Shira Haas genießt für einen Moment die neue Freiheit in der vierteiligen Netflix-Serie "Unorthodox".

Foto: Netflix

Ein Kuvert mit einem Flugticket, ein schmales Bündel 50-Euro-Scheine, das Necessaire, dazu, ein Bild von der Großmutter, eingewickelt in eine Strickweste. Verpackt, verschnürt, ein Handkuss für den Türrahmen und raus.

Esty will weg. Doch so einfach geht das nicht. Sabbat verbietet gläubigen Juden laut Thora, Gegenstände außerhalb der eigenen Wohnung zu bewegen oder zu tragen, das heißt, Esty darf raus, nicht aber ihre Tasche. Also wird umgepackt.

Keine Rückfahrkarte

Als sie sich im Taxi zum New Yorker Flughafen JFK bringen lässt, trägt Esty alles, was sie braucht und hat, an ihrem Körper. Das Ticket geht nach Berlin, Rückfahrkarte ist keine dabei.

Die Geschichte einer jungen Frau, die ihr Leben als orthodoxe Jüdin im New Yorker Stadtteil Williamsburg satt hat, erzählt die Netflix-Serie "Unorthodox" ab Donnerstag in vier Folgen. Die Miniserie folgt dem Bestseller Deborah Feldmans, die ebenso in Berlin lebt wie die US-Showrunnerin Anna Winger, die gemeinsam mit Alexa Karolinski das Drehbuch schrieb. Regie führte Maria Schrader ("Vor der Morgenröte"). Die Hauptrollen spielen Shira Haas ("Shtisel") und Amit Rahav.

Wie alles so unerträglich wurde

"Unorthodox" erzählt in der Serie, wie für die junge Esty alles so unerträglich wurde im strengen Regelwerk, angefangen bei der entwürdigende Farce der durch einen Heiratsvermittler arrangierten Ehe. "Ich bin nicht wie die anderen Mädchen", sagt Esty beim ersten Treffen. "Anders ist gut", sagt Yanky und wagt dabei kaum, ins Gesicht der Versprochenen zu schauen. Yanky ist ein guter Mann, aber Esty kann auch er nicht halten.

Ihre Freiheit in Berlin wird die Geflohene nicht einfach leben können. Der Bruch mit der Vergangenheit ist keine Kleinigkeit. Die Schwierigkeiten beginnen in der Praxis. Wenn es zum Beispiel darum geht, im Wannsee baden zu gehen. Zuerst die Nylonstrumpfhose ausziehen – zaghaft, sehr zaghaft. Doch dann ist der erste Schritt getan. Untertauchen. Haare schwimmen im Wasser.

Esty soll wieder nach Hause

Der Poesie von "Unorthodox" entwickelt sich aus den Gegensätzen zwischen den strengen, aber Sicherheit gebenden Regeln der Strenggläubigen und der neuen, verführerischen, aber auch Angst machenden Freiheit, die zudem alles andere als gesichert ist. Die gedemütigten Glaubensbrüder wollen Esty unbedingt wieder nach Hause bringen, wo sie ihrer Meinung nach hingehört.

Orthodoxe Juden sah man bisher selbst im israelischen Fernsehen selten. Leah Gottfried öffnet mit der Webserie "Soon By You" diese Tür einen Spalt breit und macht sich über Sackgassen lustig, in die der Glaube mitunter führen kann. In dieselbe Kerbe schlugen "Srugim" und "Shtisel". Beide Serien führen in eine hermetische Welt. "Unorthodox" dringt nicht ganz so weit zu dieser hermetischen Welt durch. Besonders was Erzählrhythmus und Dramaturgie betrifft, orientiert sich diese Serie an westliche Sehgewohnheiten und wird dadurch ein Stück weit gefälliger. (Doris Priesching, 26.3.2020)

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