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Israels Parlamentspräsident Juli Edelstein (Mitte) steht zu Netanjahu.

Foto: REUTERS/Amir Cohen/File Photo

Innerhalb "weniger Tage" wollte Israels Oppositionsführer Benny Gantz eine Koalition auf die Beine stellen. Doch zehn Tage, nachdem er das Mandat zur Regierungsbildung erhalten hat, scheint Israels Politkrise verfahrener denn je – und droht, zu einer Verfassungskrise anzuwachsen.

Gantz, Vorsitzender der zentristischen Blau-Weiß-Partei, erhielt das Mandat zur Regierungsbildung, weil eine knappe Mehrheit von 61 Abgeordneten ihm ihre Unterstützung ausgesprochen hatte. Sein Rivale, der amtierende Premier Benjamin Netanjahu, kam auf lediglich 58 Fürsprecher. Ideologisch liegen Gantz’ Unterstützer jedoch zu weit auseinander, um gemeinsam eine Koalition zu bilden. Die stabilste Mehrheit verspräche eine Regierung der beiden großen Parteien, Gantz’ Blau-Weiß-Bündnis und Netanjahus Likud. Deren Vorsitzende haben wiederholt für eine gemeinsame "Notfallregierung" plädiert, um drastische Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus mit einem möglichst breiten Mandat zu beschließen. Doch auch diese Verhandlungen stehen kurz vor dem Scheitern.

Knesset de facto lahmgelegt

Denn parallel zu ihren Koalitionsgesprächen kämpfen beide Lager verbissen um jedes Quäntchen Macht – ein Kampf, der nun im Ringen um das Amt des Parlamentssprechers seinen vorläufigen Höhepunkt gefunden hat. Vergangene Woche wollten Gantz und seine Mitstreiter ihre Parlamentsmehrheit nutzen, um den amtierenden Sprecher, den Likud-Abgeordneten Juli Edelstein, per Abstimmung zu ersetzen. Edelstein jedoch kam seiner Abwahl zuvor, in dem er die Parlamentssitzung bis Anfang dieser Woche vertagte. Dagegen legte Blau-Weiß gemeinsam mit einigen Nichtregierungsorganisationen eine Petition beim Obersten Gerichtshof ein – mit Erfolg: Am Montag entschied das Gericht, Edelstein müsse bis Mittwoch die Wahl eines neuen Sprechers zulassen. "Die anhaltende Weigerung, der Knesset die Wahl eines permanenten Sprechers zu erlauben, untergräbt die Fundamente des demokratischen Prozesses", schrieb die Gerichtspräsidentin Esther Hayut.

Mehrere Likud-Minister ermunterten Edelstein dazu, sich dem Urteil zu widersetzen. "Wäre ich Knesset-Sprecher, würde ich Nein sagen", schrieb ausgerechnet Justizminister Amir Ohana auf Twitter. Andere Minister wiederum warnten vor einer Erosion des Rechtsstaats, sollte Edelstein sich dem Urteil nicht beugen.

Edelstein wählte nun einen anderen Ausweg. Statt die Wahl eines neuen Sprechers zu ermöglichen, legte er am Mittwoch überraschend sein Amt nieder. "Die Entscheidung des Obersten Gerichts beeinträchtigt die Souveränität der Knesset", sagte er. Nach israelischem Recht tritt der Rücktritt jedoch erst Freitag in Kraft, bis dahin bleibt Edelstein an das Urteil gebunden. Sich diesem zu verweigern, "ist eine schwerwiegende Verletzung des Rechtsstaats", sagt Amir Fuchs, Jurist des Israeli Democracy Institute, eines liberalen Thinktanks. In Reaktion darauf könnte der Gerichtshof eine Strafgebühr wegen Missachtung des Gerichts verhängen.

Politiker des oppositionellen Lagers kritisierten Edelstein heftig. "Hat Netanjahu Juli (Edelstein, Anm.) losgeschickt, um die Demokratie niederzubrennen?", fragte Yair Lapid von Blau-Weiß. Medien zufolge haben Gantz, Lapid und ihre Mitstreiter das Vorhaben einer Einheitsregierung vorerst aufgegeben: Zu groß scheint das Misstrauen gegen Netanjahu. Nach über einem Jahr politischer Lähmung, drei Wahlen und unzähligen Gesprächen ist kein Ende der Krise in Sicht. (Mareike Enghusen aus Tel Aviv, 26.3.2020)