In den eigenen vier Wänden schrumpft die Welt auf Spielzeuggröße: eine dringende Aufforderung, das Kind im Manne zu fördern.

Foto: Andreas Beil

Viel wurde dieser Tage gesagt über die Freuden häuslicher Nabelbeschau. Die Portomarken der mongolischen Volksrepublik sind endlich einsortiert. Die Modelleisenbahn schnauft jetzt an Bäumchen mit Wattekrone vorüber: Das Märklin-Tal steht in voller Kirschblüte! Manch guter Hausvater hat mit routiniertem ehelichen Eifer für die Entstehung künftiger Pensionsbeitragszahler gesorgt.

Doch unversehens gewahrt man auch den sauren Kitsch, der dem Pathos der Selbstbesinnung innewohnt. Es sind in Wahrheit lediglich Kinder, denen die Eigenbrötelei gar nicht weit genug gehen kann. Ich, ein verträumter Babyboomer, dankte z.B. dem Herrgott auf Knien für jede Schulschließung. Endlich konnte ich die Magazine voller 1A-Kriegsspielzeug leeren!

Hekatomben von Soldaten

Ich besaß Hekatomben von Plastiksoldaten, alle in den Kunststoffgießereien der Firma "Airfix" entstanden. Unter diesen in ekstatischen Posen erstarrten Kriegern befanden sich napoleonische und sezessionistische. Manche trugen Pickelhauben, andere Bärenfellmützen, wieder andere hatten Barbierschüsseln auf. Sie alle bildeten im Handumdrehen Karrees. Sie traten in Schlachtreihen zusammen oder dünnten ihre Linien aus. Die Aufstellungen folgten strengen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Was heute martialisch wirkt, waren letzte Überreste von Verstocktheit in den sonst so aufgeklärten Kreisky-Jahre.

Heute stellen uns liebenswürdige Buchhändler unsere Online-Bestellungen vor die Haustür. Als Kind schlüpfte ich in die Romantauschzentrale in unserer Gasse: Die hatte zu allen unmöglichen Zeiten geöffnet. Ihre Inhaberin, eine Proserpina des Heftchenschundes, roch betörend nach Haarwasser. "Na, Bubi, willst dir was Neues aussuchen?", murmelte die Dame im Morgenmantel listig, während ich meine ausgelesenen Lassiter-Western ihr auf die Budel knallte.

Mein Blick schweifte freilich in ein mysteriöses Eck, das mit Tuch verhängt war. Kahle Herren verschwanden stumm in dem Gelass. Die Dame schüttelte sanft das Haupt: "Dafür kommst erst in fünf Jahren wieder." Doch als es endlich so weit war und ich voller Wissbegier vor dem Laden stand, da waren die Pforten zur Hölle unwiderruflich geschlossen. (Ronald Pohl, 25.3.2020)