Kyle Harper, "Fatum. Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches". Ü: Anna und Wolf Heinrich Leube, 32 Euro / 567 Seiten. C. H. Beck, München 2020

Cover: C.H. Beck

"Sehen wir nicht täglich die Riten des Todes? Sind wir nicht Zeugen einer sonderbaren Form des Sterbens? Erblicken wir nicht Katastrophen durch eine unbekannte Art Plage?" Das schrieb ein nordafrikanischer Christ zwischen 259 und 270, als die Cyprianische Pest durchs Römische Reich fegte und die Menschen zu Zehntausenden hinwegraffte.

Allein in Alexandria in Ägypten schrumpfte die Bevölkerung in diesen Jahren um 62 Prozent. Diese Seuche löste Angst, grenzenloses Entsetzen und Panik aus. Was auf diese Pandemie folgte, war Anarchie.

In der römischen Politik herrschte Chaos, die Grenzsicherung kollabierte, Finanzkrisen wurden systemisch. An allen Ecken des Reiches drangen Feinde ein. Schon 260 war das Imperium in drei Teile zerfasert. Am Ende des Jahrzehnts konnte sich etwa Athen auf keinerlei Hilfe aus Rom verlassen. Es begann die Ära der Soldatenkaiser, Berufssoldaten, die in Niederpannonien an der Donau stationiert waren, dem heutigen Bulgarien.

Was haben Eisbohrkerne und Jahresringe, was Höhlensinter, Mineralablagerungen in Höhlen, mit dem römischen Kaiser Justinian zu tun, den Goten, dem Marienkult und dem Islam? Ein deutscher Historiker kam beim Durchzählen der Thesen für den Untergang des Römischen Reichs auf 200.

Kyle Harper, Althistoriker an der University of Oklahoma, liefert schlüssig, detailreich und erschreckend eine ökobakteriologische. Was das Imperium so nachhaltig schwächte, dass es schließlich kollabierte, waren Bakterien und Viren, Vulkanausbrüche und Sonnenzyklen, Pocken und Beulenpest, Dürren und Überschwemmungen.

Feuchteres Klima

Im ersten nachchristlichen Jahrhundert war das Klima in Rom anders, es war feuchter. Nordafrika war die Kornkammer des Imperiums. Erst später gab es Aridisierung und Desertifikation, Austrocknung und Versteppung. Im vierten und zu Beginn des fünften Jahrhunderts hatte das Römische Reich seinen geopolitischen Ausdehnungshöhepunkt erreicht.

Klimatisch war es weitgespannt, von Wüsten in Nordafrika bis zu kontinental feuchtem Klima, von gemäßigt atlantisch im Westen bis mediterran in der Levante, von feucht und kalt am Hadrianswall in Nordengland bis subtropisch feucht.

Diese augusteische und postaugusteische Ausdehnung und Prosperität fielen zusammen mit dem Ende des gemäßigten Holozäns, "römisches Klimaoptimum" genannt. Es war eine Warmperiode mit feuchtem und beständigem Klima nahezu im gesamten mittelmeerischen Raum.

Ab 150 n. Chr. gab es dann rund 300 Jahre lang Turbulenzen. Vulkanausbrüche zwischen 530 und 540 lösten die kälteste Phase des Holozäns aus. Dazu kamen Infektionskrankheiten, befördert durch die Ausweitung der Handelsbeziehungen über immer weitere Strecken, durch den Anstieg der städtischen Bevölkerung. Harper: "Wir müssen uns die römische Welt als ein durch und durch von Mikroorganismen durchsetztes Ökosystem vorstellen."

Parasiten und Malaria

Krankheitserreger kamen auf, weil Römer eine Vorliebe für das Leben in großen Städten hatten. Römische Häuser hatten kein fließendes Wasser, sondern Sickergruben. Die Abtritte waren oft neben den Küchen. Genutzt wurden die Ausscheidungen, allein in Rom täglich 500.000 Kilogramm menschliche Fäkalien, zum Düngen und Gerben.

Was heißt: Ständige Mitbewohner waren Parasiten, Spulwürmer, Bandwürmer, Darmwürmer. Todesursache Nummer eins waren Durchfallerkrankungen, knapp gefolgt von der Malaria. Das Tal des Tibers war eine ideale Brutstätte für die durch Moskitos übertragene Krankheit. Rom war, so Harper, ein malariaverseuchter Morast.

Durch alle Häuser, über alle Gassen flitzten Ratten, Kleingetier wurde auf engstem Raum gehalten. Durch die globalisierte "imperiale Ökologie" lassen sich die Wege von Tuberkulose und Lepra gut nachzeichnen.

"Willenskonstruktion"

Aus der ersten Krise, der Antoninischen Pest ab 166, wohl die Pocken, kam das Reich noch erstarkt zurück. Eine Seuche ab Mitte des dritten Jahrhunderts führte zur Disruption. Das Imperium war ab dann eine "Willenskonstruktion" mit neuer Staatsreligion, dem Christentum.

Die dritte pandemische Welle, die Beulenpest, die 541, aus Zentralasien kommend, ausbrach, hielt sich mehr als 200 Jahre lang und raffte etwa sieben Millionen Menschen hinweg. Die Westhälfte wurde von Feinden überrannt und zerfiel. Die Osthälfte wurde durch die Seuche und eine Zwischeneiszeit dezimiert.

Nach 700 war das Imperium Romanum ein Schatten einstiger Größe. Westeuropa war als Beute von Goten und Germanen zerrissen worden, in Afrika und Arabien waren Glaubenskrieger einer neuen Religion, des Islam, dabei, alles Römische zu überrennen.

In Rom, um das Jahr 400 herum eine glanzvolle Kapitale, hausten 20.000 Menschen. Handelsrouten waren kollabiert, ebenso das einheitliche Währungssystem. "Das Ende des Römischen Reichs ist demnach ein Vorgang, in dem Mensch und Umwelt untrennbar miteinander verbunden sind." (Alexander Kluy, 28.3.2020)