Schon seltsam: Viele Jahre lang haben Rechtspopulisten uns einzureden versucht, dass "die EU" viel zu mächtig, zu zentralistisch sei. Nationalstaaten würden von "Brüssel" entmündigt. Empört war auch die Linke, als die EU-Institutionen in der Finanzkrise den Mitgliedern harte Sanierungsschritte abverlangten: zu abgehoben, zu unsozial. Stichwort Milliardenhilfen für Griechenland.

Rückverlagerung von EU-Kompetenzen lautete das Credo von Türkis-Blau. Einen türkis-grünen Regierungswechsel und eine Coronavirus-Pandemie später tönt es durchs Land: Wo ist eigentlich die EU? Was tut sie, um uns zu helfen? Schläft Ursula von der Leyen? Zerbricht die EU?

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen
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Nichts von all dem trifft zu. "Die EU" – also Kommission, Ministerräte und Parlament – tut das, was sie kann, wozu die EU-Verträge sie ermächtigen. Das klappt nur in engem, vertrauensvollem Zusammenspiel mit den Staaten.

Im Gesundheitsbereich hat die Kommission kaum Kompetenzen, sie erscheint daher schwach. Obwohl: Sie war es, die Warnungen aus Dänemark vor der Virusbombe Ischgl nach Wien weitergab. Es wurde aber verschlampt.

Bei der geforderten Schließung der EU-Außengrenzen war man fix: Binnen einer Woche wurde das umgesetzt.

Die wahre Stunde der EU wird schlagen, wenn Europa brutal in eine Wirtschaftskrise stürzt, manche Länder hart am Zusammenbruch sind. Dann wird man "Brüssel" brauchen, und die Abermilliarden Euro der Zentralbank. (Thomas Mayer, 24.3.2020)