Um trotz Covid-19 den Pflegenotstand zu verhindern, will die Regierung in zusätzliche Betreuung investieren – und Menschen, die bisher daheim waren, notfalls in neuen Pflegezentren versorgen.

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Rudolf Anschober wäre jetzt gern unterwegs. Fürs Frühjahr hatte er eine Tour durchs Land geplant, um sich Anregungen für eine große Pflegereform zu holen. Das Thema ist ihm geblieben, jedoch unter bedrohlicheren Vorzeichen: Statt vom Ausbau zu träumen, muss der Sozial- und Gesundheitsminister darum kämpfen, dass der Status quo nicht zusammenbricht.

Das Coronavirus gefährdet die Versorgung alter und gebrechlicher Menschen in mehrfacher Hinsicht. Rund 175.000 von 460.000 Pflegegeldbeziehern werden ausschließlich von Angehörigen gepflegt – was tun, wenn diese massenhaft krank werden? Das Personal der Heime (100.000 Bewohner) und mobilen Dienste (153.000 Klienten) ist ebenso wenig immun. Und dann ist da noch das spezielle Problem der 24-Stunden-Betreuung, die 33.000 Menschen in Anspruch nehmen: Grenzschließungen hindern Kräfte aus dem Ausland daran, wie bisher in Österreich zu arbeiten.

Notsituationen abwenden und niemanden allein lassen: So definiert Anschober die Maxime in dieser Situation. Um das Ziel zu erreichen, will die Regierung 100 Millionen Euro aus dem Covid-19-Fonds in das Pflegesystem pumpen und noch an einigen anderen Schrauben drehen.

·Ersatzbetreuung Das Geld soll via die zuständigen Bundesländer nicht nur in zusätzliche Plätze in bestehenden Heimen und den Ausbau mobiler Dienste fließen, sondern überdies in Notquartiere, die in derzeit geschlossenen Reha- und Kurzentren, aber auch in Hotels eröffnet werden könnten. Hier sollen jene Menschen versorgt werden, die wegen Corona nicht mehr auf ihre Angehörigen oder 24-Stunden-Helfer zählen können. Er wolle keine Illusionen erwecken, sagt Anschober: Es werde sich nicht jede Betreuungssituation, so wie sie derzeit ist, aufrechterhalten lassen.

Außerdem richtet der Minister einen Appell an die Bediensteten der Reha- und Kurzentren, nicht gleich in Kurzarbeit zu gehen: Sie würden womöglich bald für Pflegearbeit gebraucht.

·Ausbau der Hotlines Damit Betroffene über die Angebote Bescheid wissen, sollen die diversen Pflege-Hotlines in den Ländern ausgebaut werden. Jeder Anruf soll eine Antwort garantieren.

·24-Stunden-Betreuung Noch ist der Kollaps ausgeblieben: Viele Betreuerinnen – es sind hauptsächlich Frauen aus dem Ausland – haben ihre Arbeit erst einmal verlängert. Damit die Betreuten nicht die staatliche Förderung verlieren, sollen die Bedingungen, etwa die Einhaltung eines lediglich zweiwöchigen Turnus, aufgeweicht werden. Niemand solle um die Förderung umfallen, so das Versprechen.

Doch das wird das Problem nur aufschieben. Irgendwann werden die Frauen heimfahren, weil sie sich um Angehörige kümmern müssen, ist sich Anschober sicher: "Der Tag X wird kommen." Damit neue Kräfte als Ersatz einreisen können, verhandelt das Außenministerium seit Tagen mit den Nachbarstaaten, um Ausnahmen von den Reiseeinschränkungen zu erreichen. Zentrales Problem ist die geschlossene ungarische Grenze, die Rumäninnen – die größte Gruppe in der 24-Stunden-Betreuung – an der Durchreise nach Österreich hindert.

·Einsatz von Zivildienern Wie mehrfach angekündigt, will die Regierung Zivildiener für die Pflege einsetzen. Weil der Dienst von aktuell 1.500 Zivis, der Ende März ausgelaufen wäre, um drei Monate verlängert wurde und sich 2.000 ehemalige Zivis freiwillig gemeldet haben, stünden mit 1. April zusätzlich 3.500 Kräfte parat, rechnet Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) vor. Diese Männer sollen allerdings nicht die eigentliche Pflegearbeit erledigen, sondern sich um die Basisversorgung kümmern.

Vergeudete Pflegekräfte

Während die Regierung ehemalige Zivildiener im Notfall auch zwangsweise einziehen will, gilt das für eine an sich prädestinierte Gruppe nicht. Künftige Pflegekräfte, die noch in Ausbildung sind, können laut Direktive des Gesundheitsministeriums zwar "zur medizinischen und pflegerischen Versorgung" herangezogen werden, allerdings nur auf freiwilliger Basis. Im Gegensatz zu den Zivis kann die oder der Betroffene also auch Nein sagen.

Das passiert offensichtlich auch. In der vergangenen Woche habe eine Praktikantin abrupt den Dienst quittiert, erzählt der Pflegedienstleiter eines Seniorenheims dem STANDARD, zwei neue Praktikantinnen seien gleich gar nicht aufgetaucht. "Verantwortungslos" sei die Regelung der Freiwilligkeit, schließlich brauche das Pflegesystem wegen der Pandemie jede helfende Hand, sagt der Fachmann, der mit 5.000 bis 6.000 einsetzbaren Kräften rechnet: "Praktikantinnen können nach einem Jahr in Ausbildung zehnmal mehr als ein Zivildiener, der in der Regel nichts von Pflege versteht. Das sind Menschen, die sich bewusst für den Pflegeberuf entschieden haben. Und die lassen wir daheim?"

Minister Anschober zeigt für den Einwand ein offenes Ohr. Auch einige Länder hätten den Wunsch geäußert, in Ausbildung befindliche Pflegekräfte einzusetzen, verrät er, doch das hänge an rechtlichen Fragen: An einer Lösung werde gearbeitet. (Gerald John, 24.3.2020)