Die künstlerische Darstellung zeigt das subtropische Ökosystems im Geiseltal vor 47 Millionen Jahren. Links das Urpferd Propalaeotherium, der frühe Tapir Lophiodon in der Mitte und das Krokodil Bergisuchus rechts im Hintergrund.
Illustration: Márton Szabó

Das frühere Braunkohleabbaugebiet im Geiseltal westlich von Merseburg (Sachsen-Anhalt) ist für Paläontologen eine außergewöhnlich reichhaltige Schatzkammer. In den vergangenen Jahrzehnten wurde dort eine riesige Zahl gut erhaltener Tierfossilien freigelegt, die einen einzigartigen Einblick in die Evolution der Säugetiere vor 47 Millionen Jahren gewähren. In dieser Ära, dem Mittleren Eozän, war das Erdklima deutlich wärmer als heute und die Region ein morastiger subtropischer Wald, in dem Urpferde, frühe Tapire, große landlebende Krokodile sowie Riesenschildkröten, Eidechsen und bodenbewohnende Vögel lebten.

Die Funde aus dem Geiseltal sind sogar so zahlreich und umfassend, dass sich Wissenschafter auf Grundlage dieser Fossilien ein detailreiches Bild der Evolutionsdynamik bis auf die Ebene von Tierpopulationen machen können. Ein Forschungsteam um Márton Rabi von der Universität Tübingen und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) hat nun entdeckt, dass sich die Körpergröße zweier lokaler Säugetierarten in gegensätzliche Richtungen entwickelte.

Schrumpfung durch Klimaveränderungen?

"Am Anfang haben wir uns vor allem für die Evolution der Urpferde interessiert, die ungefähr die Größe eines Labradors hatten. Von ihnen gibt es besonders viele unter den Geiseltal-Fossilien", sagt Rabi. Die Forscher gingen zunächst davon aus, dass es dort mehrere Arten früher Pferde gegeben hat. "Wir stellten jedoch fest, dass es sich im Geiseltal nur um eine einzige Art handelt, deren Körpergröße mit der Zeit deutlich abnahm", erklärt der Paläontologe. Das Forschungsteam stellte sich daraufhin die Frage, ob diese Veränderung durch das Klima ausgelöst worden sein könnte, da frühere globale Warmphasen zu einer Reduktion der Körpergröße bei frühen Säugetieren geführt hatten.

Außergewöhnlich gut erhaltene Skelette des frühen Tapirs Lophiodon (oben) und des Urpferdchens Propalaeotherium (unten) aus dem Mittleren Eozän der Fundstätte Geiseltal (Sachsen-Anhalt).
Foto: Oliver Wings

Informationen über das lokale Klima im Mittleren Eozän des Geiseltals erhielten die Forscher über Kohlenstoff- und Sauerstoff-Isotopen-Untersuchungen an fossilen Zähnen. "Sie deuten auf ein feuchtes Tropenklima hin. Wir fanden jedoch keine Hinweise auf Klimaänderungen im Geiseltal im untersuchten Zeitraum", sagt Hervé Bocherens, Koautor der in der Fachzeitschrift "Scientific Reports" veröffentlichten Studie. Um ihre Ergebnisse weiter zu untermauern, versuchte das Team herauszubekommen, ob der Schrumpfungsprozess nur bei Pferden auftrat. Zum Vergleich untersuchten sie die Evolution früher Tapire der Gattung Lophiodon.

Um 100 Kilogramm mehr

Die Wissenschafter hatten Anhaltspunkte, die gleichbleibenden Klimadaten in Frage zu stellen. Daher erwarteten sie, dass andere Säugetiere die gleichen Trends bei der Entwicklung der Körpergröße zeigen würden wie die Pferde. Doch erstaunlicherweise hätten die Ergebnisse bei den Tapiren, bei denen es sich ebenfalls nur um eine einzige Art handelt, einen gegensätzlichen Trend aufgewiesen. Sie wurden größer, statt zu schrumpfen. Während die Vorfahren der Pferde ihr durchschnittliches Körpergewicht im Verlauf von einer Million Jahren von 39 Kilogramm auf rund 26 Kilo verringerten, legten die Tapire im gleichen Zeitraum von im Durchschnitt 124 Kilo Körpergewicht auf 223 Kilo zu.

"Alle Daten zur Körpergröße der Pferde und Tapire deuten darauf hin, dass sich die beiden Arten nicht wegen des Klimas, sondern wegen unterschiedlicher Lebenszyklen verschieden entwickelten", erklärt Bocherens. Kleine Tiere pflanzen sich schneller fort und sterben jünger. Im Verhältnis zu ihrer Größe müssen sie nicht so viel Nahrung zu sich nehmen, um den Körper aufrechtzuerhalten. Sie können mehr Ressourcen in ihre Nachkommen stecken.

Zwei Erfolgsstrategien

Größere Tiere leben länger und haben niedrigere Fortpflanzungsraten. Sie brauchen mehr Nahrung und können weniger in die Fortpflanzung investieren – allerdings haben sie aufgrund ihrer Größe auch weniger Fressfeinde und können weitere Wege bei der Futtersuche bewältigen. Das erhöht ihre Lebenszeit und gibt ihnen mehr Zeit für die Aufzucht der Jungen. "Wahrscheinlich maximierten die Tapire und Pferde aus dem Geiseltal die Vorteile ihrer jeweiligen Lebensstrategien, was eine gegenläufige Evolution der Körpergröße zur Folge hatte", sagt der Wissenschafter. (red, 24.3.2020)