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"Dieses Mal ist die Depression keine interessante Episode mehr", sondern "ein Teil meines Lebens".

Foto: Getty Images / D. Anschutz

Das mögen sich am Beginn der Corona-Krise viele auch gedacht haben: Das kann doch nicht so schlimm sein … Und bald wurden in Kommentaren Vergleiche angestellt wie, Corona sei wie Burnout. Übrigens, der ‚moderne‘, fast schon euphemistische Begriff für Depression kommt in diesem Buch nicht vor, und das allein macht diesen Text sehr glaubwürdig.

Stattdessen steht: "Mein Gehirn ist ein Schwamm, vollgesogen mit Medikamenten", und das ist nur eines von vielen Zustandsbildern, die beschreiben, was mit einem geschieht, dem der Boden unter den Füßen weggezogen wird, der Tabletten nehmen muss, "um sich zu ertragen". Wenn nämlich nichts mehr funktioniert, was im Leben funktionieren muss.

Benjamin Maack, gleichzeitig Held und Autor des Buches – wobei egal ist, ob es sich um einen autobiografischen Text oder eine Autofiktion handelt –, ist gerade vierzig, als er nicht mehr kann, wie er soll: Er hat eine Frau, zwei kleine Buben, und er hat Angst, seiner Verantwortung nicht mehr gerecht zu werden, mehr noch, die notwendigen Gefühle nicht mehr empfinden zu können, die das soziale Leben braucht.

Er packt seinen Rollkoffer und weist sich selbst in die Klinik ein. Vor vier Jahren war er schon einmal freiwillig in der Psychiatrie, aber "dieses Mal ist die Depression keine interessante Episode mehr", sondern "ein Teil meines Lebens".

Sprachmächtige Bilder

Maack versucht, den Zustand mit sprachmächtigen Bildern zu beschreiben. "Wie fremd ich der Welt geworden bin, wie fremd ich mir selbst bin. Wie ich niemand mehr bin. Nichts." Das Leben verliert seinen Sinn, seinen Zusammenhang, es stirbt nach und nach ab, weil es "nicht mehr von Gefühlen durchblutet" wird.

Das ist die größte Angst des Kranken: nichts mehr zu spüren außer Scham. Alles "vertrocknet und verdorrt" und "bricht (…) ins Bodenlose", wird unvertraut und sprachlos, bis am Ende nur noch der traurige Selbstbefund bleibt: "Ich fühle mich so durch und durch verschwunden."

All das sind gelungene Sätze, deren Wirkung sich aber bald erschöpft, weil sie zu häufig, zu dicht eingesetzt werden. Doch darum geht es nun einmal in dieser Krankheit: um die Angst zu versagen, um die Angst vor dem Wunsch, sterben zu wollen, der einen ständig begleitet, und es gibt nichts außer Tabletten mit allen gefährlichen Nebenwirkungen, die diese Angst vorübergehend unterdrücken können.

Aufrichtige Warnung

Es ist ein Dilemma – umso aufrichtiger die Warnung, die der Autor auf Seite 57 an seine Leser richtet: "Wenn Sie Geschichten mögen, legen Sie das Buch lieber weg." Auch wer sich Ratschläge bei Depressionen erhofft, soll die Lektüre meiden. Der Autor, der Betroffene, bringt es entweder drastisch auf den Punkt: "dass ich total im Arsch bin", oder er versucht es mit Ironie, die nicht gelingen kann: "Ich bewerbe mich um einen Job als Kranker."

In der Klinik muss er sich zusammenreißen, um nicht in die "Geschlossene" zu kommen. Also lieber in der Kreativwerkstatt arbeiten, Stickbilder anfertigen mit dem Konterfei von Britney Spears ... Am Ende, als das Bild fertig ist, muss er sich sagen, es ist "so nutzlos wie ich". Solcherart wird die eigene Befindlichkeit beleuchtet, und der Leser merkt schnell, dass sich die Motive ständig wiederholen, während sich inhaltlich wenig tut.

Dann greift nur noch die sprachliche Ebene dazwischen: lyrische, sprachexperimentelle Einschübe, etwa wenn eine Seite vollgedruckt ist mit vier Wörtern, die den Satz "Ich kann nicht denken" ergeben, oder wenn vier Seiten hintereinander abstandslos mit "fuckfuckfuckfuck" usw. bedruckt sind.

Vor allem aber ist es das Gefühlloswerden anderen gegenüber, jene "ratlose Taubheit" und Sprachlosigkeit, die wie bei Konkreter Poesie im Text sichtbar gemacht wird, durch Leerzeichen und Striche.

Kein erzählerisches Kontinuum

Dann geht das Buch wieder wie ein Tagebuch oder wie Facebook-Einträge weiter, in Kleinstkapiteln, die erst gar kein erzählerisches Kontinuum ergeben wollen. Es muss ja keine durchgehende Erzählung sein, gerade bei so einem Thema hat das Ungeordnete, Experimentelle seinen Reiz, das Problem scheint ein wenig nur zu sein, dass es das Ichbezogene des Textes noch weiter eintieft.

Das ganze Buch ist aus der Innenperspektive des Autors geschrieben, es ist ausschließlich seine Welt. Nur, wie verträgt sich diese totale Innenschau mit einer verallgemeinerbaren Sicht auf die Krankheit?

Man mag verstehen, dass es bei einem Buch über Depression nur diese radikale, selbstbezogene Sicht gibt, aber müsste im Prozess des Schreibens dann nicht irgendwo ein Abstand entwickelt werden? Weil Literatur mehr können muss als nur abbilden ...? In diesem Buch aber findet die Krankengeschichte wie eine Liveübertragung statt, der Kopf des Patienten wird zum begehbaren Raum für den Leser.

Hätte man dagegen den Eindruck, eine Fallgeschichte vor sich zu haben, die da und dort auch sozialkritisch sein darf, geschrieben in analysierender Berichtsform, wäre man von der Lektüre sicherlich mehr beeindruckt. Immerhin, auf den letzten acht Seiten, auf denen der Autor seine Krankheit und was sie für seine Umgebung bedeutet, zusammenfasst, nimmt der allzu mäandernde Text wirklich Fahrt auf und überzeugt. So hätte das ganze Buch sein müssen. (Gerhard Zeillinger, 28.3.2020)

Benjamin Maack, "Wenn es noch geht, kann es nicht so schlimm sein". 18 Euro / 333 Seiten. Suhrkamp, Berlin 2020
Cover: Suhrkamp Nova