So sollte daheim arbeiten aussehen – Schreibtisch- Liegestützen nicht vergessen!

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Versuchen Sie, eine Struktur einzuhalten. Machen Sie sich Stundenpläne. Ziehen Sie sich – um Himmels willen – morgens trotz der aktuellen Umstände ordentlich an, so, als würden Sie ins Büro gehen. Zu Mittag sollten Sie – "gerade jetzt!" – was Frisches, Gesundes kochen, keine Fertigpizza bitte! Legen Sie öfter mal eine Yoga-Session ein. Und achten Sie bitte auch darauf, die Arbeit auch mal Arbeit sein zu lassen, Grenzen zwischen Freizeit und Job sind so wichtig!

Wir Mittelklasse-Menschen

Ratschläge wie diese für einen gelungenen Arbeitsalltag in Zeiten von Corona begegnen uns derzeit oft. So könnte derzeit glatt der Eindruck entstehen, die Welt bestehe ausschließlich aus Mittelklasse-Menschen mit schnieken Bürojobs oder solchen in coolen Start-ups, die in Lofts residieren. Dass alle Menschen einen Laptop besitzen und gewöhnlich an einem hübschen Schreibtisch in einem lichtdurchfluteten Büro sitzen. Den Sonnengruß kennen wir sowieso alle auswendig, und zum Feierabendmachen müssen wir uns erst überreden lassen. So sehr lieben wir unsere Jobs.

Über diese Bilder und Zeilen, die genau das vermitteln, werden derzeit wohl viele Beschäftige den Kopf schütteln. Prekär Beschäftige zum Beispiel, die sich schon lange und ungewollt als Freie durchschlagen. Jene, die extrem unterbezahlt Kultur- und Medienarbeit, Buchhaltung oder Telefonmarketing von daheim aus erledigen. Unter ihnen ärgern sich wohl viele zu Recht über den Rat, man müsse lernen, zwischen Freizeit und Job eine Grenze zu ziehen. Eine Grenze, die übrigens nicht nur wegen großer Hingabe zum Job oft kaum noch existiert, sondern auch wegen wachsenden Konkurrenzdrucks.

Jedenfalls: Wer solche Tipps für mehr Normalität trotz Corona-Krise liest, muss sich wohl ziemlich unnormal fühlen. Von dem recht harschen Klassismus, der ständig mitschwingt, gar nicht zu sprechen. Stichwort Ernährung: Es ist einfach eine Zeit- und Geldfrage, jetzt auf Fertigessen zu verzichten, das ständig als Trash bis hin zu verantwortungsloser Ernährung für Kinder abgetan wird.

"Für uns selbst"? Mitnichten

Hinzu kommt eine weitere unangenehme Botschaft, die in diesen Ratschlägen steckt: dass auch jetzt die rechte Zeit für Selbstoptimierung ist. Wir hören von To-dos für einen gelungenen Alltag, die die meisten selbst unter normalen Bedingungen nicht unterbringen. Wäre es nicht klüger, gerade jetzt darauf zu schauen, was wir alles sein lassen können? Zum Beispiel bei der Körperarbeit? Schon klar, eine tägliche Dusche tut gut. Trotzdem gibt es unzählige Arbeiten am Körper, auf die wir jetzt gut verzichten könnten – auch wenn uns die Schönheitsindustrie in den letzten Jahrzehnten erfolgreich eingeredet hat, dass wir das alles nur "für uns selbst" tun, dass es mit "Wohlbefinden" zusammenhänge. Beides ist Unsinn.

Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um Arbeiten zu streichen. Um zu sehen, was wir alles sein lassen könnten, um zu entdecken, wie viel Zeit uns das alles kostet – vom regelmäßigen Waxing bis hin bis zum täglichen Make-up.

Schauen wir doch ein bisschen weniger darauf, was wir weiterhin alles einzuhalten hätten – Yoga, Blazer anziehen, frisch kochen –, und mehr darauf, worauf wir jetzt getrost pfeifen können. (Beate Hausbichler, 25.3.2020)