Wenn es um Distanz geht, stößt der Direktverkauf an Grenzen: Der "Augustin" und seine Verkäuferinnen und Verkäufer leiden unter dem Corona-Virus.

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Claudia Poppe ist seit dem Jahr 1999 beim "Augustin".

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Die aktuelle, mittlerweile 502. Ausgabe, des "Augustin".

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Wien – Delogierungen sind zwar ausgesetzt, dennoch geht es für viele an die Grundfesten der Existenz: Die Corona-Krise bringt auch Österreichs Straßenzeitungen und ihre Verkäuferinnen und Verkäufer an den Rand des ökonomischen und sozialen Abgrunds – darunter auch den Wiener "Augustin", der im Herbst sein 25-jähriges Jubiläum feiern möchte. Um den runden Geburtstag auch begehen zu können, braucht der "Augustin" Unterstützung.

Neben Abos, dem Verkauf von Digitalausgaben und Spenden soll eine Crowdfunding-Aktion das Überleben sichern, sagt Claudia Poppe, die beim "Augustin" seit vielen Jahren die Website betreut. Das Crowdfunding startet am Mittwoch mit dem Ziel, 40.000 Euro in vier Wochen zu generieren. Die Spendenpakete reichen von zehn bis 1.000 Euro. Die Spenderinnen und Spender erhalten ein Dankeschön-Päckchen.

STANDARD: Erst vor wenigen Monaten stand der "Augustin" vor dem Aus, nachdem die Auflage gesunken war. Wie ernst ist die Lage jetzt?

Poppe: Eigentlich hatten wir ein tolles Jahr 2019, jetzt geht es aufgrund der allgemeinen Krise natürlich ums Überleben.

STANDARD: Wie geht es den rund 350 "Augustin"-Verkäufern, die unter dem Coronavirus und dem Quasistillstand des öffentlichen Lebens leiden?

Poppe: Wir sind da für die Leute, führen – vor allem telefonische – Entlastungsgespräche, da viele vereinsamt, verunsichert, verzweifelt oder schlecht informiert sind. Menschen mit psychischen Erkrankungen leiden unter dieser Verunsicherung massiv und suchen vermehrt unsere Unterstützung. Manche osteuropäischen Verkäuferinnen und Verkäufer wollten auch Unterstützung und Informationen bezüglich ihrer Heimreise. Einige haben es auch nicht mehr geschafft, rechtzeitig nach Hause zu kommen.

STANDARD: Nachdem der Verkauf auf der Straße großteils wegbricht, rufen Sie dazu auf, Abos beziehungsweise Digitalausgaben zu erwerben. Wie viele wurden bis jetzt verkauft, und wie viel Geld konnten Sie über Spenden lukrieren?

Poppe: In wenigen Tagen haben wir rund tausend Zweimonatsabos und rund 250 digitale Ausgaben vom aktuellen "Augustin" verkauft (Stand Dienstag, Anm.), und mit der neuen Ausgabe geht es schon munter weiter. Die Solidarität mit dem "Augustin" und der Wunsch, dass er gut durch die Krise kommt, sind wieder einmal beeindruckend. Über Spenden sind bis jetzt rund 2.000 Euro eingegangen.

STANDARD: Wie wird das Geld auf die 350 "Augustin"-Verkäufer aufgeteilt?

Poppe: Diejenigen, die sofort existenzielle Hilfe brauchen, bekommen in einem ersten Schritt Lebensmittelgutscheine. Alle anderen werden die Hilfe über unser Zeitungsbonussystem erhalten.

STANDARD: Wie funktioniert das Zeitungsbonussystem?

Poppe: Also bisher gab es einmal im Sommer und einmal im Winter Gratiszeitungen für registrierte Verkäuferinnen und Verkäufer, also einmalig beim ersten Kauf eine gratis pro zehn gekauften Zeitungen. Diesmal wollen wir das entsprechend je nach Spendeneinnahmen ausweiten.

STANDARD: Gehen noch "Augustin"-Verkäufer in die Kolportage, und wie sehen die Sicherheitsmaßnahmen aus?

Poppe: Die erste Woche haben wir die Zeitungsausgabe ganz gestoppt, um die rechtliche Lage zu klären und dann die entsprechend nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Grundsätzlich haben die Verkäuferinnen und Verkäufer vom S7-Krisenstab Covid-19 des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz die Bestätigung bekommen, dass der "Augustin" weiterhin auf der Straße verkauft werden kann, natürlich unter Einhaltung der entsprechenden Gesundheitsmaßnahmen. Viele setzen aus, um ihre eigene Gesundheit nicht zu gefährden, einige können es sich aber einfach nicht leisten, nichts zu verkaufen.

STANDARD: Wie sind die Auflagen in Sachen Sicherheit?

Poppe: Der Sicherheitsabstand von eineinhalb Metern muss von Käufer und Verkäufer eingehalten werden. Wir ersuchen die Kundinnen und Kunden, die genaue Summe bereitzuhaben. Die Übergabe von Geld und Zeitung kann so unter Einhaltung des Sicherheitsabstands erfolgen. Das Geld wird zum Beispiel in eine Box geworfen, die Zeitung von einem Stapel genommen. Wir würden es sehr hilfreich finden, wenn Kunden sich sofort bei uns melden, wenn sie Verkäufer sehen, die unsere Vorkehrungen nicht gut einhalten, um sofort reagieren zu können.

STANDARD: Und wie geht es dem "Augustin"-Personal, das die Zeitungen an die Verkäufer verteilt?

Poppe: Wir haben den Ablauf der Zeitungsausgabe in unserem Vertriebsbüro so gestaltet, dass die Hygienevorschriften eingehalten werden können. Unsere Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sind mit Mundschutz und Handschuhen ausgestattet. Im Moment versuchen wird gerade weiteres Material zu besorgen. Informationen zum Verhalten beim Verkauf auf der Straße werden sowohl schriftlich als auch über Audio in allen Sprachen weitergegeben. Verkäuferinnen und Verkäufern, die aufgrund ihres Alters oder diverser Vorerkrankungen zur Risikogruppe gehören, raten wir dringendst von der Kolportage ab.

STANDARD: Über die Plattform Raumpioniere startet am Mittwoch eine Crowdfunding-Aktion. Mit welchen Erwartungen?

Poppe: Die "Augustin"-Verkäuferinnen und -Verkäufer sind ökonomisch eine sehr verletzliche Gruppe, die Corona-Krise kann für sie existenzbedrohend sein. Die Unterstützer des Crowdfundings helfen, den finanziellen Verlust abzufedern und den Betrieb des "Augustin" aufrechtzuerhalten. Die Verkäufer brauchen den "Augustin" als sozialarbeiterische Anlaufstelle in dieser Zeit umso mehr, wir können also nicht einfach "zumachen", bis es vorbei ist – dasselbe gilt natürlich auch für die Zeitungsproduktion.

STANDARD: In der DNA des "Augustin" ist die Distanz zur Politik verankert. Würden Sie Unterstützung der Regierung in Anspruch nehmen, um die Einnahmenausfälle abzufedern?

Poppe: Wir gehen davon aus, dass der Corona-Fonds auch für gemeinnützige Vereine verwendet wird, und solch eine einmalige Leistung würden wir in Anspruch nehmen.

STANDARD: Wie hoch wird die nächste Auflage sein, und mit wie vielen Exemplare weniger rechnen Sie im Verkauf?

Poppe: Die kommende Auflage haben wir nun mit weniger als der Hälfte bestellt, also 10.000 Stück. Die jetzige Ausgabe 501 wurde noch sehr gut verkauft, aber bei der kommenden 502er, die am Mittwoch, 25. März, erscheint, ist mit geringen Verkaufszahlen zu rechnen – schließlich ist der öffentliche Raum der zentrale Verkaufsort, und der ist im Moment quasi leer. Aus diesem Grund bieten wir zusätzlich zum Straßenverkauf Kurzabos und den Kauf eines digitalen "Augustin" an. (Oliver Mark, 25.3.2020)