenziell, um den Betrieb aufrechterhalten zu können.
Foto: Reuters/STEPHANE MAHE

US-Autobauer schließen sich zusammen

In den USA geht das gefühlt unkomplizierter. Präsident Donald Trump gab vergangenes Wochenende diversen Autobauern das "Go", in ihren Fabriken medizinische Produkte herzustellen. Ford kündigte an, zusammen mit der Gesundheitssparte des Mischkonzerns General Electric und 3M die Herstellung von Beatmungsgeräten und Schutzmasken zu beschleunigen. Auch der italienisch-amerikanische Autobauer Fiat Chrysler konkretisierte seine Pläne zur Herstellung von einer Million Gesichtsmasken pro Monat.

Kurios geht es auch in Großbritannien zu. Dort produziert auf Anfrage des Permiers Boris Johnson der Staubsaugerhersteller Dyson Beatmungsgeräte. Für eine schnelle Zulassung arbeite man eng mit dem Gesundheitsministerium zusammen, heißt es bei dem Konzern. Firmenchef James Dyson will offenbar 5.000 Stück kostenlos zur Verfügung stellen.

Elon Musk spendet Beatmungsgeräte

Tesla-Chef Elon Musk hat sein Versprechen wahrgemacht und US-Krankenhäusern 1.000 Beatmungsgeräte geschenkt, die er dafür in China gekauft hatte. Das bestätigte Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom Anfang der Woche. Im Vorfeld sprach Musk davon, dass Tesla selbst derartige Geräte bauen wolle. Auf Twitter meinte er, es sei nicht schwierig, sie herzustellen, man könne aber nicht sofort damit beginnen.

Ein rascher Sinneswandel bei Musk: Bis vor kurzem hatte er die Pandemie noch heruntergespielt. So bezeichnete er die "Corona-Panik" beispielsweise als "dumm". Er behauptete überdies, dass Kinder immun gegen das Coronavirus seien, was natürlich nicht stimmt.

Vom Luxus zur Medizin

Italien brüstet sich nicht nur mit kulinarischen Köstlichkeiten, sondern auch als Modeimperium. Auch hier reagieren die Firmen. Beispielsweise hat der Mailänder Luxuskonzern Prada mit der Produktion von 80.000 Arztmänteln und 110.000 Atemschutzmasken für die Sanitäter der Region Toskana begonnen.

Das Material wird in einer Prada-Fabrik nahe Perugia hergestellt. Auch die italienische Textilgruppe Miroglio, die für ihre Mode im gehobenen Segment bekannt ist, verzichtet in diesen Tagen auf Kleiderproduktion und stellt Mundschutzmasken her. 10.000 Masken wurden dem italienischen Zivilschutz bereits geliefert.

Der französische Luxuskonzern LVMH (Louis Vuitton Moët Hennessy) rüstete die Kosmetiksparte von Parfüm auf Handdesinfektionsmittel um. Seit vergangener Woche wird anstelle von Parfum für Christian Dior oder Givenchy Desinfektionsgel hergestellt. Beliefert werden vorranging Krankenhäuser, heißt es beim Konzern.

Foto: APA/AFP

Es zeigt sich also recht deutlich, reine Hilfsbereitschaft von Unternehmen reicht nicht aus, um eine derartige Krise in den Griff zu bekommen. Der Staat beziehungsweise die Behörden müssen dennoch Sorge tragen, dass nur jene Firmen Produkte beisteuern, die schlussendlich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. (Andreas Danzer, 27.3.2020)