Die Regierung unter Angela Merkel legte 2013 den Risikobericht vor.

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Man könnte meinen, die folgenden Worte stammen aus einer aktuellen Beschreibung des Coronavirus. "Die Inkubationszeit (...) beträgt meist drei bis fünf Tage, kann sich aber in einem Zeitraum von zwei bis 14 Tagen bewegen. Fast alle Infizierten erkranken auch." So steht es in dem Papier. Doch dieses datiert nicht aus diesen Tagen, sondern ist schon einige Jahre alt. Nachzulesen ist diese Beschreibung in der Drucksache 17/12051 des Deutschen Bundestags aus dem Jänner 2013. Darin legte die damalige Bundesregierung, eine Koalition aus Union und FDP unter Führung von Angela Merkel, den Abgeordneten eine Risikoanalyse zum Bevölkerungsschutz vor.

Verfasst wurde sie vom Robert-Koch-Institut und anderen deutschen Bundesbehörden. Zunächst geht es auf den ersten Seiten um die Gefahren durch "extremes Schmelzwasser aus den Mittelgebirgen".

Danach befasst sich das Papier ausführlich mit einer "Pandemie durch Virus 'Modi-Sars'". Das Papier modelliert ein Szenario. Die Wahl eines Sars-ähnlichen Virus erfolgte "vor dem Hintergrund, dass die natürliche Variante 2003 sehr unterschiedliche Gesundheitssysteme schnell an ihre Grenzen gebracht hat", erklären die Autoren. Der Name Corona taucht schon auf, so heißt es im Text: "Ein aktuelles Beispiel für einen neu auftretenden Erreger ist ein Coronavirus ("novel Coronavirus"), welches nicht eng mit Sars-CoV verwandt ist."

Erreger stammen aus Südostasien

Der "hypothetische Verlauf einer Pandemie in Deutschland" wird dann im Folgenden beschrieben: Der Erreger, so die Autoren, stamme aus Südostasien, wo er von Wildtieren auf Märkten auf den Menschen übertragen wurde. Zwar stimmen die Monate nicht mit der aktuellen Krise überein, aber der zeitliche Abstand der Ausbreitung: "Das Ereignis beginnt im Februar in Asien, wird dort allerdings erst einige Wochen später in seiner Dimension/Bedeutung erkannt. Im April tritt der erste identifizierte Modi-Sars-Fall in Deutschland auf."

Über die Ausbreitung heißt es im Text: "Die Infektionskrankheit breitet sich sporadisch und in Clustern aus. Eine Übertragung findet insbesondere über Haushaltskontakte und im Krankenhausumfeld, aber auch in öffentlichen Transportmitteln, am Arbeitsplatz und in der Freizeit statt."

Wie man in dieser Lage zu handeln habe, wird so erklärt: "Mittel zur Eindämmung sind beispielsweise Schulschließungen und Absagen von Großveranstaltungen. Neben diesen Maßnahmen, die nach dem Infektionsschutzgesetz angeordnet werden können, gibt es weitere Empfehlungen, die zum persönlichen Schutz, zum Beispiel bei beruflich exponierten Personen, beitragen, wie die Einhaltung von Hygieneempfehlungen." Und schon vor sieben Jahren ahnte man: "Die enorme Anzahl Infizierter, deren Erkrankung so schwerwiegend ist, dass sie hospitalisiert sein sollten beziehungsweise im Krankenhaus intensivmedizinische Betreuung benötigen würden, übersteigt die vorhandenen Kapazitäten um ein Vielfaches."

"Verunsicherung der Bevölkerung"

Auch rechnete man mit "Verunsicherung der Bevölkerung" und meinte: "Es ist anzunehmen, dass die Krisenkommunikation nicht durchgängig angemessen gut gelingt. So können beispielsweise widersprüchliche Aussagen von verschiedenen Behörden/Autoritäten die Vertrauensbildung und Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen erschweren." Für Deutschland ist das nicht unzutreffend, die Ministerpräsidenten der deutschen Bundesländer waren sich zunächst über Ausgangsbeschränkungen uneinig.

Die Rede ist zudem von Einschränkungen im Luftverkehr und einer Zunahme des Individualverkehrs – Letzteres trifft auf Deutschland allerdings nicht zu. Die Versorgung mit Elektrizität, Wasser und Informationstechnik könne aber aufrechterhalten werden, ebenso die Bereitstellung von Lebensmitteln, wenngleich die Lieferung "nicht in gewohnter Menge und Vielfalt möglich" sei.

Die Wissenschafter gehen davon aus, dass "so lange mit Neuerkrankungen zu rechnen" sei, "bis ein Impfstoff verfügbar ist". Das werde – in dem im Bericht angenommenen Szenario – nach einem Zeitraum von "drei Jahren" sein. In dem Papier steht auch, dass es sich bei der Pandemie um ein Ereignis handle, das "statistisch in der Regel einmal in einem Zeitraum von 100 bis 1.000 Jahren eintritt", und dass "über den gesamten Zeitraum mit mindestens 7,5 Millionen Toten zu rechnen" sei.

"Maximalszenario" durch fiktiven Erreger

Darauf angesprochen, erklärt die Sprecherin des Robert-Koch-Instituts in Berlin, Susanne Glasmacher, jedoch: "Bei dem damaligen Szenario Modi-Sars handelte es sich nicht um eine Vorhersage der Entwicklung und der Auswirkungen eines pandemischen Geschehens, sondern um ein Maximalszenario, ausgelöst durch einen fiktiven Erreger, um das theoretisch denkbare Schadensausmaß einer Mensch zu Mensch übertragbaren Erkrankung mit einem hochvirulenten Erreger zu illustrieren." (Birgit Baumann aus Berlin, 25.3.2020)